17. Jahrgang | Nummer 10 | 12. Mai 2014

„Was für ein wunderbares Paar“

von Ulrich Kaufmann

Sonja Hilzinger, eine frauenbewegte Linke aus den „alten“ Bundesländern, erweist sich wieder einmal als vorzügliche Kennerin der (ost-)deutschen Literaturszene. Einen Namen machte sie sich als Herausgeberin der zwölfbändigen Christa-Wolf-Werkausgabe sowie durch Biografien über Anna Seghers, Inge Müller und Elisabeth Langgässer. Die Stadt Jena ehrte Sonja Hilzinger 2005 mit einem Literaturpreis, der gleichfalls den Namen einer besonderen Frau trägt: Caroline-Schlegel-Schelling. Erstmals nimmt die Autorin nun ein Schriftstellerpaar in den Blick, das über sechs Jahrzehnte eine gemeinsame produktive und glückliche Ehe führte. Zum 80. Geburtstag der Erzählerin nannte ihr Kollege Christoph Hein die Wolfs„ein wunderbares Paar“.
Die Ausgangssituation war für die Biografin nicht leicht: Vor einem Jahr erschienen Jana Simons Interviews mit ihren Großeltern und unlängst, im Vorfeld des 85. Geburtstages, gab es eine erweiterte Neuausgabe der Wolf-Biografie aus der Feder von Jörg Morgenau. (Hinzu kommen einige jüngst erschienenen Nachlassbände, die Gerhard Wolf edierte.)
Ein großes Plus für Sonja Hilzinger war es, dass sie die Tagebücher der Wolf nutzen konnte und das Autorenehepaar seit Jahrzehnten bestens kannte. Die Vertrautheit mit den Wolfs bringt es mit sich, dass Sonja Hilzinger bei ihren Protagonisten oft nur den Vornamen verwendet. Für die vielen „Gespräche am Teetisch“ bedankt sich die Verfasserin eingangs ausdrücklich bei Gerhard Wolf.
In dem Buch, das den etwas nüchternen Untertitel „Gemeinsam gelebte Zeit“ trägt, wird deutlich, dass Gerhard Wolf nicht nur der Mann an Christas Seite oder gar ein Wesen im Hintergrund war und ist, sondern ein über Jahrzehnte ebenbürtiger Partner und Autor. Gerhard Wolf war nicht nur Erstleser und d Lektor aller Texte seiner Frau, sondern er hat mit ihr mindestens drei gemeinsame Bücher geschrieben, die Filmerzählung „Till Eulenspiegel“ (1972), ein Buch über die Romantik (1985) und eines über ihre „Malerfreunde“(2010). Zudem war er am Drehbuch für den Film „Der geteilte Himmel“ beteiligt. Durch Hilzingers Betachtungen wird klar, dass Gerhard Wolfs Beschäftigung etwa mit Friedrich Hölderlin, Louis Fürnberg und Johannes Bobrowski auch im Leben und Werk seiner Frau Spuren hinterlassen hat.
Christa und Gerhard Wolf hatten – trotz zahlreicher Umzüge – stets ein gastliches Haus, pflegten intensive familiäre und freundschaftliche Kontakte, sorgten für Geselligkeit, etwa in der „Weiberrunde“. Chef war Gerhard wohl vor allem in der Küche. Bis zum bitteren Ende kochte er seiner Frau Suppen, die letzten trug er ihr ins Krankenhaus.
Durchgehend zeigt Hilzinger, wie sensibel und körperlich Christa Wolf auf Kritik, Anfeindungen und Angriffe reagierte und wie der robustere Ehemann ihr über Jahrzehnte zur Seite stand. Bereits nach dem Kulturplenum im Dezember 1965, auf dem die junge Schriftstellerin kritische Künstler gegen stalinistische Dogmatiker verteidigte, musste sich Christa Wolf in psychiatrische Behandlung begeben. Diese Belastungen führten auch zu Krisen innerhalb der Familie, die die Biografin dezent andeutet, nicht aber feuilletonistisch ausschlachtet.
Verdienstvoll an diesem Buch ist, dass die Autorin auch jüngere Leser im Blick hat, die weder den 17. Juni 1953, noch den 13. August 1961 erlebt haben und auch über die Biermann-Krise 1976 oder das Ende der DDR wenig wissen. Diese Hintergründe werden stets knapp beleuchtet, bevor die Verfasserin zeigt, wie ihre Protagonisten in diesen Kontexten agierten.
Sonja Hilzinger hat sich, wie angedeutet, auch gründlich mit Anna Seghers beschäftigt. Sie erinnert daran, dass die Wolf über ihre Mentorin eine Biografie schreiben wollte. Hilzinger arbeitet sensibel heraus, warum dieses Projekt scheiterte. Sie benennt die Differenzen, die zwischen den Erzählerinnen, die durch einen Generationenabstand getrennt waren, bestanden und deutet an, über welche bitteren politischen Erfahrungen und persönlichen Enttäuschungen die Seghers nicht sprechen wollte. So hatten beide Wolfs, vorsichtig gesprochen, ein persönliches Problem mit dem Wirtschaftsprofessor Johann Lorenz Schmidt, dem Ehemann der Seghers, den sie als engen Ideologen wahrnahmen. (Einige nannten ihn gar das achte Kreuz.)
Noch nirgends konnte man sich so gründlich über die Jenaer Studienzeit von Christa Ihlenfeld und Gerhard Wolf in den Jahren 1949 bis 1951informieren. Die Initialzündung fand auf der Treppe zur Mensa am Jenaer Philosophenweg statt. Die Familien der frisch Immatrikulierten wohnten in Bad Frankenhausen und kannten sich nur vom Sehen. Christa zog sehr bald zu Gerhard, der bei der Witwe Specht logierte, im Nachbarhaus der 1947 verstorbenen Schriftstellerin Ricarda Huch. Im „Geteilten Himmel“ hat Christa Wolf später den herrlichen Ausblick über die Stadt beschrieben. Nicht zuletzt die Veranstaltungen bei der Jüdin und Kommunistin Edith Braemer, die ein marxistischen Herangehen an die Literatur, vor allem im Umgang mit den Texten des Sturm und Drang und der Klassik lehrte, waren prägend. Später hat Christa Wolf die Kränkungen, die sie durch ihre frühere Lehrerin bei den Debatten um „Nachdenken über Christa T.“(1969) erfuhr, nicht verschwiegen.
In dem Text „Herr Wolf erwartet Gäste und bereitet für sie ein Essen vor“, schreibt Christa Wolf: „Kassler bei der Witwe Specht, die zum Glück fast taub war, im Ricarda-Huch-Weg in Jena sonnabends auf dem Herd geschmort, dazu Erbsen und Möhren. Die hab ich teilweise auf dem Markt geklaut – ein Bündel Möhren bezahlt, eins geklaut. Ebenso wie die Bücher. Geld hatten wir ja keins.“
Ein wunderbares Paar und eine wunderbare Doppelbiografie.

Sonja Hilzinger: Christa und Gerhard Wolf – Gemeinsam gelebte Zeit, Verlag für Berlin Brandenburg 2014, 296 Seiten, 19,99 Euro.