von Ulrich Kaufmann
Katrin Lemke, eine Jenaer Publizistin und Gymnasiallehrerin im Unruhestand, hat im Vorjahr mit ihrer Huch-Biografie mehr als tausend Leser erreicht. Von Vielen wurde gewünscht, einige Texte der in Vergessenheit geratenen Autorin (die Thomas Mann einmal die „erste Frau Deutschlands“ nannte) zugänglich zu machen. Die Biografin und Herausgeberin sowie erneut die Weimarer Verlagsgesellschaft kamen dem Wunsch nach und legten zeitnah eine schmale Auswahl vor. Der vorzüglich illustrierte Band enthält Lyrik, Briefe und Prosa der Ricarda Huch (1864-1947) aus allen Schaffensphasen. Ergänzt wird das Buch durch einen Bericht ihres Enkels Alexander Böhm ( „Wenn ich krank war, las mir Grogro vor“) sowie – als Erstdruck – ein Erinnerungstext der Freundin und letzten Sekretärin der Dichterin, Antje Lemke. Mit letzterer ist die Biografin und Herausgeberin entfernt verwandt.
Die Editorin hat den zehn Kapiteln jeweils ein Zitat vorangestellt, das in der Regel von Ricarda Huch stammt. Lemkes kurze Zwischentexte führen den Leser einfühlsam durch das Leben und Werk der Autorin. Bereits in ihrer Huch-Biografie spielte Ricardas Liebe zu ihrem Neffen und Schwager, dem Juristen Richard Huch, eine wesentliche Rolle. Nun können Leserinnen und Leser diesen Faden erneut aufnehmen und Briefe und Briefauszüge an den Geliebten zur Kenntnis nehmen. Zudem bietet die Herausgeberin, die mit einem gut lesbaren Essay das Bändchen eröffnet, an, auszugsweise die Brieferzählung „Der letzte Sommer“ (1910) zu lesen, die das Thema der letztlich gescheiterten Liebe erneut aufnimmt. „Dieser Aspekt aber tritt zurück hinter der Lust der Autorin sich mit dem Revolutionsbegriff zu beschäftigen und ein geheimes Komplott zu konstruieren, das aufrührerische Studenten im vorrevolutionären Russland von 1905 gegen den repressiv agierenden Gouverneur ihrer Universitätsstadt planen und durchführen“, lesen wir im Vorwort.
Ein novellistisches Juwel ist der psychoanalytisch angelegte Erzähltext „Das Kätzchen“ aus dem Jahre 1900. Von einer jungen Frau ist in der Novelle die Rede, die nach traumatischen Kindheitserfahrungen Probleme hat, ihre kleine Tochter liebend anzunehmen. Gerade in der eigenen Familie führte dieser Erzähltext zu Verunsicherungen, zumal er ein Jahr nach der Geburt der einzigen Tochter Marietta entstand.
Die Machtergreifung Hitlers und der sich anschließende Versuch, Andersdenkende gleichzuschalten, stieß bei Ricarda Huch auf öffentlichen Protest und führte zu einem mutigen, selbstbestimmten Austritt aus der Akademie der Künste. „Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt ist nicht mein Deutschtum. Die Zentralisierung, den Zwang, die brutalen Methoden, die Diffamierung Andersdenkender, das prahlerische Selbstlob halte ich für undeutsch und unheilvoll.“ Auch in ihren „Briefen aus Jena“ (1936-1947) zeigt sich, dass sich die Künstlerin – trotz Denunziation und Bedrohung – den Mund nicht verbieten ließ. Bezeichnend ist, wie engagiert sich die Erzählerin und Historikerin Ricarda Huch nach Kriegsende in einer ihre letzten Arbeiten dem Schicksal von Hans und Sophie Scholl zuwendet. Auch diese ist hier in Auszügen zu lesen.
Das neue Ricarda-Huch-Lesebuch steht nun im Format, in der Aufmachung und im Umfang wie ein Zwilling neben Katrin Lemkes Huch-Biografie aus dem Jahre 2014. Möge der Leser in dem vielfältigen Angebot seine Lieblingstexte suchen und finden. Dem Schreiber dieser Zeilen haben die Gedichte der Frühzeit beispielsweise mehr angesprochen als die späteren Verse aus dem Zyklus „Herbstfeuer“, die indessen den Buchtitel stifteten.
Die Huch vermochte es immer wieder, aphoristische Botschaften auszusenden. Im November 1945 schrieb die Einundachtzigjährige (!) aufmunternd: „Wenn es ein Glück ist, eine große und schwere Aufgabe zu haben, die die ganze Kraft in Anspruch nimmt, so sind wir inmitten unseres furchtbaren Unglücks glücklich.“
Ricarda Huch: Mein Herz, mein Löwe. Schriften und Briefe – ausgewählt von Katrin Lemke, Weimarer Verlagsgesellschaft, 140 Seiten, 12,90 Euro.
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