18. Jahrgang | Sonderausgabe | 20. April 2015

Was westliche Politik im Orient anrichtet

von Jürgen Scherer

Dies ist der Untertitel eines Buches, das Mitte März im C.H. Beck Verlag erschienen ist. Auf 175 Seiten entlarvt der in Berlin lebende Nahostexperte Michael Lüders die verlogene und desaströse Politik des Westens, allen voran der USA, in Bezug auf die Länder des Nahen Ostens. Mit klarem, analytischem Blick beschreibt er das kontinuierliche imperialistische Vorgehen der USA im Nahen Osten.
Das Paradebeispiel dieser Politik geht auf das Jahr 1953 zurück, als CIA und MI6 für den Umsturz der damaligen demokratisch legitimierten Regierung des iranischen Premierministers Mohammad Mossadegh gesorgt haben. Diese Regierung musste weg, weil die Gefahr bestand, dass das Monopol der britischen Ölindustrie durch Verstaatlichung verloren gehen könnte. Mit der Pahlevi-Dynastie, die danach installiert wurde, konnte ein Deal eingefädelt werden, der die vom Westen benötigten Ölreserven auf Jahrzehnte hinaus absicherte, und zwar mit Hilfe eines internationalen Ölkonsortiums, welches zu 40 Prozent den USA und zu weiteren 40 Prozent BP gehörte. Mission accomplished!
Dieser Sündenfall amerikanisch-britischer Politik, wie Lüders den für den Westen erfolgreichen Putsch treffend bezeichnet, gibt die Folie ab für alle weiteren „Interventionen“ des Westens im Nahen Osten: Immer geht es zuvörderst um die für die USA und ihre Verbündeten lebenswichtigen Ressourcen, die es zu sichern gilt. Egal ob im Irak oder in Libyen – Ölreserven müssen gesichert werden und möglichst in die Hand amerikanischer Unternehmen kommen. So kann man das der Weltöffentlichkeit allerdings nicht verkaufen. Dafür müssen andere Deutungsmuster herhalten, so Lüders. Beliebt ist zum Beispiel die Dämonisierung der jeweils nicht erwünschten Machthaber. Wer wäre besser als Hilfsdämon geeignet als Hitler?
Schon 1953 wurde der damalige, eigentlich dem westlich-parlamentarischen System gegenüber aufgeschlossene Mossadegh für die Öffentlichkeit folgendermaßen charakterisiert: Er sei wie Hitler „unberechenbar, irre, gerissen, provokant […] Einer der gefährlichsten Führer, mit denen wir es je zu tun hatten.“ Wir kennen diese Argumentation: Auch Saddam-Hussein, Gaddafi oder jüngst Baschar al-Assad wurden und werden uns so verkauft. Mit dem klaren Kalkül: Das „Böse“ ist benannt, es muss bekämpft, am besten zerstört werden. Mit dieser Vernebelkerzung der Öffentlichkeit werden dann unter zusätzlicher Bezugnahme auf unsere westlichen Werte alle weiteren Maßnahmen zur Ausrottung des „Bösen“ gerechtfertigt und zugleich die eigentlich materiellen Interessen, die der wahre Grund für die jeweilige Intervention sind, verschleiert.
Denn, so betont Lüders ausdrücklich, es gehe eben nicht um einen „Kampf der Kulturen“, sondern um handfeste imperialistische Interessen der USA und ihrer wichtigsten Verbündeten, allen voran Großbritanniens und Frankreichs. Koste es, was es wolle. Diese Kosten sind allerdings hoch: Für die betroffenen Länder, weil sich eine Schneise der Verwüstung durch das jeweilige Land zieht und unzählige unschuldige Menschen zu Tode kommen. Für die USA, weil sich der Widerstand gegen das westliche Wertemodell (Abu Graib!) in Form „terroristischer Verbände“ zeigt. Denn das mit dem Zerfall des jeweiligen Staates entstehende Machtvakuum wird von Gruppierungen wie den Taliban, Al Kaida oder dem Islamische Staat genutzt.
Insgesamt plädiert Lüders dafür zu erkennen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen das Welterklärungsmuster „hier die Guten, da die Bösen“ hilfreich war. Unsere Welt ist multipolarer und damit unübersichtlicher geworden. Um sie zu verstehen, helfen eindimensionale Erklärungsmuster nicht weiter. Genaues Hinsehen ist gefordert: Differenzierung. Im „Nahen Osten“ gehe es vornehmlich um Macht und Herrschaft.
Diese Region sei einerseits Spielball amerikanisch-westlicher Interessen. Es sei aber zu gleicher Zeit eine Region im Umbruch: Konfrontiert mit dem rasanten weltweiten technischen Fortschritt, zugleich noch lebend in, man könne sagen, mittelalterlich feudalen Strukturen, innerhalb derer einflussreiche Stammesführer mit ihren Clans den Ton angeben. In diesem Spannungsfeld müssten die religiösen( Schiiten versus Sunniten, vice versa), letztlich aber machtpolitischen, innerarabischen Kämpfe verortet werden. Der Islamische Staat sei auch eine Bedrohung für das erzkonservative wahabitische Königreich in Saudi Arabien. Diesem sei jedes Mittel Recht, dieser Bedrohung zu begegnen, auch die Zusammenarbeit mit dem nicht geliebten Westen. Auch Israel…
So würden im Nahen Osten verschiedene Süppchen gekocht und wir „Normalsterblichen“ würden dann mit dem daraus resultierenden menschlichen Elend konfrontiert und dazu gebracht, das „Böse“ so zu sehen, wie unsere westlichen Leitmächte es gesehen haben wollen. Es sei höchste Zeit dies zu erkennen und gerade von deutscher Seite aus die Nibelungentreue zu den USA aufzugeben und sich nicht hineinreißen zu lassen in eine unselige Weltmachtpolitik, deren mögliche Folgen gerade wir Deutschen nicht vergessen haben sollten. Das müsse nicht heißen, dass Deutschland sich heraushalten müsse. Aber es müsse auch nicht bedeuten, dass Deutschland militärisch vor Ort agiere, wie manche unverantwortlichen Politiker, allen voran Bundespräsident Gauck, dies forderten. Es könne bedeuten, nach dem Vorbild Willy Brandts, Wege der Verständigung zu öffnen, nicht Öl ins Feuer zu gießen und humanitär verantwortlich zu helfen: Demut statt Arroganz!

Michael Lüders: Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet, C. H. Beck, München 2015, 175 Seiten, 14,95 Euro.