18. Jahrgang | Nummer 6 | 16. März 2015

Wo einst die Schallplattenhüllen herkamen

von Thomas Behlert

Wer in der DDR aufgewachsen ist, beschäftigte sich von frühester Jugend an mit Tonträgern. Kinder durften zum ersten Mal eine Schallplatte in den Händen halten, wenn man diese nämlich dem Erziehungsberechtigten unter die Nase hielt, damit er sie auf den Plattenspieler auflegen konnte. Märchen drangen an die kleinen Ohren, dann die kultigen Stimmen von Herrn Fuchs und Pittiplatsch oder vom Wernigeröder Kinderchor eingesungene Kinder-, Volks- oder Pionierlieder. Einige Jahre später schwenkte man auf Rock und Pop um und interessierte sich für die schnuckeligen Jungs auf dem Cover (Mädchen!) oder für die tollen Gitarren, die die Musiker lässig in den Händen hielten (Jungs!).
Wer so eine Schallplattenhülle entbehren konnte, verdiente sich einige Ostmark. Eine Jimi-Hendrix-Hülle brachte mir so den Eintritt für die Disco und mehrere alkoholische Getränke ein: Mit fünf Mark war ein Schulkumpel dabei.
Die Macher dieser Hüllen wurden beneidet, denn sie bekamen angeblich immer die neuesten Lizenzplatten und hatten außerdem noch schöne Poster für die Kinderzimmer des Nachwuchses. So lange es Tonträger, ob Langspielplatten, Singles, Quartettsingles oder Kassetten, vom VEB Deutsche Schallplatten gab, von Amiga, Eterna oder Nova, wurden die Ummantelungen immer im VEB Gotha-Druck „Ernst Thälmann“ hergestellt, insgesamt 8.500. Dieser Betrieb befand sich in einem großen Backsteingebäude im thüringischen Gotha, wo jetzt gesichtslose Supermärkte ihren Schrott feilbieten, Schuh-Hallen hässliche Treter verkaufen und eine weitere Apotheke sinnlose und teure Medikamente anbietet.
Im Nachhinein wird die Herstellung der „Taschen“ gern als Sorgenkind bezeichnet, da man im VEB Gotha-Druck bis zu einem halben Jahr benötigte – von der Überlegung, wie man an das vom VEB Deutsche Schallplatten gelieferte Material herangehen wollte, bis zum Drucken des fertigen Covers. Umbesetzungen einer Band während der Produktionsphase konnten nicht berücksichtigt werden. Aufwendige Gestaltungen wie Klappcover, Einschiebungen oder besondere Farben waren fast unmöglich. Musiker hatten nur wenig Mitspracherecht, selbst wenn das Cover einfallslos oder von übelster Qualität war. Gudrun Bernkopf, die von 1961 bis vor einigen Jahren bei Gotha-Druck als Lithografin arbeitete, wobei dieser Beruf zu DDR-Zeiten Offsetretuscheurin hieß, stellte dazu in einem Interview klar, dass sie und ihre Kollegen für die Qualität nichts konnten, weil Farbe, Papier, Arbeitsgeräte, gelieferte Fotos und Negative oft nicht vom Besten waren.
An der Erstellung eines Covers arbeiteten etwa 20 Personen, unter anderem Fotografen, Drucker und eben Retuscheure. Die von einem Künstler gelieferte Idee musste in Rasterfolien umgesetzt werden – die Schrift immer extra, wobei zu bedenken war, dass in Spiegelschrift gearbeitet werden musste. Die vom Fotografen hergestellten Negative wurden dann von Offsetretuscheuren mit Pinseln und Schabern bearbeitet und mit Blutlaugensalz und Natronlauge geätzt. Jede Farbe hatte ihre eigene Ätzung und wurde auf einer extra Folie gerastert. Der Prozess verlief von der Retusche über die Montage und Druckplattenherstellung bis hin zum Probedruck.
Wie Gudrun Bernkopf berichtete, ging jede Farbe einzeln an je einem Tag in den Druck, denn der Drucker musste zwischendurch die Maschine säubern, damit nicht Reste von Schwarz das Gelb verschmutzten. Oft kamen plötzliche Aktionen wie Kalender für den Soli-Basar oder Wahlplakate für die Parteikreisleitung dazwischen.
An Fotos für Gisela May- und Helene Weigel-LPs musste Gudrun Bernkopf stets besonders lange schaben und ätzen, denn es sollten unvorteilhafte Details verschwinden, etwa die altersbedingten Falten im Gesicht und an den Händen.
Normal im Land des Mangels war es, dass immer mal kein Werkzeug für die Vollendung eines Covers zur Verfügung stand. Mit etwas Valuta (vom Staat genehmigtes „Westgeld“) musste der verantwortliche Meister dann Schaber, Pinsel, Abdeckfarben, Tesa-Band (!) und Arkansas-Ölsteine, zum Schärfen der Schaber, besorgen.
Wer keine Lizenzplatten ergattern konnte, verbreitete vielleicht das Gerücht, dass die Mitarbeiter von Gotha-Druck alle besaßen. Doch dem war nicht so, wie Gudrun Bernkopf erzählte: „Unsere Brigade bekam pro Album zehn Stück, wir waren aber zwanzig Leute. Es wurde immer eine Liste abgearbeitet.“ Und das Schicksal konnte grausam sein: „Gerne hätte ich für meinen Sohn Santana gehabt, bekam aber Peter Alexander zugeteilt.“ Wenn man heute mit ihr über ihre Arbeit spricht, kann sie sich noch an jedes Detail erinnern – auch an ein Klassikalbum, das mit seitenverkehrtem Cover auf den Markt kam. Beim Vergleich mit heutigen Plattenhüllen rutscht ihr bei der Betrachtung alter VEB-„Taschen“ dann schon mal ein „Oh, sind die hässlich!“ heraus.
Wenige Monate vor der Wende hätte alles gut werden können, denn ein großer Scanner aus dem kapitalistischen Ausland stand eines Tages in der Werkhalle. Da es jedoch keine Betriebsanleitung dazu gab, der Platz fehlte und Brigademitglieder, die ihn bedienen sollten, gerade aus Krankheitsgründen oder wegen Erreichens des Rentenalters ausfielen, konnte er nie richtig genutzt werden. Der Rest ist bekannt.