von Heinz Jakubowski
„Das Genie ist ein geborener Mittelpunkt.“
Friedrich Hebbel, Tagebücher,1840
Gerade ist die nordkoreanische Volksversammlung, alias Kim Jong Un, mit 100 Prozent vom Volk gewählt worden (köstlicher taz-Titel dazu: „Das war knapp“), derzeit weltweit wohl das makaberste Zeugnis dafür, was man Diktatur und vor allem Personenkult nennt. Nun ist es zwar keineswegs so, dass die Verherrlichung oder gar Vergöttlichung von Führerfiguren allein auf sozialistische Gesellschaftssysteme reduziert ist. Dass die Geschichte der Neuzeit sie aber mehrheitlich dort verzeichnen, ist wiederum wohl auch kein Zufall. Das macht auf beklemmende Weise ein Buch des Ch. Links-Verlages deutlich, das sich des Personenkults im 20. und 21. Jahrhundert annimmt und diesen am Beispiel der schillerndsten Figuren dieses Phänomens beschreibt.
Personenkult verzeichnet in all seinen Erscheinungsformen grundlegende Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede, sei es im Ausmaß oder hinsichtlich der individuellen Präsenz der kultisch verehrten Person. Das führt dieses Buch plastisch vor Augen. Und es differenziert zu Recht zwischen verschiedenen Kategorien: Der der „großen Diktatoren“ (Hitler, Stalin, Mao), der „kommunistischen Nachahmer“ (etwa Ceauşescu, die Kim-Dynastie und Enver Hodscha) sowie „Populisten und Kultfiguren“ (wie Atatürk, Evita Peron, Castro, Chavez oder Mandela). Es führt die „Nationalisten, Militärkarrieristen und religiösen Führer“ zusammen (wie Khomeini, Gaddafi oder den „Turkmenbaschi Nijasow). Und es schließt zudem die Liga der „Monarchen und selbsternannten Kaiser“ (Wilhelm II und Bokassa I) in seine Betrachtungen ein, zu denen schließlich auch ein zusammenfassend kluger Essay der Herausgeber gehört.
Auch DDR-Repräsentanten sind in der Liste derer verzeichnet, die mit Personenkult in Zusammenhang gebracht werden. Ausdrücklich als Vertreter einer vergleichsweise milden Form, setzt man den Kult um einen Pieck, Ulbricht oder Honecker mit jenem um einen Stalin, oder selbst eines Ceauşescu ins Verhältnis.
Wenn in diesem unbedingt – und vor allem wohl für Nachgeborene – lesenswerten Band ein Aspekt ein wenig zu kurz kommt, so ist es m.E. die wechselseitige Bedingtheit von Kultperson und deren Anbetern – immerhin ist der Wille eines Individuums, sich zum Diktator aufzuschwingen, der sich dabei „Liebe“ und „Anbetung“ lediglich erzwingt, nur ein Teil der Wahrheit. Personenkult entsteht und entfaltet sich nicht zuletzt auch durch die massenhafte Bereitschaft, eigenes Denken und Hoffen auf eine Führerperson zu projizieren und in deren Umfeld vor allem durch Devotheit selbst zu reüssieren. Interessant ist dabei die Eigendynamik solcher Prozesse.
In der DDR der Honecker-Ära ließ sich das gut mitverfolgen. Nach Ulbrichts Abservierung wurde durch seinen Nachfolger das Übermaß der Personenverehrung kritisch be- und verurteilt und ausdrücklich festgelegt, dass sich das Politbüro von nun an als „kollektive Führung“ verstehe.
Das sollte sich in der medialen Behandlung des Führungspersonals ebenso widerspiegeln wie in der Entflechtung all jener Ämter, die Ulbricht zuvor auf sich vereinigt hatte. Dies und einige weitere Indizien eines nun denkbaren Einzugs von mehr Realismus gehörten nicht zuletzt zu jenen Hoffnungsschimmern, die sich eingangs der 1970er Jahre mit dem Quasi-Reformer Honecker verbanden. Doch dann kam wohl unumgänglich – was leider nicht für den Realsozialismus spricht – der Kaiser war tot, und nun hatte ein neuer Kaiser hochzuleben.
