17. Jahrgang | Nummer 26 | 22. Dezember 2014

Florentinische Weihnachtslegende

von Renate Hoffmann

In den Uffizien der an- und aufregenden Stadt Florenz beginnt die Geschichte, angesiedelt im Doppelsaal 5-6. Hochgestimmt als Besitzerin einer Einlasskarte mit dem Aufdruck „Galleria degli Uffizi“ gehe ich über Treppen, durch lange Korridore, begleitet von Gemälden schöner, stolzer Frauen, kriegerischer Herren, von Statuen, die man wiedererkennend begrüßt, wie den Diskuswerfer, und mit Ausblicken auf Fluss und Stadt.
Vorbei an Malern sehr früher Jahrhunderte, die oftmals nur „Florentiner Schule“ heißen oder „Meister der Magdalena“ oder „Freund des Bonaventura Berlinghieri“ zum genannten Doppelsaal. – Ein großes Glasdach bringt sakrale Kunst aus dem 15. Jahrhundert zum Leuchten. Himmlische Pracht, irdisch empfunden, in Rot und Gold und Blau. Hier sind die Meister bereits mit Vor- und Zunamen gut bekannt.
Den Blick einfangend durch überquellende Fantasie und Lebendigkeit, ergötzliche Details und menschliche Eitelkeiten – das Altarbild „Anbetung der Könige“ des Gentile da Fabriano, eigentlich Gentile di Niccolo Massio (um 1370 oder um 1385-1427). Ein Meisterwerk, welches von der Gotik schon hinüber greift zur Frührenaissance. – Der Maler aus Fabriano, der namengebenden Stadt (Provinz Ancona), ward bald begehrt und hoch geschätzt, bis hinauf zum Papst. In vielen italienischen Städten bewies er herausragendes Können und eine neuartige, gelöste Betrachtungsweise der Motive. In der Kirche Santa Maria Nuova zu Rom schuf er ein Madonnenbild, das Michelangelo mit Anerkennung und Lob bedachte. Für das Gemälde der „Seeschlacht bei Pirano“ verlieh man Fabriano in Venedig die Patrizier-Toga und gewährte ihm die Pension von einem Dukaten täglich – auf Lebenszeit.
Der Maler blieb viele Jahre in Florenz und genoss dort die Gönnerschaft des wohlhabenden, gebildeten Handelsherren und Humanisten Palla Strozzi (um 1373-1462). Diese Bankiersfamilie stand den Medicis an Reichtum, Macht und Sammelleidenschaft nicht nach. Strozzi beauftragte den Künstler mit einem Altarbild. Gedacht war es für seine Privatkapelle in der Kirche Santa Trinita. 1806 verbrachte man das Werk in die Kunstakademie und von dort kam es 1919 in die Uffizien.
Die Registratur: „Anbetung der Könige signiert und datiert Mai 1423 Tempera auf Holz 300×283 cm (gesamt) 173×220 cm (Tafel) Inv. 1890 Nr. 8364 2011 restauriert.“
Das Bild: Überspannt von Bögen mit hochgetürmten kostbaren Aufsätzen, seitlich begrenzt durch Säulen in verschwenderischer Zier, getragen von der bildreichen Predella. Goldglänzender Rahmen für die Weihnachtsgeschichte des Gentile da Fabriano, respektive des Signore Palla Strozzi. An Figurenreichtum und Bewegungsrausch kaum zu überbieten, entfaltet sich die Geschichte ausgehend von der rätselhaften Himmelserscheinung, gesichtet im „Morgenlande“ (östlich von Judäa) bis hin zum Kniefall der Könige Caspar, Melchior und Balthasar in Bethlehem.
Auf dem Berge stehen drei gelehrte Männer, betrachten das helle Licht am Himmel, denken nach und haben eine Idee. Es muss etwas Außergewöhnliches geschehen sein! Irgendwo. Am besten, man macht sich unverzüglich auf den Weg. Von Wissensdrang und Neugier getrieben, steigen sie den Berg hinunter und scheinen sich hinter einem der goldenen Bogenpfeiler des Rahmens auf seltsame Weise zu verwandeln. Schon tragen sie Kronen auf dem Kopf und sitzen zu Pferde, umgeben von Fußvolk und einer stattlichen Reiterschar (ein Pferd macht Sperenzien). Zwischen Olivenhainen zieht die Kavalkade zu einer befestigten Stadt hinauf. Es wird wohl Jerusalem sein.
Dort wollen die zu Königen metamorphierten Gelehrten dem Potentaten Herodes manche peinliche Frage stellen, betreffs der Geburt eines jüdischen Königs. Dies schafft Unruhe im Palast. Und der schier endlose Zug setzt sich schleunigst wieder in Bewegung. Trabt durch die Lande, zwängt sich unter einer Brücke hindurch und gelangt endlich ans Ziel. Bethlehem.
„Ah“ und „Oh“, Geschiebe, Gedränge, Geschrei. Die Menge wogt und staunt. Mittendrin ein lachender Mann, dem sein Nachbar offenbar etwas Erheiterndes ins Ohr flüstert. Ein anderer hebt ärgerlich die Hände, weil sein Hintermann rücksichtslos drängelt. Im Getümmel werden die Pferde unruhig. Eines wiehert, eines tritt nach dem großen Hund neben sich. Der jault auf, kann sich aber nicht wehren, da er einen Beißriemen trägt (weise Voraussicht).
Im Vordergrund kehrt Besonnenheit ein. Caspar, Melchior und Balthasar sind von ihren Pferden gestiegen, edlen Rössern, ausgestattet mit vergoldetem Zaumzeug und teuren Schabracken. – Die heilige Familie verbreitet Ruhe. Der bewusste Stern steht nun über ihr und setzt die Szene vollends ins Licht. Ochs und Esel sind erwartungsgemäß anwesend. Auch eine Taube und zwei Äffchen (Affen in Bethlehem?).
Maria und Joseph, etwas verwirrt von dem lebhaften Treiben, befürchten, dass ihr Knabe zu schreien beginnt. Nichts davon. Er, noch bewindelt, zappelt auf dem Schoß der Mutter. König Nummero eins liegt vor ihm auf dem Boden, hat die Krone zur Seite gelegt und fasst das Kleinstkind behutsam am Fuß. Wahrscheinlich wollte er ihn küssen. Aber Herr König, das kitzelt doch! Jeschua lacht, greift nach der weitgehend kahlen königlichen Stirn und kneift sie ein bisschen.
König Nummero zwei sinkt soeben auf die Knie und nimmt die Krone ab. König Nummero drei, noch im Stand, betrachtet andächtig den weiteren Verlauf; unterdessen schnallt ihm klammheimlich ein junger Mann die goldenen Sporen ab. Dienstleistung oder Dieberei? – Und was die Mitbringsel Weihrauch, Gold und Myrrhen angeht, hatten die weisen Könige bei der letzten Gabe, denke ich mir, gewiss das baldige Zahnen des Kindes im Sinne.