14. Jahrgang | Nummer 5 | 7. März 2011

Markttreiben im Märkischen Museum

von Renate Hoffmann

Das Thema der Ausstellung sprach sich in Windeseile in der Stadt Berlin herum:  Das „Märkische“ zeigt Kaufmannsläden aus seiner Sammlung. Sie seien ja auch Gegenstand von Kinderträumen, hieß es in der Einladung. Wer nun annahm, im Museumshaus in ein Kindergedränge zu geraten, der irrte. Es schoben sich alle Generationen durch die Räume.
Großeltern, mit dem Schritt über die Schwelle, schwelgten in Erinnerungen, erkannten vieles vom Ausgestellten, knüpften Episoden daran und erklärten den Enkeln und Urenkeln das Leben vergangener Tage. Eltern sahen sich ständig gefordert, ihre Sprösslinge zu ermahnen, nichts anzufassen oder gar auseinander zu nehmen. Und die Kinder … scherten sich um nichts. Am wenigsten um den didaktischen und kulturhistorischen Wert, die Entwicklung der Verkaufskultur und um wirtschaftliche Aspekte, die allesamt in dieser Ausstellung verborgen sind. Das überließen sie den Erwachsenen, die ebenso mit Wonne von Raum zu Raum gingen, ihr Gefallen aber nicht so lauthals äußerten wie die Kleinen.
Man steht vor der „Blumenhalle Flora“. Fein und klein, mit blühenden Töpfen bestückt und einer hübschen Verkäuferin hinter dem Ladentisch, so hübsch wie ihre floralen Arrangements. Das Blumenlädchen aus der Zeit um 1819 ist zerlegbar und kann flugs in einer Originalschachtel verschwinden.
Die Gemischtwarenläden sind umlagert. Eine Fülle des Angebotes, in Fächern, Fässchen, Körben und Glasgefäßen untergebracht, erwartet die Schaulustigen. Hirse, Reis, „Zimmet, Muscat, Cigarren“, Mehl und Leim. „Wie schreiben die denn Zimt und Zigarren?“ „Das war doch 1875. Da schrieb man eben anders!“ „Komisch.“
Zunehmend mit den Jahren ändern sich die Auslagen: Waschmittel, Weinbrände, Obst, Gemüse, Kaffee werden angeboten, Nudeln und Schokolade und Liebesperlen (von den Kleinsten sofort erkannt). Behältnisse für „Warme Würstchen“ und  „Heringe“ stehen bereit. Maggi Brühwürfel gibt es und Chlorodont-Zahncreme. Der Gemischtwarenladen aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts verfügt selbstverständlich über eine Kühltruhe mit köstlichem Eisangebot.
Die Kolonialwarenläden locken mit „Thee“, feinsten Konfitüren, Kümmel und Sultaninen. Alle Ladengeschäfte verfügen über beste Ausstattung. Tüten und Einwickelpapier sind ausreichend vorhanden. Waagen und Gewichte stehen auf den Verkaufstischen. Anwesende Verkäufer und Verkäuferinnen bieten, adrett und hygienisch untadelig gekleidet, ihre Waren an.
Vor dem Fleischerladen (um 1890) stellt sich eine Sinnestäuschung ein. Es scheint nach kräftig geräuchertem Speck und Majoran zu riechen. An der am Haken hängenden Schweinehälfte fehlt eine Hinterextremität. Entweder fiel sie der Zeit zum Opfer, oder sie wurde bereits als Eisbein verkauft. – Im Fischwarengeschäft findet man Bestimmungstafeln für Fluss- und Seefische, Heringskisten und Eimer mit gehälterten Fischen – vermutlich die Silvesterkarpfen. Kleine Flaschen mit noch kleineren Segelschiffen darin dienen der Dekoration.
Nun erst die Hut-, Stoff- und Putzläden! Vom Tiroler Hut bis zum schwingenden Florentiner, von breitkrempigen Strohhüten für den Sommertag bis zur kecken Schute – die Kreationen ermuntern, wieder einen Hut zu tragen. Kopfschmuck für die Flaniermeile, bebändert, umschleiert, mit Federn und Blüten garniert. Stoffballen, Samt und Seide, Spitzen, Perlentäschchen und Muffs (oder Muffe oder Müffs?) komplettieren das Angebot.
Das Apothekengeschäft empfiehlt wärmstens „ENERMENT“. Hilft „gegen Müdigkeit, Kopfschmerz, Schnupfen, Zahnschmerz u.a.m., durststillend. Das wirksame Hausmittel zur Kräftigung und Belebung der Nerven.“ In der Schreibwarenhandlung liegt neben allerhand Krimskrams „Der Oberschwäbische Anzeiger“ aus. Läden für Antiquitäten, Milchprodukte und Kosmetika sind zu besichtigen. Geflochtene klitzekleine Kunstwerke stellt der Korbwarenladen aus: Reiseköfferchen, Körbchen mit und ohne Deckelchen und Schälchen. Sogar den Selbstbedienungsstand findet man vor. Regen Zuspruchs erfreuen sich besonders die Spielzeugkaufmannsläden. Hier höre ich die meisten Ermahnungen: „Du sollst doch nichts anfassen!“ – Die große Welt von Handel und Wandel im Kleinen. Mit Sachkenntnis, Geschick und Spielfreude durch die Jahrhunderte immer aufs Neue gezaubert.
Bereicherung erfährt die Ausstellung durch Werbeschilder – bildhaft und wortreich –, durch Grafiken, Gemälde, Fotos und Gegenstände, die vom berlinischen Marktleben erzählen. Die Entwicklung der großen Unternehmen Gerson, Wertheim und Tietz lässt sich verfolgen. Vornean Carl Andreas Julius Bolle (1832-1910), der 1879 eine Molkerei gründete und schon bald darauf seine blendend weißen Wagen durch die Stadt fahren ließ und Milch zapfte. Bolles mobiler Ausschank, en miniature, ist ebenfalls unter den Raritäten der Ausstellung, und der Molkereibetreiber empfiehlt sich den Hausfrauen: „Unter Garantie der Unverfälschtheit verkaufe ich … diverse Käsesorten, Butter, Schlagsahne, Sahne, Buttermilch, Magermilch … Vollmilch das Liter 0,18 M. Die Besichtigung der Meierei ist Montags und Donnerstags nachm. pünktlich 2 Uhr gestattet.“ – Wer kommt mit?

Was darf’s denn sein? Kinderträume – Kaufmannsläden. Sonderausstellung im Märkischen Museum Berlin, Am Köllnischen Park 5. Öffnungszeiten: Di, Do-So 10-18 Uhr ; Mi 12-20 Uhr.