18. Jahrgang | Sonderausgabe | 20. April 2015

Max Osborn zum 145. Geburtstag

von Hartmut Pätzke

In New York City erschien 1945 im Verlag Friedrich Krause ein Buch, das dem europäischen Geistesleben der Jahre 1890-1933 gewidmet war: „Der bunte Spiegel“ von Max Osborn (1870-1946). Es ist, wie dem einleitenden Brief Thomas Manns aus Pacific Palisades zu entnehmen ist, „keine Autobiographie im Sinne persönlichen Schicksalberichtes“. Der Dichter nennt es ein „Lebensgedenkbuch“ und „Ihr Geburtstagsgeschenk“, in dem eine „Welt der Bildung und des Lebensgenusses“ zum Vorschein komme, „von der die Jugend dieses Kriegs- und Revolutions-Zeitalters keinen blassen Schimmer mehr hat.“ Der bedeutende Literatur- und Kunstkritiker Max Osborn schrieb dieses Buch in seinem 75. Lebensjahr in seinem New Yorker Exil, in das er gemeinsam mit seiner Frau Martha über Frankreich und Portugal 1941 mit Hilfe von Thomas Mann gelangt war. Er hat über 80 Bücher geschrieben, war für die BZ am Mittag, die Berliner Morgenpost und die Vossische Zeitung als Kritiker tätig, war Mitglied der Ankaufskommission der National-Galerie und der Kunstkommission der Stadt Berlin, auch Präsident der “Vereinigung der deutschen Kunstkritiker“. Seit 1933 war Osborn, besonders auf dem Gebiet der bildenden Kunst, aktiv im „Kulturbund Deutscher Juden“, der 1935 in „Jüdischer Kulturbund in Deutschland“ umbenannt werden musste. Er gehörte zu dessen Ehrenpräsidium. Eine Reise führte ihn 1934 nach Palästina.
In Köln in die Familie des jüdischen Bankiers Joel Abraham Ochse hinein geboren, änderte der Vater den Familiennamen bei der Geburt des einzigen männlichen Nachkommens in Osborn, wie wir von der Enkelin Max Osborns, Ruth Weyl (1924-2013), erfahren, wie auch, dass er in Köln das Apostelgymnasium besuchte, das später mit dem Namen des Schülers Konrad Adenauer verbunden sein sollte.
Schüler des Germanisten Erich Schmidt (1853-1913), war Osborn einer der bedeutenden Literatur-, Kunst- und Theaterkritiker in Deutschland geworden. Max Osborn gehörte, ebenso wie Julius Elias (1861-1927), mit dem er von 1894-1897 alleiniger Herausgeber der von Elias finanzierten „Jahresberichte für neuere Deutsche Literaturgeschichte“ war, um diese Position im Laufe der Jahre mit weiteren Herausgebern zu teilen, ein hoch geachteter Mann.
Überaus wertvoll sind die Erinnerungen Osborns, weil sie eine sehr persönliche Nähe zu Künstlern dokumentieren. Erstaunlich sind seine Beschreibungen von Ereignissen, die oft Jahrzehnte zurückliegen. Einen Glanzpunkt bildet die Schilderung der Begegnung mit Adolph von Menzel in dessen letztem Lebensjahrzehnt. Kunstgeschichte wird übertroffen von Lebensgeschichte. Achtung vor der Individualität des Künstlers charakterisiert seine Besonderheit. Zu Hause scheint Osborn sowohl in Frankreich als auch in Holland und Deutschland zu sein. So gewährt er Einblicke in Pariser Ateliers und in die „Koninginnegracht Twee“ – zu Jozef Israëls in Den Haag, dem er einen Gruß von Max Liebermann überbringt. Er weiß von den „beiden Gnomen“, Menzel und Israëls zu erzählen, die sich 1896 in Berlin anlässlich der Internationalen Kunstausstellung in Moabit trafen. Es ist ein Glück, es so lesen zu dürfen, als wäre man selbst dabei gewesen. Es heißt: „Zwei Zwerge, zwei Gnomen in lebhaftem Gespräch. Menzel straff in seiner Kleinheit, gravitätisch, preussisch, streng. Israëls ein unendlich zartes Männlein, gebückt, wie zusammengeschrumpft, einem verwittertem Baumstumpf vergleichbar, aber mit dem vertrauenerweckenden Blick seiner