von Detlef Puhl, Salbris
„Wir werden den Front National rechts überholen, und es wird Marine Le Pen sein, die uns hinterherläuft.“ Mit deftigen Worten hat sich Nicolas Sarkozy noch nie schwer getan. Von 2007 bis 2012 war er Frankreichs Staatspräsident. Allerdings kein über den Parteien stehendes, die ganze Nation repräsentierendes, einendes Staatsoberhaupt, das ein wachsames Auge auf die von parlamentarischer Mehrheit abhängige Regierung gehabt hätte, sondern ein regierender Präsident, der sich seinen Premierminister als führenden Mitarbeiter hält. Jetzt möchte er es wieder werden. Sein einstiger Premierminister freilich auch. Und auch sein einstiger Außenminister, der selbst mal Premierminister war. Und noch einige andere – auf der Rechten. Marine Le Pen, die Anführerin des Front National, selbstredend auch.
Sie alle rechnen sich große Chancen aus, weil der noch amtierende Präsident François Hollande, der Sarkozy 2012 aus seinem Palast treiben konnte, in den Umfragen so jämmerlich da steht, wie kein Präsident jemals vor ihm. Und weil auch er, der amtierende Präsident aus der Sozialistischen Partei, noch keineswegs als Kandidat für seine eigene Wiederwahl gesetzt ist. Auf der Linken ist die Kakophonie der Thronprätendenten mindestens ebenso groß wie auf der Rechten.
Wer sich um die politische Zukunft unseres Landes sorgt, sollte also nicht nur über den Großen Teich schauen, wo die unpopulärsten Kandidaten aller Zeiten in die Endrunde um das Weiße Haus eingelaufen sind. Nein, ein Blick über den Rhein tut dringend Not, denn dort, an der Seine, sitzt der wichtigste Partner für die Kanzlerin (oder einen Nachfolger) an der Spree, wenn es darum geht, das friedliche und demokratische Zusammenleben auf unserem Kontinent zu gestalten. Ohne verlässlichen Partner in Paris sind auch Brüssel und Berlin aufgeschmissen.
Von einer Wiederholung des Duells François Hollande gegen Nicolas Sarkozy aber halten die meisten Franzosen gar nichts. Über 70 Prozent graut vor der Vorstellung, dem Schauspiel von 2012 noch einmal beiwohnen zu müssen. Und sie müssen auch nicht. Davor stehen die Vorwahlen im Herbst und Winter, die diesmal jedes Lager auf der Suche nach dem Siegertypen für die eigentliche Wahl veranstalten wird.
Schauen wir also auf die Vorwahlen westlich des Rheins, in denen in den nächsten Wochen darüber entschieden wird, wen die einst großen Parteien der klassischen Rechten (Gaullisten, Konservative, Liberale) und der klassischen Linken (Sozialisten, Kommunisten, Grüne) im ersten Wahlgang am 23. April 2017 ins Gefecht gegen die ganz Linken (Linkspartei) und die ganz Rechten (Front National) schicken wollen.
Denn deren Kandidaten stehen bereits fest. Jean-Luc Mélenchon, der ehemalige Sozialist, der 2012 für die „Linksfront“ im ersten Wahlgang in die Wahl zog, an der neben mehreren kleinen Linksparteien auch die nun ebenfalls kleine, alte KP beteiligt war, hat sich bereits selbst zum Kandidaten erklärt, auch ohne den Segen der Kommunisten. Und Marine Le Pen geht selbstverständlich für die Front National in die Wahl – mit der laut vielen Umfragen guten Aussicht, aus dem ersten Wahlgang mit rund 30 Prozent der Stimmen als Siegerin hervorzugehen. Damit wäre sie für die Stichwahl gesetzt. Bei den Vorwahlen der Rechten und der Linken sowie der Grünen geht es also vor allem darum, wer gegen Le Pen im zweiten und entscheidenden Wahlgang am 7. Mai 2017 antreten darf.
Die Grünen, die sich außerhalb der derzeitigen Parlamentsmehrheit verorten, werden am 16. Oktober den Anfang machen und ihren Anhängern die Auswahl unter vier Kandidaten überlassen, deren Namen man sich nicht merken muss. Der zweite Wahlgang unter den zwei Bestplatzierten wird am 6. November stattfinden. Dann wird zumindest die Linke wissen, wer außer Mélenchon noch den Kandidaten der Sozialisten, der ja unter „normalen“ Umständen der amtierende Präsident wäre, entscheidende Stimmen im ersten Wahlgang kosten könnte.
François Hollande selbst muss sich noch der Vorwahl stellen. Einen Amtsbonus hat er angesichts seiner dauerhaft miserablen Umfragewerte sowieso nicht, so dass die Aufmüpfigen unter den regierenden Sozialisten sich derzeit ihre Köpfe darüber zerbrechen, ob und wie ein gemeinsamer Gegenkandidat aufgestellt werden kann, damit „die Linke 2017 gewinnen kann“. Arnaud Montebourg und Benoît Hamon, beide Minister in der ersten Regierung des Präsidenten Hollande bis 2014, haben sich diese Schlacht bereits 2011 geliefert und gegen Hollande verloren. Sie haben derzeit die besten Aussichten, die von dem doch nicht so linken Präsidenten enttäuschten Linken bei den Sozialisten hinter sich zu versammeln, um dann für die gesamte Linke gegen Le Pen antreten – und gewinnen zu können. Aber wer genau sich dieser Vorwahl stellen will, steht noch nicht fest. Bewerbungsschluss ist im Dezember.
