17. Jahrgang | Nummer 24 | 24. November 2014

Des Teufels Großmutter

von Wolfgang Brauer

Ich nahm dieses Buch mit auf Reisen und war der Meinung, es wäre die geeignete Ablenkung auf einem langen Flug mit diversen Wartezeiten in hässlichen Airport-Wartebereichen. Eine Frauengeschichte, beim ersten Durchblättern scheinbar locker geschrieben. Dazu in Süditalien in mörderisch-revolutionären Zeiten angesiedelt, die lange genug zurückliegen, um irgendeine persönliche Betroffenheit von vornherein auszuschließen. Das Buchcover versprach zudem sex and crime im Rokoko-Gewand. Die abgebildete junge Dame erinnert irgendwie an die junge Anna von Hoym („Gräfin Cosel“) oder an Marie Antoinette, bevor diese zur „Bürgerin Capet“ degradiert wurde. Mit letzterer Vermutung liegt man richtig. Mit meinem Vor-Aburteil lag ich völlig daneben.
Friederike Hausmann schrieb eine Biografie der Erzherzogin Maria Carolina von Österreich, geboren 1752 als dreizehntes Kind der Maria Theresia und Franz von Lothringens. Das 15. Kind hieß Maria Antonia, war die Lieblingsschwester Carolinas, und wurde wie diese zum Opfer der Heiratspolitik der Mama. „Bella gerant alii, tu felix Austria nube“: „Krieg führen mögen andere, du, glückliches Österreich, heirate!“ Ob Österreich damit glücklich wurde ist umstritten. Die zwangsverheirateten Kinder der Kaiserin waren es eher nicht. Maria Antonia wurde mit dem späteren französischen König Ludwig XVI. verheiratet und starb unter der Guillotine. Maria Carolina durfte den scheußlichen Grobian Ferdinand I. von Neapel (und Sizilien) ehelichen – der gehörte der spanischen Linie der Bourbonen an – und zeugte mit ihm 18 Kinder. Das war kein ungewöhnliches Monarchinnenschicksal im 18. Jahrhundert.
Aus der Art geschlagen (oder doch stärker nach der Mutter kommend, als dieser lieb war?) begann Maria Carolina sich jedoch in die Politik einzumischen. Gatte Ferdinand, fast ausschließlich an Jagden und ausschweifenden Gelagen interessiert, überließ trotz des Protestes und etlicher Intrigen des Vaters, König Karl III. von Spanien, die Regierungsgeschäfte peu á peu der gebildeten und energischen Gattin. Die hatte ein heruntergekommenes Staatswesen am Rande Europas vorgefunden, dessen innerer Zustand misslicher nicht sein konnte. Maria Carolina stellte sich dem und zog für ihre geplanten Reformen „sehr bewusst als neue Elite den Kreis der aus den Akademien und Freimauererlogen hervorgegangenen Aufklärer heran, die nun den Weg von der Theorie zur Praxis gehen[…] mussten“ (Hausmann). Das scheiterte zwangsläufig. Die Autorin erklärt dies unter anderem damit, dass es der Königin darum ging, das Königreich als ernst zu nehmende Macht nach außen zu positionieren – während ihre aufklärerischen Freunde eher Wirtschaft und Gesellschaft im Inneren reformieren wollten. Dies greift etwas kurz: Es hätte einer gänzlich anderen gesellschaftlichen Grundlage bedurft, als sie im späteren „Königreich beider Sizilien“ jemals bestand.
Die Autorin beschreibt die Geschichte dieser Reformpolitik mit Sachkenntnis und einem alles andere als langweiligen Erzählstil. Das findet man selten. Ihr gelingt etwas, was viele Biografen der Geschwister der Maria Carolina gar nicht erst versuchten: Friederike Hausmann entwickelt ein großes Gesellschaftspanorama des südlichen Italien des späten 18. Jahrhunderts und bettet darin die Geschichte der neapolitanischen Königsfamilie ein. Zweifellos liegen ihre Sympathien bei ihrer Protagonistin. Dennoch sieht sie die Königin durchaus kritisch und bescheinigt ihr „mangelndes Gespür für die Bedürfnisse und den wahren Zustand ihres Königreiches“.
