19. Jahrgang | Nummer 15 | 18. Juli 2016

Streifzüge durch Oberitalien – Dozza und Brisighella

von Alfons Markuske, notiert in Ravenna

Unter den Orten an den Hängen des Apennins stechen zwei kleine Perlen besonders hervor – Dozza und Brisighella, die auf dem Weg von Bologna nach Ravenna gut en passant zu besuchen sind.
Dozza, ein mittelalterliches Hügelstädtchen mit etwas über 6500 Einwohnern, liegt nur acht Kilometer von Imola entfernt, wo jahrzehntelang Formel 1-Rennen – bis 2006 in Gestalt des Großen Preises von San Marino – jährlich für immense Besucherzuströme sorgten. 1994 war dort bekanntlich der brasilianische Weltmeister Ayrton Senna bei einem Rennunfall ums Leben gekommen. Und auch heute noch ist das Autodromo Enzo e Dino Ferrari Austragungsort gut besuchter Motorsportveranstaltungen.
Dozza hatte davon nie etwas. Vor 60 Jahren war der Ort mit seinen Gässchen und pittoresken Torbögen eine vergessene Kleinstadt, abseits der großen Kommunikationswege. Völlig ohne Tourismus. Doch dann erfand Dozza sich neu, lud 1960 erstmals Maler ein und stellte ihnen Hauswände zur Verfügung – das war die Geburtsstunde der „muro dipinto“, der „bemalten Wand“. Der erste Durchgang war trotz Regens ein Erfolg. Bis 1964 folgten jährlich weitere. Danach wurde das Event als Biennale del Muro Dipinto fest etabliert und findet seither alle zwei Jahre statt, das nächste Mal 2017.
Die Rechnung ging auf. Dozza wurde rasch bekannt und gilt heute als „Hauptstadt der modernen Kunst“ – eine Gemäldegalerie unter freiem Himmel mit einer einzigartigen Vielfalt an Stilen und Sujets. Das ist wahrlich eine Kunst gewordene Versinnbildlichung des sprichwörtlichen „muro bagnato, muro fortunato“ (nasse Wand, glückliche Wand).
Der Besucher parkt seinen Wagen am besten vor einem der Stadttore und erreicht dann hügelan in wenigen Fußminuten, die sich durch das Betrachten der Fresken natürlich entsprechend verlängern, den zentralen Platz von Dozza, der von der wuchtigen Rocca Sforzesca beherrscht wird, einer Burg aus dem 15. Jahrhundert. Wie der Name schon sagt, gehörten Burg und Ort dereinst zum Reich der Sforzas, einer der mächtigsten Renaissance-Familien Italiens, die, wenn auch mit Unterbrechungen, von 1450 bis 1535 als Herzöge von Mailand die Lombardei beherrschten.
Heute eröffnen die zwei kompakten Rundtürme der Burg mit bis zu 16 Metern Durchmesser und einer Mauerstärke von bis zu sechs Metern einen hervorragenden Ausblick auf eine liebliche Hügellandschaft, deren Böden einige der erlesensten Weine der Emilia-Romagna gedeihen lassen – wie den Trebbiano, den Sangiovese und den ebenso alten wie berühmten Albana di Romagna, der als erster Weißwein 1987 den DOCG-Status erhalten hat.
Und weiter geht es nach Brisighella, „das geradezu unverschämt romantisch auf Kreidefelsen zwischen Weinbergen, Olivenhängen und Zypressen schlummert“, wie ein Reiseführer schwärmt, den – so wissen wir nach der Visite – der Übertreibung zu zeihen keine Veranlassung besteht. Ein teils steil ansteigendes Gassengewirr führt zu den drei imposanten Felsen, die den Ort hoch überragen – auf einem thront die 600 Jahre alte Feste Manfrediana e Veneziana, auf dem zweiten eine Wallfahrtskirche aus dem 18. Jahrhundert und auf dem dritten ein eher missratener Uhrenturm aus dem 19. Jahrhundert.
Mitten im Gewirr der Gassen und weltweit einzigartig – der urigste Laubengang Italiens, die Via del borgo oder degli asini aus dem 15. Jahrhundert. Sie erstreckt sich über eine längere Häuserfront im Stadtzentrum, und zwar nicht auf Straßenniveau, wie es in Bologna und anderenorts der Fall ist, sondern in Höhe des ersten Stockwerkes. Denn ursprünglich war die Via als Verteidigungsgang angelegt, und das in einer Breite, die auch ein Befahren mit Eseln und Karren gestattete.
Bemerkenswert: Brisighella hat zwar nur tausend Einwohner mehr als Dozza, brachte aber allein im XX. Jahrhundert neben drei Kurienkardinälen noch je einen Erzbischof und einen Bischof hervor. Diese „Dichte“, gemessen an der Größe, dürfte nicht leicht zu toppen sein.
Kulinarisch ergiebiger ist allerdings der Sachverhalt, dass Brisighella von Gourmets für sein Olivenöl gerühmt wird. Die erste Ölmühle sollen hier die Römer bereits im zweiten Jahrhundert nach Christus errichtet haben. Heute wird das Brisighello genannte pfeffrig-scharfe regionale Öl mittels einer besonders aromaschonenden Methode gewonnen.
Die letzte Etappe dieses Tages von Brisighella nach Ravenna beträgt keine 60 Straßenkilometer und ist rasch bewältigt.