von Ulrich Scharfenorth
Ausgehende Rohstoffe sind für fast alle Medien ein zentrales Thema – ganz gleich ob es sich um Erdöl, Kohle, Erze oder Mineralien handelt. Viele Substanzen, vor allem extrem wichtige, werden knapp, andere gehen gänzlich aus, und das schon in den nächsten 20 bis 40 Jahren. Dass einige der Stoffe/Mineralien zudem nur in einzelnen Regionen vorkommen, verschärft die Lage zusätzlich. Wie sollen wir künftig unsere LEDs, Sparlampen, Festplatten und Autos bauen, wenn die sogenannten „seltenen Erden“ (dazu gehören: Scandium, Yttrium, Lanthan, Cer, Praseodym, Neodym, Promethium, Samarium, Europium, Gadolinium, Terbium, Dysprosium, Holmium, Erbium, Thulium, Ytterbium und Lutetium) noch seltener und schließlich rationiert werden. Womit beschicken wir unsere Chemie- und Pharmaindustrie, wenn auch die fossilen und andere Rohstoffe wegbrechen?
Plötzlich wissen die Geologen, dass China über 50 Prozent der Vorkommen an „seltenen Erden“ verfügt und ihren Abbau/ihre Vermarktung zu 95 bis 97 Prozent kontrolliert. Ein Fiasko. Denn ein Monopol im Reich der Mitte bedeutet Abhängigkeit – in einem Maße, wie es niemand vorhersah. Bereits jetzt sind die Preise für ausgewählte Elemente um 50 bis 400 Prozent gestiegen, und die chinesische Regierung behielt sich – einem im August 2010 verbreiteten Statement entsprechend – vor, die Exporte auf unter 10.000 Tonnen pro Jahr zu begrenzen – in die gesamte Welt wohlgemerkt. Anfang Januar 2011 hat sie diese Haltung noch einmal bestärkt mit der Ansage, 2020 nur noch die Hälfte der 2010 exportierten Menge, nämlich ganze 15.000 Tonnen auszuführen. Insider glauben sogar, dass die Ausfuhren mittelfristig auf Null reduziert werden könnten.
Keine Ahnung, was in den Köpfen der westlichen Wissenschaftler, vor allem aber in denen ihrer Bosse vorging, als sie ihren Hightech-Träumen nachjagten und gerade die „seltenen Erden“ in diese Träume einbauten. Heute geht man davon aus, dass für die oben genannten Anwendungen, aber auch für Supraleiter und spezielle Teile der Rüstungstechnik weltweit circa 130.000 Tonnen an seltenen Erden benötigt werden – mit steigender Tendenz: Die Schätzungen für 2015 liegen bei 190.000 Tonnen. Die Mutmaßung, dass Chinesen, vielleicht ja sogar Auslands-Chinesen, solcherlei Richtung beförderten, kann als schlechter Witz abgetan werden. Es war offenbar Dummheit, ein Blackout bei der strategischen Planung strategischer Rohstoffe.
Gut möglich, dass es jetzt äußerst hektisch zugeht. Wie, so könnte man sich fragen, bewegt man die künftige Weltmacht China, ein stabiler Lieferant zu bleiben? Oder: Ist es nicht närrisch zu unterstellen, dass China ein gutwilliger Partner wird? Antworten dazu dürfte es in Kürze kaum geben. Bleibt es aber still und restriktiv, werden wohl die USA und Australien ihre vor Jahren als unrentabel geschlossenen Gruben reaktivieren müssen. Das könnten die dann nochmals gestiegenen Preise hergeben.