Letztlich wird Maria Carolina zur tragischen Figur, als ihre Reformen an der inneren Verfasstheit des Königreiches scheiterten und die Ideen der Französischen Revolution auch nach Neapel übergriffen. Nachdem ihre Schwester Marie Antoinette am 16. Oktober 1793 hingerichtet wurde, packte die Königin von Neapel unbändiger Hass: „Ich schwöre, dass ich bis zu meinem Tod nicht ruhen werde, um sie zu rächen.“ Der Rachedurst der Maria Carolina hatte aber nicht nur diese höchst private Ursache. Ihr war bewusst, wie Friederike Hausmann schreibt, dass es auch in Neapel „unzählige Gründe zum Umsturz“ gab, ihr Thron alles andere als sicher vor revolutionären Umwälzungen war. Die sollten dann auch – ähnlich wie im deutschen Mainz – unter dem Schutz französischer Bajonette 1799 in Neapel Einzug halten: Im Januar wurde die Parthenopäische Republik gegründet. Diese war nur von kurzem Bestand, es war die Zeit der Krise der Französischen Republik. Bonaparte saß noch in Ägypten fest, und die Flotte des englischen Admirals Horacio Nelson beherrschte das Mittelmeer weitgehend ungestört. Am 13. Juni 1799 mussten die neapolitanischen Republikaner kapitulieren. In der Stadt herrschte ein, wie die Autorin es nennt, „Trio infernale“, bestehend aus Nelson, dem englischen Botschafter Lord Hamilton und dessen Gattin, Lady Emma Hamilton, die als „Lord Nelsons letzte Liebe“ in die Geschichte der europäischen Kitschkultur einging.
Nach der Lektüre des entsprechenden Kapitels in Friederike Hausmanns Buch bleibt beim Leser vom Mythos der Hamiltons – und Nelsons! – nicht mehr viel übrig. Das Schicksal der Dichterin und ehemaligen Vertrauten der Königin, Eleonora Fonseca Pimentel, lässt auch hart gesottenen Lesern einen Moment das Blut stocken. Aus der mit den Ideen der Aufklärung liebäugelnden jungen Königin wurde eine hasszerfressene Furie.
Maria Carolina konnte 1799 ihre Krone mit Hilfe der Engländer noch einmal zurückgewinnen. In dem nun kommenden großen europäischen Machtspiel wurden sie und ihr Königreich jedoch zu einer hoffnungslosen Nebenrolle verdammt. Zwar erklärte sie Napoleon Bonaparte zum persönlichen Todfeind, musste es aber erdulden, dass die eigene Enkelin (Marie-Louise von Habsburg) dem „Unmenschen“ als „ehebrecherische Konkubine“ zur Frau gegeben wurde. Maria Carolina wurde mit ihren eigenen Worten zu „des Teufels Großmutter“ gemacht. Sie erlebte noch dessen ersten Sturz. Den Wiener Kongress und Waterloo erlebte sie nicht mehr. Die vom eigenen Mann auf englisches Geheiß außer Landes getriebene Königin von Neapel und Sizilien starb am 8. September 1814 auf Schloss Hetzendorf bei Wien. Zweieinhalb Monate später heiratete Gatte Ferdinando Maria Carolinas ehemalige Hofdame Lucia Migliaccio. Die war zwanzig Jahre jünger.
Friederike Hausmann hat ein spannendes und solide recherchiertes Buch über eine ungewöhnliche Herrscherin an der Schwelle unseres Zeitalters geschrieben. Das ist schon ein Wert an sich. Wer darüber hinaus ein wenig mehr wissen möchte über die tiefen historischen Wurzeln heutiger kalabrischer und sizilischer Zustände wird aus der Begegnung mit der Biografie dieser „Herrscherin im Paradies der Teufel“ klüger geworden herauskommen.

Friederike Hausmann: Herrscherin im Paradies der Teufel. Maria Carolina, Königin von Neapel, Verlag C.H. Beck, München 2014, 317 Seiten, 16,95 Euro.