Lediglich vier Jahre nach der Trennung der Ämter des Partei- und des Staatschefs waren beide wieder beim Primus vereint; weitere Ämter inklusive. Und wo zwischenzeitlich, wenn von der Partei- und Staatsführung medial und offiziell-oral die Rede war, Stück für Stück der vertraute Weg eingeschlagen wurde. Zunächst und auch später gewiss ohne Honeckers ausdrückliche Wünsche, sondern von seinen Adlaten inszeniert; wobei Verhinderungsversuche Honeckers nicht überliefert sind. Waren ab Mitte der 70er bis immerhin zum DDR-Ende Ergebenheitsadressen durch kollektive „Briefe“ an die Führung en vogue (und seitenweise im ND abgedruckt), so war die Entwicklung dort an der Adressierung gut ablesbar. Zunächst (noch im Banne der selbsterklärten Rekollektivierung der Führung) hieß es: „An das Zentralkomitee der SED“, kurz darauf schon, „An das Zentralkomitee der SED und seinen 1. Sekretär“ (ab 1976 dann bezeichnenderweise Generalsekretär). Dann und fürderhin bleibend „An den Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker.
Kein Veto, nirgends.
Im zugegeben diktatorisch und personenkultig noch sehr, sehr viel übleren Rumänien immerhin hat sich einer der lediglich als Spurenelement verzeichneten offenen und innerparteilichen Widerstände gegen diese Pervertierung ereignet. Inmitten der längst üblichen Heldenverehrung des großen Conducators (einer der offiziellen Hymnen jener Zeit: Der Heldenmensch / Er, neuer Mensch, Hingabe für das Land / Er, Ceauşescu, Heros / Er, eisenfest durch Arbeit, Liebe und Kampf / Held und Legende für das Land“) war auf dem 12. RKP-Parteitag der Mitbegründer dieser Partei, Constantin Pîrvulescu, ans Rednerpult getreten und hatte die Lichtgestalt der Vernachlässigung der Landesprobleme und der Verherrlichung seiner Person angeklagt. Dass dies niemand zuvor für möglich gehalten hatte versteht sich ebenso wie das umgehende Niederbrüllen des Mannes, dessen Ausweisung aus dem Saal und ein folgender Hausarrest. Lediglich seine Bekanntheit im Volk und auch im Ausland dürfte ihm das Leben gerettet haben. Was Ceauşescu wiederum nicht half, als bei der legendären Kundgebung am 22. Dezember 1989 auf der Piaţa Palatului in Bukarest sich plötzlich nicht e i n Rebell bemerkbar machte, sondern eine Vielzahl von Protestierenden, die nunmehr nicht willens waren, des Kaisers neue Kleider zu bewundern. Wie rasch das in diesem Fall rumänische Kartenhaus daraufhin zusammengefallen ist, bleibt ebenso unvergesslich wie das vorausgegangene – wenn zum Glück auch gewaltlos – zustande gekommene Ende von SED und dank ihrer Legiertheit mit dem Staat der DDR.
An Beispielen allerdings wie dem eines Pîrvulescu ist aus DDR-Zeiten nichts überliefert, bestenfalls Kritik außerhalb alles Offiziellen. Der „Rest“ von 98plus-Prozent faltete – mehr oder weniger willig – seine Stimmzettel im Sinne der herrschenden „Demokraten“, nahm per Handabstimmung Briefe an die Parteispitze an und getraute sich in der Regel bestenfalls im kleinen Kreis ein ehrliches Aussprechen dessen, was man dachte.
Wer sich auch immer mit Personenkult befasst und ihn zu verstehen sucht, sollte die Seite der passsiven Erdulder, der resignierenden Mitmacher und der Profiteure dieses Phänomens nicht außer acht lassen: Auch zum Personenkult gehören immer zwei. Wie alles Diktatorische hat er nur dann eine Chance, wenn Menschen mit Gewissen sich in Schweigen hüllen.
Schlagwörter: Ch. Links Verlag, Heinz Jakubowski, Personenkult, Thomas Kunze, Thomas Vogel