von Claus-Dieter König, Dakar
Am Flughafen von Bamako sind weniger Militärs als letztes Jahr. Auch ist die Militärsperre, wenn man aus dem Flughafen herausfährt, wieder aufgehoben. Stattdessen wird bei der Einreise die Körpertemperatur gemessen. Mali hatte gerade seine ersten Ebola-Fälle gehabt. Bisher konnte die Epidemie hier auch auf vierzehn Fälle, davon sind acht verstorben, begrenzt werden.
Dass es mehrere Ebola-Tote gab, führen viele auf die zu geringe Aufmerksamkeit der Regierung der Epidemie gegenüber zurück. Im Senegal habe man besser auf den ersten Fall reagiert, deswegen sei es dort bei nur einem Fall geblieben. In Mali sind der im letzten Jahr gewählte Präsident Ibrahim Boubacar Keita (IBK) und seine Regierung in der Bevölkerung schon sehr unbeliebt geworden. So hoch, wie uns die westlichen Medien glaubhaft machen wollten, war seine Popularität ohnehin nicht. In der Stichwahl gaben ihm trotz der Mehrheit von 77,6 Prozent der abgegebenen Stimmen doch nur 2,4 Millionen von 6,8 Millionen registrierter Wähler die Stimme. Die Wahlbeteiligung lag unter 50 Prozent. Die IBK ist in Korruptionsskandale verwickelt, und wenn es legal zugeht, bezahlt der Präsident aus der Staatskasse ein neues Flugzeug für seine häufigen Auslandsreisen.
Nicht nur im Norden des Landes werden in Mali die Rechte der Menschen mit den Füßen getreten. Armut, fehlende Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, behördliche Willkür, zu der auch unbegründete Verhaftungen gehören, gibt es überall. Im fruchtbaren Binnendelta des Niger werden Bäuerinnen und Bauern als Folge von Landgrabbing gewalttätig vertrieben. Im Südwesten, wo informelle Goldgräber schürfen, geht die Gendarmerie bewaffnet gegen sie vor. Am 3. Juli zum Beispiel forderte ihr Einsatz in Kobada und Foroko drei Todesopfer. Hier hat ein kanadisches Unternehmen, die African Gold Group, Förderrechte erworben. Diese seien nicht in einem korrekten Verfahren vergeben worden, so Vertreter der lokalen Bevölkerung.
Ein Abendessen teilen wir mit Oumar Mariko, dem Generalsekretär der linken Partei SADI, und einem aus dem Norden stammenden Freund von ihm. Wir reden über die Frage, ob die französische Militärintervention vom Januar notwendig gewesen sei. Fazit des Gespräches: Vor der Intervention wurden nicht alle Verhandlungsmöglichkeiten und alternativen Lösungen ausgeschöpft. Mariko und sein Freund waren selbst engagiert, Verhandlungsmöglichkeiten zu eröffnen. In voller Transparenz der Übergangsregierung und der Militärführung gegenüber, die sie stets informiert hielten, hatten sie Kontakt zur Führung der damaligen Miliz Ansar Eddine, mit der sie sich am 21. Juli 2012 trafen. Dieser Miliz sei es nicht um die Teilung des Landes gegangen. Mit der Aussicht auf Verhandlungen hätten sich gemäßigte Kräfte in der Organisation durchsetzen können. Diese hätten zwar auf Anwendung der Scharia beharrt. Doch diese Forderung hätte man wahrscheinlich in Verhandlungen relativieren können. Schließlich sei der Hintergrund der Forderung nach der Scharia das vollkommene Fehlen eines funktionierenden Rechtsvollzugs im Norden Malis gewesen. Aufgrund fehlender oder tatenloser Polizei wurde Recht im Alltag kaum durchgesetzt. Der Kleindiebstahl blieb ebenso so ungeahndet wie Entführungskriminalität und Drogenschmuggel.
Mariko wollte die Nachricht der Verhandlungsbereitschaft der damals amtierenden Übergangsregierung sowie dem Militärjuntaführer Sanogo überbringen, auch den Botschaften Frankreichs, der Vereinigten Staaten und so weiter. Doch alle blockten ab, wollten von möglichen Verhandlungen nichts hören.
