von Gerhard Jaap
Millionen Besucher werden jährlich von einer üppigen Museumslandschaft in der deutschen Hauptstadt angelockt. So gibt es in der Leipziger Straße in Berlin-Mitte eine bedeutende Einrichtung – das „Museum für Kommunikation“, das in der DDR schlicht „Postmuseum“ hieß. Aber es existieren auch kleine Sammlungen, die der Öffentlichkeit nur teilweise zugänglich sind. Und ein erstaunliches Wohnungsmuseum eben in dieser Leipziger Straße.
Jürgen Brühmann heißt der Sammler und Museumsdirektor, der sich auf Schiffe der russischen und sowjetischen Kriegsflotte spezialisiert hat – als Miniaturnachbauten im Maßstab 1:1250. Ein Schiff, das im Original 125 Meter lang ist, misst in der Vitrine folglich zehn Zentimeter. Besucher sind herzlich willkommen, und es gibt Kaffee und Gebäck auf Kosten des Hauses. So einen Service gibt es in keinem anderen Berliner Museum. 1580 Schiffe befahren die spiegelnden Glasböden der Vitrinen von einer Größe von etwa 15 Quadratmetern, und es sieht tatsächlich so aus, als schwimmen sie auf dem Wasser. Die selbst konstruierte „Hauptvitrine“ geht nach vorn zu und vermittelt den Eindruck einer Kommandobrücke, der Fußboden sieht ebenso aus wie der Boden auf einem Schiff.
Jürgen Brühmann hat die volle Übersicht auf die Frage, welche Modelle denn vertreten sind: 550 russische und sowjetische von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, 157 der Volksmarine der DDR, 103 der Handelsmarine der DDR, 168 von der Bundesmarine, 429 von den deutschen Kriegsflotten bis 1945. Dazu kommen 177 Schiffsmodelle anderer Länder, Handelsschiffe, Passagierschiffe und Fähren, und Hunderte Modelle von Flugzeugen, mit denen eigentlich alles begann.
Am 18. August 1955 fand in Moskau-Tuschino eine große Luftparade statt, worüber auch die DDR-Tageszeitungen Thüringer Allgemeine und Das Volk ausführlich berichteten. Jürgen Brühmann, damals 14 Jahre alt, war begeistert von der Technik, wusste aber schon, dass in den Meldungen die Typen der dort gezeigten Flugzeuge in NATO-Bezeichnungen abgedruckt waren. Er schrieb an die Redaktionen, die auch antworteten, und so schaffte er sich eine Übersicht über die sowjetischen Flugzeugtypen – mit den richtigen Namen. Vor zehn Jahren hat er dann ein Video von dieser Luftparade kaufen können, und er war von der Technik wie vor 61 Jahren begeistert. Aus der Liebe zu den Flugzeugen wurde später eine Liebe zu den Schiffen. In seinem Museumszimmer sowie im Flur und im Wohnzimmer sind nicht nur die Modelle versammelt, sondern auch über 3000 Bücher zur Militärtechnik und lange Reihen von Ordnern, in denen Jürgen Brühmann mit einem beeindruckenden System Artikel über seine Sammelgebiete ablegt.
Angesprochen auf die Kollision des Stückgutfrachters „Magdeburg 1“ der Deutschen Seerederei (DSR) mit dem japanischen Frachter „Yamashiro Maru“ am 27. Oktober 1964 in der Themsemündung, bei der das DDR-Schiff, beladen mit 42 Bussen der Marke „Leyland“ für Kuba, kenterte, greift sich Jürgen Brühmann zielsicher einen Ordner, blättert ihn kurz durch und schildert sachkundig den Kriminalfall. Es war wahrscheinlich nicht nur einfach ein Unglücksfall bei dichtem Nebel, denn im Frühjahr 1975 berichtete die Zeitung The Washington Post über Signale aus dem US-Geheimdienst CIA, nach denen begründeter Verdacht besteht, dass die CIA in diesem Fall die Hände im Spiel hatte. Man vermutet, dass der japanische Frachter auf Betreiben der CIA die „Magdeburg 1“ absichtlich gerammt hatte, um den Bustransport nach Kuba im Werte von zwölf Millionen US-Dollar zu verhindern. Es wird sogar angenommen, dass das Motorenöl der besagten Busse präpariert gewesen war, um die Motoren beim Betrieb zu zerstören – falls das Ramm-Manöver schiefläuft. Es sollte die Wirtschaftsblockade gegen Kuba mit aller Macht durchgesetzt werden.
