von Clemens Fischer
Ich bin immer etwas skeptisch, wenn jemand mit Überzeugung von sich behauptet, er habe verstanden, wie es zum Kollaps des Weltfinanzsystems im Jahre 2008, also zum größten Crash seit der großen Weltwirtschaftskrise von 1929, gekommen ist. Ich selbst habe einiges darüber gelesen, aber richtig durchgestiegen bin ich offen gestanden nicht.
Das muss nicht nur daran gelegen haben, dass ich weder Banker noch etwas Artverwandtes bin, denn einer der ganz wenigen, der die Katastrophe und auch in etwa ihren Zeitpunkt vorausgesagt hatte, war der Hedgefondsmanager Michael Burry, ein studierter Mediziner, der selbst unter Asperger, einer Art Autismus, leidet. In akribischer Recherche war er dahinter gekommen, dass US-Banken massenhaft Immobilienkrediten mit flexiblen Zinsen zum Hauserwerb an Darlehensnehmer mit völlig unzureichendem Einkommen ausgereicht hatten. Sobald die Zinsen dieser Kredite ihr flexibles Stadium erreichen würden, wären die dann steigenden Tilgungsraten von den Darlehensnehmern nicht mehr zu bedienen und die Kredite würden massenweise platzen.
Um sich vom Ausfallrisiko zu befreien, hatten die Banken allerdings diese faulen, sogenannten Subprime Kredite mit anderen, nicht so risikobehafteten Darlehen zu Paketen verschnürt und als Anleihen in Gestalt sogenannter collateralized debt obligations (CDO) an andere Banken, Fonds und Großinvestoren verkauft. Die ihrerseits waren mit den CDO zum Teil ebenso verfahren, wofür dann der Begriff synthetische CDO in Mode kam. CDO galten als todsichere Anlagen, da die Papiere durchweg mit Triple A, der höchsten Bonitätsstufe geratet waren. Sobald der massenhafte Ausfall der Subprime Kredite einsetzte, so erkannte Burry, musste der Markt für CDO kollabieren. So kam es dann bekanntlich, nur dass damit in der US-Finanzbranche außer ganz wenigen „Spinnern“ wie Burry niemand gerechnet hatte und dass nicht allein der Markt für CDO kollabierte, sondern das ganze System.
Dieser Effekt ging in entscheidendem Maße auf den parallel boomenden Handel mit Kreditausfallversicherungen, sogenannten credit default swaps (CDS), zurück. Mit denen konnten sich einerseits Eigentümer von CDO gegen Kursverluste ihrer Wertpapiere absichern, aber Investoren zugleich auch auf die Kursentwicklung von CDO wetten. Und da CDS beliebig, ohne an den Besitz von CDO gekoppelt zu sein, kreiert und für dieselben CDO gleich mehrfach in den Markt gebracht werden konnten, war der so aufgeblasene CDS-Markt am Vorabend des Crashs etwa zwanzigmal so groß wie der ihm ursprünglich zugrundeliegende Immobilienkreditmarkt. Und weil diese CDS mit der Welle ausfallender Subprime Kredite ab 2007 über die Kursverluste am CDO-Markt „fällig“ wurden, ergab sich ein Kaskadeneffekt historischen Ausmaßes. Wohl deshalb nannte der Großinvestor Warren Buffet die CDS finanzpolitische Massenvernichtungswaffen.
Dass die Blase ihre gigantische Größe überhaupt erreichen konnte, hatten weitere Faktoren befördert:
- Bei den Machern der Finanzbranche war eine unglaubliche Selbstbereicherungsgier und kriminelle Energie im Schwange.
- Die fand in der Gier und Dummheit nicht weniger Verantwortlicher an der Spitze von Banken, Investmentunternehmen, Hedgefonds sowie anderen Milliarden-Jongleuren und in der Gier und Dummheit von deren Kunden einen idealen Nährboden.
- Ein Übriges taten die Ratingagenturen, die den Schrottcharakter der Subprime Kredite und damit vieler CDO zwar erkannten, aber diese trotzdem Triple A rateten. Warum? Ganz einfach: damit nicht die Konkurrenz das Rating-Geschäft machte.
- Dazu, dass diese Melange sich immer weiter ausbreiten konnte, trug darüber hinaus das parallele Versagen der in ihren Kompetenzen mehr und mehr beschnittenen und kaputt gesparten staatlichen Bankenaufsicht bei: Finanzprodukte wie die hier in Rede stehenden CDO wurden vor ihrer Platzierung am Markt praktisch nicht mehr geprüft. Das hatten im Übrigen ja die Rating-Agenturen bereits getan.
Wenn ich das bis hierher nun vielleicht doch halbwegs fasslich wiedergegeben habe, dann verdanke ich dies einer Lektion der besonderen Art – dem Film „The Big Short“ von Adam McKay, der den verbrecherischen Egoismus und Zynismus der heutigen Finanzindustrie mit adäquat beißendem Sarkasmus so in Szene gesetzt hat, dass auch der interessierte Laie dem Geschehen zu folgen vermag.
Wer nach diesem Streifen allerdings immer noch von den „Selbstregulierungskräften des Marktes“ faselt, der wird sicher auch nicht dadurch vom rechten Glauben abfallen,
- dass von den Hauptverantwortlichen für das Desaster von 2008 kein einziger rechtlich belangt worden ist,
- dass die Ratingagenturen ihr Geschäft heute wie eh und je betreiben,
- dass – quasi als Gipfel der Perversion – das System es seinerzeit (und heute?) zuließ, dass Banken auf Burrys Anfrage hin ein CDS kreierten, mit dem er gegen dieselben Banken und auf den Crash wetten konnte; mit dem Ergebnis, dass sein Fond nach Ausbruch der Krise mit fast 500 Prozent Wachstum auf über 2,5 Milliarden Dollar anschwoll, was ihn zu einem der größten Gewinner machte, und
- dass US-Banken bereits wieder den faulen CDO vergleichbare Produkte vertreiben, wie im Abspann des Filmes vermerkt ist.
„The Big Short“, Regie: Adam McKay. Derzeit in den Kinos.
Schlagwörter: Adam McKay, Bankenaufsicht, Clemens Fischer, Crash, Finanzindustrie, Finanzkrise, Kollaps