Hätte hier der Grundstein für Verhandlungen zwischen Ansar Eddine und der Übergangsregierung Malis gelegt werden können, die den Weg zur Marginalisierung der anderen Kräfte Al Qaeda im Islamischen Magreb (AQMI) und der Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) hätte ebnen können? Ansar Eddine ist anders als AQMI und MUJAO eine Gruppierung von Maliern. Die hier organisierten Milizionäre sehen im Norden Malis nicht nur ein Operations- und Rückzugsgebiet für Drogenschmuggel, Entführungskriminalität und terroristische Aktivitäten. Ihre Familien leben im Norden Malis. Ihre Väter und Großväter gehören nicht selten zur Aristokratie und sind „Stammesführer“. Auch Algerien engagierte sich in der zweiten Jahreshälfte 2012, um die verschiedenen Milizen mit der Regierung an einen Verhandlungstisch zu bekommen.
Dann, im Januar 2013, intervenierte Frankreich militärisch. Wie real die Bedrohung war, dass die Hauptstadt Bamako wirklich hätte von den djihadistischen und separatistischen Milizen hätte eingenommen werden können, ist umstritten. Diese Bedrohung war der offizielle Anlass für die Intervention.
Zu den Gründen stellt André Bourgeot, Anthropologe aus Frankreich und Kenner Westafrikas die folgende These auf: Für den globalisierten Finanzmarkt-Kapitalismus seien die Nation und der Nationalstaat dysfunktional geworden. Strategie ist, sie zugunsten eines Föderalismus der Regionen verschwinden zu lassen. Der Nationalstaat ist zu sozial. In ihm können sich soziale Kräfte und Gegenbewegungen zu effizient formieren. Autonome Regionen, Föderalismus – das erlaubt ein Teilen und Herrschen und ein Aushöhlen von Gegenmacht und Demokratie. Die Folge sind Konflikte um Macht und Kontrolle der Ressourcen der zerteilten Räume, die zunehmend gewalttätig und militärisch ausgetragen werden. Wo Interessen des global agierenden Kapitals betroffen sind, weil es um Rohstoffe oder um Transportwege geht, greifen die militärischen Großmächte, zu denen Frankreich in Bezug auf Westafrika weiterhin gehört, ein. Es ist aber falsch zu glauben, sie täten dies im Interesse von Stabilität und Sicherheit oder wegen einer vermeintlichen „Responsibility to Protect“. Es geht um nichts weiter als die militärische Absicherung von Räumen, in denen Verwertungsinteressen vorherrschen. Oder wie im Fall Mali das Interesse an der dauerhaften Präsenz in einer strategisch wichtigen Region angesichts der unweit (im Niger) liegenden Uranbergwerke, die die Energieversorgung Frankreichs sichern.
Nun, fast zwei Jahre nach der Intervention, wird verhandelt, mit Algerien als Vermittler. Und wie es sich schon andeutete, hat sich Ansar Eddine gespalten. Die verhandlungsbereite Fraktion gehört nun zum Hohen Rat für die Einheit des Azawad. Die Intervention Frankreichs hat dazu geführt, dass die Verhandlungen sich komplizierter gestalten. Die vor der Intervention durch die anderen Milizen bereits militärisch geschlagene MNLA kam von Frankreich unterstützt zurück und kontrolliert nun die Region Kidal militärisch. Sie ist besonders kompromisslos in ihren Forderungen nach weitgehender Autonomie für den Norden, die den Verhandlungsprozess immer wieder zum Stocken bringen. Bei der Runde Mitte November hatte Algerien als Vermittler Eckpunkte für ein Abkommen vorgelegt. Es wurde von der Verhandlungsgruppe um die MNLA abgelehnt, weil eine zu geringe Autonomie verankert wäre.
Verhandelt wird um Macht, nicht um Zukunftsmodelle. Die Verhandelnden sind Machtmenschen, zum Einsatz von Gewalt bereit, wenn die Verhandlungen nicht den gewünschten Verlauf nehmen. Nicht am Tisch sitzt die Zivilgesellschaft. Nicht, dass diese nur aus glaubwürdigen Vertretern der Bevölkerung bestünde. Doch gäbe es Organisationen, die zur Zukunft Malis und seines Nordens beigetragen haben und deren Vorschläge gehört werden sollten. Eine Lösung für den Norden Malis muss die Abschaffung der Sklaverei verfolgen. Lösungen für ganz Mali finden heißt, Gesundheitszentren und Schulen aufbauen. Es heißt, demokratische Institutionen etablieren, in denen es nicht um den Kampf um Posten und Macht sondern um Partizipation und gemeinsame Lösungsfindung geht. Das kann vom Abkommen in Algier nicht erwartet werden. Dazu könnte eine Nationalkonferenz mit breiter Beteiligung der verschiedenen Interessengruppen der Bevölkerung der nächste Schritt sein.
Schlagwörter: Al Qaeda, Ansar Eddine, Claus-Dieter König, Frankreich, Mali, Militärintervention