von Clemens Fischer
Einen staatlich bestallten Scharfschützen, der in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Einsatz für den Aggressor 160 Menschen getötet hat, einen feigen – da aus dem Hinterhalt meuchelnden – Massenmörder zu nennen, dürfte nach dem Kanon der christlich-abendländischen Moral und Ethik sowie nach rechtsstaatlichen Kriterien alternativlos sein.
Wenn ein großer Teil oder gar eine Mehrheit der Gesellschaft, aus der der Schütze stammt, ihn gleichwohl als Kriegshelden betrachtet, dann sagt das über die USA nichts aus, was man in neuerer Zeit durch Abu Ghuraib, Guantánamo und Drohnenterror nicht bereits gewusst hätte – herabgesunken auf ein Maß an Barbarei, wie es im Allgemeinen Terroristen und derzeit insbesondere und zu Recht der ISIS nachgesagt wird.
Der Mann hieß Chris Kyle, wollte wohl eigentlich Cowboy und Rodeoreiter werden, meldete sich dann aber zum Militär und wurde Angehöriger der Spezialeinheit Navy Seals. Er absolvierte vier Kriegseinsätze im Irak.
Einschub: Anschließend schrieb Kyle seine Autobiografie, die zum Bestseller wurde und ihm drei Millionen Dollar einbrachte. Aber auch Kritik, nämlich den Vorwurf der Menschenverachtung und des Sadismus, weil er seine Freude am Töten beschrieb. O-Ton: „Vielleicht ist Krieg kein Spaß, aber ich genoss ihn.“ – Kyle verlor einen Prozess wegen Rufschädigung gegen einen ehemaligen Gouverneur von Minnesota, von dem er behauptet hatte, dieser habe den Irak-Krieg, Präsident Bush und Amerika schlecht gemacht, und sollte daraufhin 1,8 Millionen Dollar Entschädigung zahlen. Die Familie Kyle erklärte, das Buchhonorar an Veteranenverbände gespendet zu haben. Journalisten deckten hingegen auf, dass nur etwa zwei Prozent der drei Millionen gespendet worden waren … Einschub Ende.
Clint Eastwood zeigt in seiner Verfilmung des Kyle-Buches die Ausbildung bei den Navy Seals – weit weniger schockierend als die Realität, wie sie am Beispiel der Marines Stanley Kubrick in „Full Metal Jacket“ bereits vor Jahrzehnten gezeigt hat, – und vor allem den Kriegsalltag im Irak, aber auch den ebenso primitiven wie erbarmungslosen Chauvinismus im US-Militär gegenüber den irakischen „Barbaren“. All dies ziemlich naturalistisch. Der Kyle im Film ist ein junger Amerikaner von eher schlichtem Gemüt und mit einem von keinerlei Ahnung, geschweige denn Wissen um politische Zusammenhänge getrübten naiven Patriotismus, der freiwillig in diesen Krieg zieht, um vermeintlich sein Land und seine Familie zu schützen, der daher nicht versteht, warum sein jüngerer Bruder ihm bei einem zufälligen Zusammentreffen im Irak sagt: „Ich schei … auf das alles hier.“ und der schließlich doch psychisch mehr oder weniger versehrt wieder nach Hause kommt.
Eastwood ist im Übrigen der Vorwurf gemacht worden, dass nicht eines der irakischen Opfer im Film als „unschuldig“ dargestellt wird, obwohl doch bekannt sei, dass 70 Prozent aller dort Getöteten Zivilisten waren. Dieser Vorwurf trifft zu. Auch wenn in der Autobiographie eines Killers wie Kyle keine Empathie gegenüber unschuldigen Opfern zu erwarten war, hinterlässt Eastwoods Unterlassung, sein Publikum damit zu konfrontieren, einen ebenso schalen Geschmack wie die heroisierende Darstellung Kyles als operativer Rundumkönner: Scharfschütze, Anführer von Kommandounternehmen, Verhörspezialist, Truppenpsychologe und mehr.
Der Kyle im Film sagt nach seiner Rückkehr, mit der Summe seiner Abschüsse konfrontiert: „Ich bin bereit, vor meinen Schöpfer zu treten und mich für jeden einzelnen Schuss zu rechtfertigen.“ Sein Schöpfer hat ihm inzwischen die Gelegenheit dazu gegeben und dabei Sinn für die Ironie des Schicksals bewiesen: Kyle wurde beim Besuch eines Schießplatzes von einem anderen traumatisierten Kriegsveteranen erschossen, den er auf Bitten von dessen Mutter mitgenommen hatte, um ihm zu helfen, wieder besser im Leben klar zu kommen …
„American Sniper“, Regie: Clint Eastwood; derzeit in den Kinos.
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Schlagwörter: Clemens Fischer, Clint Eastwood, Sniper