19. Jahrgang | Sonderausgabe | 11. Juli 2016

„Loadengeschichten“ und mehr aus Bossdom

von Ulrich Kaufmann

Der Bohsdorfer Strittmatter-Verein hat ein Jubiläum zu vermelden, wird er doch im Sommer zwei Jahrzehnte alt. Dies bot Freunden, Lesern, Familienangehörigen des Dichterpaares, Literaten, Theaterleuten und bildenden Künstlern Anlass, sich auf vielfältige Weise an die Lyrikerin und den Erzähler zu erinnern. Die erste titelstiftende Idee, „Loadengeschichten“ zu erzählen, wurde aufgegeben, da sie zu sehr nur auf die Anfänge und namentlich auf Erwin Strittmatter fokussiert gewesen wäre. Der nunmehrige Titel „Von Bohsdorf nach Schulzenhof“ steht eher für den Weg, den beide mit ihrer Familie gegangen sind. Ihre Leser wissen, dass die Strittmatters streitbare Leute waren und dies noch immer sind, nicht jeder ist jedem grün. Und so konnten nicht alle Texte, die die Herausgeber Renate Brucke und Matthias Stark vorsahen – etwa Strittmatters frühe Hundegeschichte „Flock“ und mancher Brief – abgedruckt werden. Bei beiden Strittmatters handelte es sich im besten Sinne um „Volksschriftsteller“: Sie wurden von hunderttausenden Menschen gelesen, geliebt und verstanden. Und so ist es nicht verwunderlich, wenn nun, ermuntert durch den Literaturverein, zahlreiche Leser selbst zur Feder beziehungsweise zum Zeichenstift griffen. Entstanden sind zahlreiche Gedichte, Anekdoten, Berichte, Interviews, Aquarelle, Linolschnitte, Fotos und manches mehr. Renate Brucke, die nimmermüde Vereinsvorsitzende, schuf einige bildkünstlerische Werke, darunter eine sensible Bleistiftzeichnung Eva Strittmatters. Zudem brachte sie etliche lebende Zeitgenossen, darunter Strittmatters Sohn Knut (aus erster Ehe) zum Reden und legte gar ein fiktives, montiertes Gespräch mit dem längst verstorbenen Verfasser der „Laden“-Trilogie vor. Möge dieses nicht zuletzt Neuleser Strittmatters ansprechen. Das Buch hat auch etwas von einem Sachbuch, wenn etwa über die Arbeit der Laden-Gedenkstätte sowie über die indessen legendären Dorf- und Friedhofspaziergänge berichtet wird. Es dürfte im Interesse der zu Ehrenden gewesen sein, wenn in diesem Almanach Profis und Laien Gemeinsames schufen. So steht gleich eingangs die dunkelböse Radierung von Hubertus Giebe, die uns Erwin im Jahre 1987 zeigt, neben einer ganz neuen Federzeichnung, einem Porträt Evas, geschaffen von Gudrun Stark.
Kritisch anzumerken bleibt, dass das Inhaltsverzeichnis ziemlich missglückt ist, da die viele Autoren dort ungenannt bleiben. Dies trifft beispielsweise auf Judka Strittmatter zu, Erwins erste Enkelin, die bereits den Roman „Die Schwestern“ schrieb und hier mit dem schönen Text „Ein kurzes Glück, ein langes Ende“ vertreten ist. Die Interviewpartner hingegen werden im Inhaltsverzeichnis genannt, darunter Carmen-Maja Antoni, die famose Darstellerin der Anderthalbmeter-Großmutter in den „Laden“-Filmen. Diese zierliche Frau hat es immerhin zum Ehrenmitglied des Strittmattervereins gebracht, dessen Arbeit sie außerordentlich wertschätzt.
Auch Dichter der DDR hatten, zumal in Zeiten des Kalten Krieges, ihre politischen Fehden, ihre Zerwürfnisse. Bei Peter Jokostra, dem Schulfreund aus der Spremberger Gymnasialzeit, und Erwin Strittmatter war dies nicht anders. Einige kulturpolitische Debatten über die Funktion der sozialistischen Literatur, die in den fünfziger und frühen sechziger Jahre geführt wurden, hat Strittmatter als Funktionär des Schriftstellerverbandes prinzipiell, hart, mitunter auch dogmatisch ausgefochten. Später bot er selbst, etwa mit dem „Bienkopp“ und dem dritten „Wundertäter“-Band, dogmatischen Kulturpolitikern genügend Angriffsflächen. Jokostra stand mit seiner Lyrik, die man vormals als westlich-dekadent einstufte, auf der anderen Seite der Barrikade. Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik 1958 hat er zurückgekeilt und vor allem Strittmatter in der Sprache des Kalten Krieges wiederholt scharf angegriffen. Der Strittmatter-Verein hat nicht nur Lorbeeren geerntet, als er diese Debatten zuließ, dazu Referenten einlud. In der Biografie von Annette Leo, ebenso in dem neuen Buch kann man die alten Dispute nachlesen und sich ein Urteil bilden. Lieben muss man Jokostra wohl nicht, aber auch dieser streitbare Zeitzeuge und Autor sollte auf einer angedachten Dichterstraße seinen Platz finden. Geben wir der Lyrikerin aus Schulzenhof und zugleich dem zweiten Herausgeber Matthias Stark, der seit Jahren Gedichte schreibt, die Ehre. Sein dreistrophiger lyrischer Text „Eva S.“ endet so:

Vögeln gleich fliegen die Worte
von Schulzenhof nach hier und dort,
erreichen ungeahnte Orte
und leben in den Herzen fort.

Renate Brucke / Matthias Stark (Herausgeber): Von Bohsdorf nach Schulzenhof – Auf den Spuren von Eva und Erwin Strittmatter, SEW-Verlag, Dresden 2016, 167 Seiten, 13,00 Euro.