Etwas entspannter geht es bei Lithium zu, dem immer wichtiger werdenden „Baustoff“ für Lithium-Ionen-Batterien. Letztere werden derzeit als Non-Plus-Ultra für die effiziente Stromspeicherung gehandelt – wichtig zum Beispiel für das Elektro-Auto. Lithium gibt es vor allem in Südamerika und in Afghanistan. Derzeit werden circa 30 Prozent der Weltförderung vom chilenischen Konzern SQM bestritten (Atacama-Wüste). Auch in der bolivianischen Salzwüste Uyuni lagern riesige Vorkommen (circa 5,4 MillionenTonnen). Präsident Evo Morales möchte sie – anders als die Chilenen – allein durch bolivianische Unternehmen ausbeuten lassen. Ob seine Kraft dafür ausreicht, ist fraglich. SQM jedenfalls scheint vor der Übernahme durch den kanadischen Konzern Potash zu stehen, der seinerseits durch den weltgrößten Bergbaukonzern BHP Billiton bedroht wird. Per Februar 2011 scheint die Lage unverändert. Potash verfügt über 32 Prozent der SQM-Aktien und sitzt in Chile folglich an wesentlichen Schalthebeln. Gleichzeitig leistet Potash nach wie vor heftigen Wiederstand gegen die Übernahmebestrebungen von BHP. Wie auch immer die Rennen ausgehen: Die Erschließung neuer südamerikanischer Vorkommen dürfte ebenso lange dauern wie der Aufschluss der Lagerstätten in Afghanistan. Dort tobt vorerst ein Krieg, bei dem es nicht nur um die Verlegung sicherer Pipelines vom Kaspischen zum Arabischen Meer, sondern ebenso um Rohstoffe geht. Auch hier spielt Lithium neben Eisen, Kupfer, Niob, Kobalt und Gold eine entscheidende Rolle. Insider wollen wissen, dass es gerade dort, wo lukrative Lagerstätten vermutet werden, besonders hart zugeht. Einige der möglichen Ressourcen hat man inzwischen konkret ausgemacht – anhand von „Schatzkarten“, die die Russen hinterließen. Auch Teile der verbleibenden drei Prozent an seltenen Erden werden am Hindukusch vermutet. Noch geht es, was Lithium betrifft, halbwegs geregelt zu. Noch wird das Metall nicht an der Börse gehandelt. Noch laufen krampfhafte Bemühungen, Aktienfonds für die fördernden Unternehmen zu begründen. Dass allerdings dürfte sich schnell ändern. Experten sind sich sicher, dass es sehr bald eine Lithium-Blase geben wird. Schon jetzt wird die Gier nach gewinnträchtigen Papieren extrem angeheizt – unter anderem durch völlig unrealistische Szenarien zum Elektro-Auto. Die Folgen sind absehbar: Schon sehr bald dürfte sehr viel mehr Lithium produziert werden als die Welt braucht, was Kursstürze und Werteverfall nach sich ziehen wird. Die große Zeit für das zweifellos wichtige Metall wird sich erst nach 2020 einstellen – so meine Prognose.
Europa blase jetzt zur Aufholjagd, titelte kürzlich die Rheinische Post, und glaubte zu wissen, dass die EU den weltweiten Wettlauf um Rohstoffe bislang verschlafen habe. Da fragt man sich, wer hier was bewerkstelligen möchte. Zunächst hieß es, die EU-Kommission habe gerade ein Register von 14 Mineralien veröffentlicht, deren Lieferung künftig laut Rheinischer Post mit Mitteln der Außen-, Handels- und Entwicklungspolitik gesichert werden soll. Wie das bei Erzeugerländern geht, die bisher vergebens belagert wurden – denn um solche muss es ja im „Nachholverfahren“ gehen – kann man sich lebhaft ausmalen. Bloße freundliche Diplomatie dürfte da kaum verfangen. Folglich muss man mehr Geld auf den Tisch legen oder mit Druck nachhelfen. Wie der IWF Schuldnerländer zur preiswerten Preisgabe ihrer Rohstoffe „animiert“, ist bekannt.
Auch wenn der aufzuteilende Kuchen Afghanistan anstünde, wüssten sich deutsche Rohstoffkäufer richtig in Szene zu setzen. Daran besteht kein Zweifel. Nur müsste dann mit möglichst aufgestockter Besatzung bis zum siegreichen Ende gestritten werden. Daran aber glaubt inzwischen niemand mehr. Und so dürften sich auch die Erz-/Mineralabbau-Ambitionen recht schnell verflüchtigen. Mich würde nicht wundern, wenn China, Indien, Russland und Saudi-Arabien maßgeblich am erforderlichen Friedensschluss – und dann auch an den lukrativen Explorationen beteiligt wären. Dem Westen bliebe dann allenfalls ein Rückzugsgefecht. Denn sein selbst verordnetes Recht, Rohstoffe im Ernstfall auch mit Waffengewalt zu sichern, ließe sich hier kaum anwenden. Und weil das so ist, sollten sich die maßgeblichen Politiker weniger darum streiten, wem die Schürfrechte unter dem Nordpol gehören, als vielmehr darum, wie man den Rohstoffmangel als Konfliktgrund ausschaltet. Will die Weltgemeinschaft künftige heiße Kriege um die letzten Ressourcen vermeiden, wird sie wohl oder übel die Internationalisierung (und militärische Sicherung) knapper werdender Rohstoffe ansteuern müssen. Das heißt nicht, dass man Gruben und dazugehörende Produktionsstätten, wo immer sie sich befinden, enteignen muss, wohl aber, dass man den fairen und gleichberechtigten Zugang zu ihnen sichert – auf Basis von Preisen, die unter Aufsicht der UN ausgehandelt werden. Diese Lösung ist zwingend, denn jeder, der glaubt, dass man sämtliche ausgehenden Erze/Mineralien durch anders geartete „modernere“ Werkstoffe ersetzen kann, irrt einfach.
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