19. Jahrgang | Nummer 17 | 15. August 2016

Streifzüge durch Oberitalien – San Leo, Pergola & Acqualagna

von Alfons Markuske, notiert in Urbino

Die Profession des Hochstaplers ist keineswegs ausgestorben, wie eine Bundestagsabgeordnete der SPD gerade erst wieder in Erinnerung gerufen hat. Doch mit welchʼ bescheidener Performance! Lediglich ein Abitur und einen Juraabschluss hat sie zu ihrer Vita hinzugeschwindelt.
Da war Giuseppe Balsamo doch von ganz anderem Kaliber. Der ließ Albergheria, das Armenviertel von Palermo, in dem er aufgewachsen war, hinter sich und legte eine Laufbahn als ebenso geschäftstüchtiger wie begnadeter Okkultist, Alchemist und Scharlatan hin, in deren Verlauf er die Herrschenden in halb Europa narrte – unter anderem mit dem Versprechen, Gold zu machen – und um ein Haar Zugang selbst zum Hofe der russischen Zarin Katharina II. erlangte. Als ihn die päpstliche Polizei schließlich Ende 1789 in Rom dingfest machte, schob er im anschließenden Prozess vor der Heiligen Inquisition den Ausbruch der Französischen Revolution den Freimaurern in die Schuhe und rettete so seinen Hals.
Natürlich hatte Balsamo auch seinen bürgerlichen Namen gegen einen weit standesgemäßeren ausgetauscht: Zeitgenossen und Nachwelt kannten und kennen ihn als Alessandro Graf von Cagliostro.
Den Kerker verlassen durfte er allerdings bis zu seinem Tode nicht mehr. Die letzten vier Jahre verbrachte er unter jämmerlichen Bedingungen auf der Feste von San Leo, wo er auch begraben ist. Der Ort liegt nahe der ältesten Republik der Welt, San Marino, und auf der Reiseetappe von Ravenna nach Urbino quasi am Wegrand.
Das dortige Trutzwerk thront weithin sichtbar und geschützt von zwei mächtigen runden Türmen auf der Kuppe des zu römischen Zeiten als Mons Feretrius bezeichneten Stadtberges, in einer luftigen Höhe von 600 Metern. Im 15. Jahrhundert im Auftrag des Herzogs von Urbino, Federico von Montefeltro, als viereckige Festung errichtet, war der Komplex zu seiner Zeit praktisch uneinnehmbar. Heute weist die Festung allerdings einen fast dreieckigen Grundriss auf, nach Absturz eines Teils der ursprünglichen Anlage am Berghang.
Seit dem 18. Jahrhundert diente die Burg dem Vatikan als Gefängnis. Das heutige Museum beherbergt außer Caliostros Zelle auch noch eine formidable Sammlung mittelalterlicher Folterinstrumente.
In einer knappen Autostunde ist von Urbino aus Pergola zu erreichen. Dass der gleichnamige, meist berankte Säulen- oder Pfeilergang dort erfunden worden wäre, ist zwar nicht verbürgt, doch beherbergt die Kleinstadt in der Region Marken, die den Übergang zu Mittelitalien bildet, in ihren Mauern eine archäologische Weltsensation. Für die ist der Begriff Kleinod völlig unzutreffend, denn es handelt sich um eine lebensgroße Gruppe vergoldeter Bronzestatuen aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert, die einst aus zwei Reitern auf Pferden sowie zwei stehenden Frauenfiguren bestanden hat.
Aufgefunden wurden die erhaltenen Teile dieses Artefakts 1946 auf einem Acker in Santa Lucia di Calamello nahe Pergola – in Gestalt hunderter Einzelstücke; die meisten klein, einige wogen aber auch bis zu mehreren hundert Kilogramm. Die phasenweise Restauration – ein Meisterwerk, das dem ursprünglichen Schöpfungsakt nur wenig nachstehen dürfte – begann 1946 und dauerte bis 1988. Insgesamt wurden 318 Teilstücke zusammengefügt. Das Ensemble ist heute in einem eigens dafür eingerichteten Museum zu bestaunen.
Nur reichlich eine halbe Autostunde von Pergola entfernt befindet sich das Zentrum Italiens für den Handel mit einem kulinarischen Kleinod, dem Trüffel, und zwar sowohl dem schwarzen als auch dem weißen. Und das ist keineswegs Alba, wie viele meinen, sondern Acqualagna. Alba, so sagen Einheimische, habe zwar den bekannteren Namen, Acqualagna hingegen das größere jährliche Aufkommen – über 10.000 Kilogramm schwarzer und zwei- bis dreihundert Kilogramm weißer Trüffel. Von letzterem kostet in Japan dann ein Kilo schon mal bis zu 15.000 Euro und ist mit bis zu 9.000 Euro hierzulande auch noch nicht wirklich billig.
Trüffelschweine allerdings findet man in Acqualagna keine. Gesucht wird nämlich bereits seit langem nur noch mit speziell abgerichteten Hunden, weil die im Unterschied zu den anderen Vierbeinern nach dem Aufspüren keinerlei Drang entwickeln, die teuren Knollen gleich selbst zu fressen.
Trüffel genießen kann der touristische Besucher in einem der einschlägigen Restaurants am Ort, wo die Speisekarte gegebenenfalls Angebote enthält, dass für ein Dreigangmenü – Vor- und Hauptspeise sowie Dessert – jeder Gang „getrüffelt“ gewählt werden kann … Danach dann vielleicht noch ein Gang in eines der Trüffelgeschäfte, wo es neben Wegigem wie frische Knollen oder Trüffelöl auch Abwegiges gibt – etwa Trüffel-Grappa.
Sonst ist Acqualagna ziemlich belanglos. Allerdings hat einer der Söhne des Ortes Eingang in die italienische Nachkriegsgeschichte gefunden – Enrico Mattei, Chef der 1953 gegründeten staatlichen Erdölgesellschaft ENI, die den damals global dominierenden sieben anglo-amerikanischen Ölkonzernen Konkurrenz durch günstigere Preisvereinbarungen machte. Mattei kam 1962 auf einem Flug von Cattania, Sizilien, nach Mailand ums Leben, als die Maschine abstürzte. Offiziell wurde der Vorfall zum Flugzeugunglück erklärt. Zweifel bestanden aber von Anfang an und erhärteten sich später. Als etwa 1970 der Filmregisseur Francesco Rosi den Journalisten Mauro De Mauro beauftragte, die letzten Tage des Managers für einen Film („Der Fall Mattei“, 1972) zu recherchieren, verschwand der Journalist spurlos, kurz nachdem er auf eine aufschlussreiche Spur gestoßen war. Sein Leichnam wurde nie gefunden.
Auf der Rückfahrt nach Urbino lohnt ein Abstecher zur Furloschlucht. Die Anfahrt erfolgt über die alte römische Via Flaminia, die seit der Antike Rom mit der Adria verbindet. Steile kahle Felsen ragen zu beiden Seiten des mäandernden Wildwasserflusses Candigliano auf, so dass kaum Platz für die Straße bleibt. An einer besonders schmalen Stelle ist ein Tunnel zu passieren, der von römischen Legionären mit Hammer und Meißel durch den Fels geschlagen wurde, wie die Spuren an den Wänden eindrucksvoll bezeugen – 76 nach Christus, im Auftrag des damaligen Kaisers Vespasian. Das ganze Gebiet ist Naturpark mit seltener Flora und Fauna. Mit etwas Glück zieht der Steinadler am Himmel seine Kreise.