Der Präsident freilich hat, noch ohne sich offiziell festzulegen, in einer kämpferischen Rede schon mal zu erkennen gegeben, wie er um seine Wiederwahl zu kämpfen gedenkt: Als Kriegsherr gegen den Terrorismus und zugleich Verteidiger des Rechtsstaats. Dies wäre auch die einzige Chance für seine Wiederwahl. Aber dafür muss er erst einmal Kandidat sein, wofür er nach laufenden Umfragen gute Chancen hat, wenn er sich der Vorwahl stellt, die die „Belle Alliance Populaire“, die „Schöne Volksallianz“, aus Sozialisten, den ihr nahestehenden Radikalen (Linksliberale) und auch einem Teil der Grünen, am 22. und 29. Januar 2017 abhalten wird.
Dann muss er es im April natürlich auch noch in die Stichwahl schaffen, was keineswegs sicher ist. In den Hinterköpfen der Sozialisten steckt dabei das Trauma vom 21. April 2002, als der damals amtierende sozialistische Premierminister Lionel Jospin im ersten Wahlgang gegen den amtierenden gaullistischen Präsidenten Jacques Chirac hinter Jean-Marie Le Pen auf dem dritten Platz landete und Chirac anschließend im zweiten Wahlgang die meisten Sozialisten-Stimmen einheimsen konnte. Diesmal möchte der amtierende sozialistische Präsident den Spieß umdrehen und derjenige sein, der den Chirac-Zögling Alain Juppé oder den einstigen Widersacher Sarkozy auf die Plätze verweist und dann auch die bürgerlichen Anti-Le Pen Stimmen einkassieren kann.
Ob dieser Traum Hollandes wahr wird hängt entscheidend auch davon ab, wen die klassische Rechte ins Rennen schickt, die zum ersten Mal eine „offene Vorwahl der Rechten und des Zentrums“ veranstalten wird. Sie findet am 20. und 27. November statt. Die offizielle Kandidatenliste, verkündet am 21. September, umfasst sieben Namen. Die besten Aussichten haben Alain Juppé, ehemals Premierminister unter Jacques Chirac, der mit seiner Idee einer „glücklichen Identität“ der Franzosen und den „3 E“ – Ecole, Etat, Emploi, also: Schule, Staat, Arbeit – eine bürgerliche Wählerschaft ansprechen will, die bis weit in die Mitte und ins linksliberale Spektrum reicht. Und Nicolas Sarkozy, der, wie gesagt, die Nationale Front rechts überholen will und seine „3 I“ propagiert – Identité, Immigration, Islam, also: Identität, Immigration, Islam – und damit auf die gesamte rechte Wählerschaft zielt. Juppé hat monatelang mit bis zu 20 Prozentpunkten Vorsprung die Kandidatenliste der Rechten angeführt. „Sarko“, der immer noch über eine begeisterungsfähige Anhängerschaft verfügt, Revanche für die Niederlage von 2012 sucht und sich als seriöse Alternative zu Nationalen Front präsentiert, Terrorverdächtige in geschlossene Lager stecken, Kleidervorschriften für den öffentlichen Raum erlassen und den Rechtsstaat den Gefahren durch den Terrorismus „anpassen“ will, hat in einem Parforce-Ritt in wenigen Wochen in den Umfragen aufgeholt und liegt jetzt gleichauf mit Juppé. Mit deutlichem Abstand folgen Francois Fillon, Sarkos einstiger Premierminister, der nun tun will, was er fünf Jahre lang als leitender Mitarbeiter des Präsidenten angeblich nicht tun konnte und sich als die seriöse Version des abgewählten und immer wieder in juristische Händel verstrickten Sarkozy empfiehlt. Und Bruno Le Maire, junger Agrarminister unter Fillon, der mit einem 1000seitigen Programm zeigen will, wie ernst er Regierungsverantwortung nehmen will.
Kurz und gut – bei den Vorwahlen der Rechten im November wird sich als erstes erweisen, ob die extreme Rechte die Themen des Wahlkampfs und dann womöglich auch die Politik einer künftigen Regierung bestimmt oder nicht. Mit Blick auf Sarkozys Avancen an die Wähler des FN hat Marine Le Pen schon mal erklärt: „Es wird schwer sein, die Ideen der Nationalen Front zu verteufeln, nachdem man sie vertreten hat.“
Detlef Puhl ist ehemaliger Journalist und langjähriger Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums in internationalen Verwendungen, darunter mehrere Jahre in Paris. Er lebt im Ruhestand in Bonn und in Salbris (südlich von Orléans).
Schlagwörter: Detlef Puhl, Francois Hollande, Frankreich, Marine Le Pen, Nicolas Sarkozy, Präsidentschaftswahlen, Vorwahlen