gütigen, fragenden Augen. Seltsames Schauspiel, wie sie dahinschritten, von einer immer mehr anschwellenden Menge gefolgt…“ Von Köln aus war Osborn bereits 1885 nach Ostende gelangt, wo er den in der Rue de Flandre den Laden der Madame Ensor entdeckte, der der Inspiration James Ensors dienen sollte. Und Osborn weiß auch die besondere Geschichte um das Bild „Der Einzug Christi in Brüssel“ (1888) zu erzählen, das er „grandios“ nennt, das 1928 erstmals in Brüssel ausgestellt wurde und im Frühjahr 1939 in Paris bei Wildenstein noch einmal zu sehen war.
Über den Berliner Max Liebermann berichtet er manches Anekdotische. Recht vertraut scheint er mit den Besonderheiten Lesser Urys gewesen zu sein, einem Widerpart Liebermanns, unter dem sehr passenden Titel „Genie und Groteske“. Natürlich war er auch bei Max Klinger in Leipzig-Plagwitz. Eigenartig erscheint der Bericht über die „Spog“, zu der die Maler Max Slevogt, Bernhard Pankok, Emil Orlik und der Zahnarzt Joseph Grünberg gehörten, bei dem sie sich vier- bis fünfmal in der Woche trafen – eine „Freundschafts- und Gesinnungsgruppe, Café- und Bierhaus-Gemeinschaft“, die 1932 mit dem Tod von Grünberg, Slevogt und Orlik, auch angesichts des 1933 anbrechenden nationalsozialistischen Wahns, ihr rechtzeitiges Ende fand. Fast zehn Seiten widmet er Wilhelm von Bode, dem „Museums-Imperator“.
Von seinen größeren Reisen, die ihn nach Griechenland, nach Italien und Sizilien, nach Kiew und auf die Krim, 1923 auch in die Sowjet-Union führten – eingeladen von Nicolai Krestinskiy, Beauftragter des sowjetischen Botschafters in Berlin, der ein Opfer der stalinistischen Moskauer Prozesse werden sollte –, vermittelt er dennoch ein außerordentlich positives Bild des Schutzes der Kunst und von Kirchen in der Folge der Oktoberrevolution.
Max Osborn ist auch ein Zeuge für das Theaterleben in Berlin, das mit den Namen von Otto Brahm, Josef Kainz und vor allem Max Reinhardts in außerordentlicher Weise verbunden ist. Er weiß von einem Auftritt Isadora Duncans zu berichten. Unter den Gelehrten hebt er Herman Grimm, Erich Schmidt, Wilhelm Dilthey und Eduard Zeller hervor.
Bereichert wird der Band durch die Wiedergabe eines Porträts des Verfassers von Eugen Spiro, einer Federzeichnung von Max Slevogt, Briefen von Adolph von Menzel, Josef Kainz, Christian Morgenstern, Max Liebernann und Max Reinhardt, deren Originale Max Osborn retten konnte. Max Osborn konnte in New York sowohl für den Aufbau als auch für die Basler National-Zeitung weiter im Sinne demokratischer Kultur schreiben. Er war nicht verstummt.
Dem Band ist ein wohl von Osborn selbst angelegtes Register beigegeben, in dem jedoch nicht alle Namen verzeichnet sind. Nachträglich wurden sie nicht ergänzt. Chronologisch wurden der Nachruf „In memoriam Max Osborn“ von Ernst Feder aus Aufbau vom 13. Oktober 1946 und „Er schöpfte aus dem Vollen – Gedenkblatt zum 100. Geburtstag von Dr. Max Osborn“ von E.G. Lowenthal aus der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung vom 13. Februar 1970 und der vom Herausgeber Thomas B. Schumann im März 2013 in London aufgezeichnete Text: „Einige Reminiszenzen an meinen Großvater Max Osborn“ von Ruth Weyl in diese erste in Deutschland vorliegende Ausgabe der Erinnerungen Max Osborns aufgenommen. Das bedeutende Buch hätte längst in einem großen deutschen Verlag erscheinen müssen.

Max Osborn: Der bunte Spiegel. Erinnerungen aus dem Kunst-, Kultur- und Geistesleben der Jahre 1890 bis 1933, Edition Memoria, Hürth bei Köln 2013, 276 Seiten, 29,80 Euro.