von Detlef D. Pries
„Wir haben seit zehn Jahren die totale Luftkontrolle über Laos und Vietnam. Das Resultat = Null. Da ist irgendetwas falsch an der Strategie oder an der Air Force.” (Im Original: We have had 10 years of total control of the air in Laos and V.Nam. The result = Zilch. There is something wrong with the strategy or the Air Force.) Unverhohlen wütend schrieb Richard Nixon (1913-1994), der 37. Präsident der USA, seine Klage an den Rand eines als „Top Secret“ klassifizierten Memorandums, das ihn über die Lage auf dem Kriegsschauplatz in Südostasien informierte. Das „Memo“ seines Sicherheitsberaters Henry Kissinger trägt das Datum des 3. Januar 1972. Nixon forderte Kissinger auf: „Bring sie auf Trab!!“ Er meinte die Militärs.
Bob Woodward, Journalist der Washington Post, deckte gemeinsam mit seinem Kollegen Carl Bernstein seinerzeit die Hintergründe des Watergate-Skandals auf, in dessen Folge Nixon 1974 zurücktreten musste. Jetzt veröffentlichte er Nixons „Zilch-Notiz“ erstmals in seinem neuen Buch „The Last oft the President’s men“. Der „letzte Mann des Präsidenten“, das war Alexander P. Butterfield, einst stellvertretender Stabschef im Weißen Haus. Eben der hatte das Kissinger-Memorandum samt Nixons handschriftlicher Anmerkung zusammen mit anderen Papieren bei seinem Auszug aus dem Präsidentensitz mitgenommen.
Was die Notiz für Woodward bemerkenswert machte, war die Tatsache, dass Nixon noch am Tage zuvor, am 2. Januar 1972, in einem Interview für den Fernsehkanal CBS nach der militärischen Wirksamkeit der Bombardements in Südostasien befragt worden war. Seine Antwort: „Die Resultate sind sehr, sehr effektiv gewesen.“ Eine glatte Lüge, wenn man seinen schriftlichen Wutausbruch vom folgenden Tag dagegen hält. Eine Lüge mit Hintergrund: 1972 war Wahljahr in den USA, das öffentliche Eingeständnis einer Niederlage oder auch nur der militärischen Wirkungslosigkeit des Luftkriegs in Vietnam hätte Nixons Aussichten auf eine Wiederwahl verschlechtert. Folglich nährte er bei den Wählern die Illusion, durch verstärkte Bombardements zumindest einen „ehrenvollen“ Abzug der USA aus Vietnam erzwingen zu können. Und so ordnete der Präsident im Mai neuerliche Flächenbombardierungen an (Operation Linebacker). Nachdem er im November eine klaren Wahlsieg eingefahren hatte, ließ er seine Air Force im Dezember noch einmal 3500 Angriffe gegen den Norden Vietnams fliegen (Operation Linebacker II). Woodward zitiert in seinem Buch Pentagon-Berichte, wonach die USA allein in diesem Wahljahr 1,1 Million Tonnen Bomben über Vietnam abwarfen, davon 207.000 Tonnen im Landesnorden, auch über der Hauptstadt Hanoi.
Ohne dass die Bombardements die Lage zugunsten der USA und ihrer südvietnamesischen Marionetten verändert hätten, wurde indes am 27. Januar 1973 in Paris das Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam unterzeichnet. Es regelte offiziell den Ausstieg der USA aus dem Krieg. Henry Kissinger und sein vietnamesischer Verhandlungspartner Le Duc Tho wurden dafür mit dem Friedensnobelpreis geehrt, dessen Annahme der Vietnamese jedoch ablehnte, weil in seinem Land noch kein Frieden herrschte.
Doch zurück zu Nixons „zilch“ – Null, null komma nix, gar nichts. Keine Wirkung hatte der Bombenkrieg nur, wenn man seine Ergebnisse am militärischen Ziel misst. Auf dem Boden – on the ground – war seine Wirkung verheerend. Auf 21 Millionen wurde die Zahl der Bombenkrater in Vietnam geschätzt. Hundertausende Zivilisten kamen ums Leben, Wohnviertel wurden zerstört, Deiche, Schulen, Krankenhäuser … Dass Krankenhäuser sogar bevorzugte Ziele der Air Force waren, belegte schon im August 1973 eine Anhörung im Kongress der USA, an die The Nation kürzlich erinnerte. Mehrere Vietnam-Veteranen sagten damals aus, dass ihre Kommandeure keinerlei Restriktionen für Luftangriffe gegen Hospitäler der „Vietcong“ (Kurzform für Việt Nam Cộng-sản – vietnamesischer Kommunist) oder in Nordvietnam erlassen hatten, wie es die Genfer Konventionen erfordert hätten. Im Gegenteil, der ehemalige Geheimdienstspezialist Alan Stevenson sagte aus, er habe 1969 routinemäßig Krankenhäuser in der Provinz Quang Tri als Ziele US-amerikanischer Kampfflugzeuge gelistet. „Je größer das Hospital, umso besser war es“, bekannte er sogar. Vor allem, weil Krankenhauskomplexe mutmaßlich häufig von gegnerischen Militäreinheiten in Kompanie- oder Bataillonsstärke geschützt worden seien. Captain Rowan Malphurs beschrieb, dass er bei der Analyse von Luftaufnahmen 1969 und 1970 zerstörte Hospitäler auch in Kambodscha entdeckte. So habe er unter anderem „ein rotes Kreuz auf einem Gebäude beobachtet, das teilweise durch Bomben zerstört worden war“. Und der frühere Luftwaffengeneral Gerald Greven gab zu, dass er selbst Bombenangriffe gegen Krankenhäuser befohlen habe. Es sei Politik gewesen, „Krankenhäuser als Ziele auszumachen“.
Längst vergangene Geschichte? Am 3. Oktober 2015 forderte der US-amerikanische Luftangriff auf ein Krankenhaus der Organisation Ärzte ohne Grenzen im afghanischen Kundus 22 Menschenleben. Präsident Barack Obama sprach von einem „tragischen Vorfall“. John Campbell, Oberkommandierender der USA-Truppen in Afghanistan, machte einen „Fehler in der Kommandokette“ aus. Niemals würde man „absichtlich eine geschützte medizinische Einrichtung ins Visier nehmen“, versicherte er. Die Ärzte ohne Grenzen aber erklärten, die Koordinaten ihres Krankenhauses seien allen Seiten bekannt gewesen.
Die afghanische Regierung behauptete indessen, ihre Truppen, die das von Taliban-Kämpfern besetzte Kundus zurückerobern wollten, seien vom Gelände des Krankenhauses beschossen worden. Deshalb habe man US-amerikanische Luftunterstützung angefordert. Die Ärzteorganisation bestritt die Anwesenheit von Taliban auf dem Gelände. Jedenfalls wurde das Krankenhaus offenbar also doch absichtlich „ins Visier genommen“. Wie einst in Vietnam.
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