Der Frachter war, so steht’s jedenfalls in den Brühmannschen Chroniken, irgendwie ein Unglücksschiff. Am 23. Dezember 1960 ging ein Matrose über Bord und ertrank. Im April 1961 kollidierte die „Magdeburg 1“ schon einmal auf der Themse mit einem Dampfer namens „Leo“ – durch einen Ausweichfehler. Und das Glück ließ die „Magdeburg 1“ nach der Kollision vom 27. Oktober 1964 erneut im Stich. Am 13. Dezember 1965 verließ das aufgerichtete und provisorisch reparierte Schiff London am Schleppseil, weil es an eine griechische Reederei verkauft worden war. Vier Tage später schlug der Sturm abermals ein Leck, so dass das Schiff etwa 20 Seemeilen von Brest (Frankreich) entfernt im Atlantik auf Nimmerwiedersehen versank. Wo es heute noch liegt.
Die Seekammer der DDR untersuchte den Seeunfall über ein Jahr lang. Am 25. April 1966 stellte sie in ihrem Spruch fest, dass den Kapitän und den Wachoffizier der „Magdeburg 1“ kein Verschulden trifft. Jürgen Brühmann merkt noch an, dass die „Yamashiro Maru“ später, im Oktober 1973, auf der Reede von Latakia (Syrien) bei einem seeseitigen Angriff auf die Hafenstadt in Brand geschossen wurde und dort sank. Es gab Todesopfer. Ob das ein reiner Zufall war?
Über die Vernichtung der sowjetischen Kriegsflotte unter Gorbatschow und Jelzin berichtet Jürgen Brühmann mit dem Entsetzen friedliebender Menschen, die sich verteidigen müssen. Die Hälfte des U-Boot-Bestandes wurde vernichtet, über 80 Prozent der Überwasserkampfschiffe ging in den Jahren 1991 bis 1997 verloren, wurden versenkt oder verschrottet – über 600 Schiffe, darunter mehr als 200 des ersten und zweiten Ranges. Die gigantische Nordflanke Russlands war plötzlich ungeschützt, weil diese Politiker leichtfertig und verantwortungslos annahmen, dass niemals mehr für Russland eine Kriegsgefahr von der NATO ausgehen würde. Das war, wie wir heute wissen, ein verhängnisvoller Irrtum, und die Folgen sind noch gar nicht abzusehen.
Die letzten Fragen. Das Lieblingsschiff ist schnell ausgemacht: die „Pjotr Veliki“ mit ihrer grandiosen Schiffsarchitektur. Sehr harmonisch und alle Funktionalitäten verharmlosend, denn es ist ein Kampfschiff und ist zur Bekämpfung des Gegners bestimmt. Nur ein Schiff hat Jürgen Brühmann drei Mal: die legendäre „Völkerfreundschaft“; auf der ganzen Welt gibt es kein Kreuzfahrtschiff, das sich länger im Dienst befindet. Sie fuhr bereits unter fünf Flaggen und wurde dadurch oft umgebaut und umbenannt. Als „Stockholm“ kollidierte sie 1956 im Nebel vor der US-Küste mit der „Andrea Doria“, doppelt so groß wie das Kreuzfahrtschiff. Aber der Crash ging für den Kreuzfahrer gut aus, da in der „Stockholm“ Stahl verwendet wurde, der eigentlich nur für Kriegsschiffe gedacht war. Die „Andrea Doria“ sank am Morgen nach der Kollision und riss 46 Menschen in den Tod. Die DDR kaufte das Schiff. Die weitere Geschichte ist bekannt.
Jürgen Brühmanns Ehefrau Bärbel, die im vergangenen Jahr starb, unterstützte alle seine Vorhaben und stand von Beginn an hinter seiner Sammlerleidenschaft. So konzipierten sie gemeinsam das schon genannte „Vitrinenzimmer“. Was aus den Exponaten einmal werden wird? Jürgen Brühmann, gelernter Spitzendreher, 74 Jahre alt, hat schon konkrete Vorstellungen. „Den echten Sammler erkennt man nicht daran, was er hat, sondern an dem, worüber er sich freuen würde“, sagte der russisch-französische Maler und Graphiker Marc Chagall. Und Jürgen, der Sammler, würde sich sehr freuen, wenn man irgendwann seine Modelle sähe – im fernen St. Petersburg oder anderswo.
Sein Credo ist jedoch eindeutig: „Ich sammle zwar Miniaturnachbauten von militärischen Fahrzeugen, doch ich bin ganz klar gegen Militarismus und Krieg.“ Das macht ihn und sein Wohnungsmuseum noch sympathischer.
Schlagwörter: "Andrea Doria", "Magdeburg 1", Gerhard Jaap, Jürgen Brühmann, Schiffsmodelle, sowjetische Kriegsflotte, Völkerfreundschaft