von Fabian Ärmel
Ich fragte ihn: „Was machen Sie denn so?“ – „Erfahrungen“, sagte er.
Lothar Kusche
„Nun geben Sie doch zu, dass Sie Fabian Ärmel sind, lieber Lothar Kusche!“ So schrieb mir ein Leser 1998, als ich seit einigen Monaten im Blättchen die Rubrik „Wirsing“ bediente. Natürlich war sie am „Kohl“ orientiert, einer Sprachglosse, die Kusche als Felix Mantel viele Jahrzehnte in der Weltbühne betrieb und die die Leserschaft oftmals laut auflachen ließ. Inzwischen hatte Felix Mantel die Rubrik bei Ossietzky wiederaufleben lassen. „Weil die mich eher gefragt haben“, erklärte er mir. Sonst wäre er wahrscheinlich auch beim Blättchen gelandet, aber für beide zu schreiben war ihm zu viel. So kam es ihm zupass, dass ich ihn im Blättchen „vertrat“. Dass Leser uns verwechselten, war kein Zufall. Ich hatte in meinem Leben schon so viel von Kusche und Mantel konsumiert, dass ich gar nicht anders schreiben konnte als mein Vorbild. Auch, dass ich Abonnent der Weltbühne wurde, ging auf ihn zurück. Nachdem ich seine Bücher „Wie man einen Haushalt aushält“, „Der gerissene Film“ und „Die Patientenfibel“ verschlungen hatte, kaufte ich mir die Weltbühne, weil er dort so häufig vertreten war, und abonnierte sie bald. Dabei las man ihn dort viel öfter, als ich ahnte. Dass er mir 1979 in sein Kellner-Willi-Buch die Widmung „Mit Kohl-Grüßen von Felix Mantel alias Lothar Kusche“ schrieb, bestätigte meine Vermutung. Durch Stilvergleiche kam ich dahinter, dass Kusche auch Hanns Werner Kreutzer war. Aber wer weiß schon, dass er auch hinter Adrian und Bedrian, Oswald Kilian, Gaston Renoir, E.L. Heinrich, Kiks und Theo steckte? Die vielen PS brauchte er, weil er so viel zu sagen hatte, dass er in jedem Heft mehrfach als Kusche vertreten gewesen wäre. Damit überbot er sein Vorbild Kurt Tucholsky, den „Mann mit den 4 PS“ um mehr als das Doppelte.
Tucholsky hatte als Peter Panter seinen letzten kurzen Weltbühnen-Text 1933 veröffentlicht und starb 1935 im Exil. Der „kleine dicke Berliner“ fehlte bitter, als die Weltbühne 1946 von Maud von Ossietzky erneut herausgegeben wurde. Ab 1950 machte sich der 21-jährige Lothar Kusche daran, ihn zu ersetzen. Auch wenn er damals noch ein schmales Bürschchen war, wurde er Tucho mit den Jahren immer ähnlicher, und wer weiß? Der Bart, den sich Kusche in reifen Jahren zulegte, hätte vielleicht auch dem reifen Tucholsky gestanden. Kusche schrieb Glossen, satirische Geschichten (die allerdings vorrangig im Eulenspiegel erschienen), Reiseberichte, Film-, Theater- und Buchrezensionen. Ein Gebiet gab es allerdings, auf dem er es mit seinem Vorbild nicht aufnehmen konnte: Aus Kusches Feder flossen so gut wie keine Gedichte. Es sei denn, er parodierte einen Lyriker, und darin war er brillant.
Auch dem politischen Journalisten Tucholsky versuchte Kusche, der eine Zeitlang als stellvertretender Chefredakteur der Weltbühne fungierte, es gleichzutun. Er war zwar kein Rechercheur, aber ein Polemiker. Adenauers restaurative Republik und Brandts Frontstadt, der RIAS und die Springer-Presse wurden mit grimmigem Witz bedacht. Daraus entstanden Sketche für das Berliner Kabarett „Distel“ und Kurzfilme für die Stacheltier-Produktion der DEFA. Manchmal spielte er auch mit, und wie er in seinen Leseprogrammen Pointen verkaufte, macht ihm kein Profi nach. „Lothar Kusche ist eigentlich Schauspieler“, schrieb sein Freund und Kollege Hans Krause. „Er weiß es bloß nicht.“
Gelegentlich wurden Kusche auch Preise verliehen – den Rahmen bildeten 1960 der Heinrich-Heine-Preis und 2007 der Kurt-Tucholsky-Preis (den er sich mit Otto Köhler brüderlich teilte). Was könnte Lothar Kusche besser ehren, als Preise im Namen dieser beiden großen Satiriker!
Mit Tucholsky hat auch zu tun, dass ich noch einmal für Kusche gehalten wurde. Gisela May, eine langjährige gute Freundin Kusches, wurde vor Jahren die Ehrenmitgliedschaft der Kurt Tucholsky-Gesellschaft verliehen. Kusche war als Laudator angekündigt, musste aber in letzter Minute absagen, so dass mir die Ehre zuteilwurde, die große Diseuse mit meinen Worten zu würdigen. Eine Dame aus dem Publikum hatte das wohl nicht ganz verstanden, denn nach dem Auszeichnungsakt kam sie zu mir und meinte: „Ich habe Sie mir nicht so jung vorgestellt, Herr Kusche!“
Nachdem Lothar Kusche am 20. August in den Satiriker-Himmel berufen wurde, werde ich versuchen, ihm mit dem einen oder anderen Text nachzueifern, wenn auch nicht als Mantel, sondern als bescheidener Ärmel!
Schlagwörter: Fabian Ärmel, Lothar Kusche, Nachruf, Satire