von Achim Katt
Lutz Seiler hat der Insel mit „Kruso“ einen ganzen Roman gewidmet. Ulrike Draesner legt jetzt ein sehr persönliches Porträt des Eilands vor der Westküste Rügens nach: „Mein Hiddensee“ heißt ihr im Mareverlag erschienenes Buch, das eine schöne Ergänzung zu Seiler darstellt – und zu Uwe Kolbe, der im Vorjahr ein Büchlein über „Mein Usedom“ publizierte. Draesner, in München geboren und seit den 1990ern in Berlin lebend, ist seit zwei Jahrzehnten zu Gast auf Hiddensee, deren Nordspitze sie an ein Seepferdchen erinnert. Die Beschreibung der landschaftlichen Schön- und Eigenheiten der Insel verbindet Draesner mit persönlichen Auskünften. Sie tritt aber nicht als Ich-Erzählerin in Erscheinung, sondern weist diesen Part einer Protagonistin zu, von der sie in der dritten Person spricht. Was sie aber über Kind und Hund mitzuteilen weiß, dürfte aber durchaus autobiografischer Natur sein.
„Mein Hiddensee“ ist ein solch dichter Bericht, dass er eingangs an ein Prosagedicht und im weiteren Verlauf an eine kompakte Erzählung erinnert. Das dürften nicht nur jene Leser zu schätzen wissen, die sich mit der Insel und ihrer faszinierenden Natur- und Kulturgeschichte bereits beschäftigt haben.
Anders als bei den großen Schwestern Rügen und Usedom gehen die Uhren hier noch immer anders: „Es gilt ein anderes Zeitmaß als ,draußen‘, als in der wirklichen Welt, der ,Landigkeit‘“, so Draesner. Und: „Manchmal denkt sie von der Insel als ihrem Wendegewinn“, heißt es dann. Und: „Wie fremd ihr diese Landschaft beim ersten Mal erschien, so meerisch und östlich“, lesen wir an späterer Stelle. Und beim Blick auf Ostsee auf der einen und Bodden auf der anderen Seite des Eilands kommt sie zu einer Überlegung, die jeder, der diese Küste liebt, schon gedacht hat: sich im Wasser des baltischen Meers aufzulösen zu können. „Es wäre gut, zu schwimmen, zu tauchen, unterzugehen, fort zu sein.“
Heute ein geschütztes Refugium, hat die Flora und Fauna in früheren Jahrzehnten arg gelitten. In der DDR war hier nicht nur Militär präsent, sondern man hoffte auch Erdöl fördern zu können: Die 5. Technische Beobachtungskompanie der 6. Grenzbrigade Küste der Volksmarine, Grenzbataillon 2 war hier stationiert, ab 1967 auch der VEB Erdöl und Erdgas Grimmen, der Bohrtürme am Dornbusch errichtete. Jener Ort, an dem der gleichnamige Leuchtturm seit 1888 sein Licht leuchten lässt.
An den Inselpersönlichkeiten kommt auch Draesner nicht vorbei. Albert Einstein etwa, der gern auf der Terrasse des früheren Hotels „Haus am Meer“ saß, Kaffee trank und Kuchen aß, der damals noch als „Zubeiß“ auf der Speisekarte verzeichnet war. Auch an den Schriftstiller Gerhart Hauptmann muss erinnert werden, wenn von Hiddensee die Rede ist. Der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1912 stilisierte sich in späten Jahren gern als Goethe und war auch sonst von einer erstaunlichen Eitelkeit. Dem ihr erkennbar unsympathischen Dichter hält die Autorin die Vogelwelt entgegen: „Die Lerchen trinken, steigen auf, lassen sich fallen. Schwarmintelligenz statt Ruhmes- und Geltungssucht.“
Draesners Blick geht weit zurück in die Insel-Geschichte. Bis in die Zeit, da hier noch heidnischen Göttern geopfert wurde. Sie erinnert beim Blick in die Kirchenbücher von Hiddensee auch an jene, oft namenlos gebliebenen Menschen, die in früheren Jahrhunderten den Tod vor Hiddensee fanden. Opfer von küstennahen Schiffsuntergängen, die „als Lieblingskatastrophen der Menschheit gelten“.
Ein schönes, thematisch vielfältig verästeltes Buch über die kleine, schmale Insel, das die Vorfreude auf den nächsten Ostsee-Urlaub schürt. Denn nach dem Sommer ist immer auch vor dem Sommer.
Ulrike Draesner: Mein Hiddensee, Mareverlag, Hamburg 2015, 203 Seiten, 18,00 Euro.
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