von Stephan Wohanka
Nein – nicht dass ich auch Venezuela, obwohl es schon Tote bei Protesten gegen die Regierung gab, zu Ländern wie die Ukraine oder gar die der „Arabellion“ zählen will. Nein, mich interessiert etwas anderes: Warum kommt es in Venezuela überhaupt zu diesen sozialen Eruptionen? Ist das nicht ein Land, in dem alles für die Menschen getan wird? In dem nicht „Comandante“ Chávez das Erdöl „dem Volk zurückgab“? Das die Armutsrate deutlich von 49 Prozent 2002 auf 29 Prozent 2011 senkte?
Trotzdem – wie gesagt – kommt es zu Tumulten und Straßenschlachten. Immer wenn die Bevölkerung ihre Unzufriedenheit mit dem seit 1998 regierenden sozialistischen Chavismus äußert, wittert die Führung dahinter eine Einmischung von außen. Auch diesmal zeigt Präsident Nicolás Maduro – Nachfolger und „Hugo Chávez’ Sohn“ (Maduro über Maduro) – reflexartig auf die USA. Ein wohlfeiles Argument in einer interdependenten Welt! Natürlich gibt es immer äußere Einflüsse, auch feindliche. Sie gehen sozusagen ins Innerpolitische ein. Auch Venezuela macht mit seinem Erdöl Politik: So wurden in den Jahren 2005 bis 2008 auf Initiative von Chávez Bedürftige in US-Bundesstaaten und Städten wie Massachusetts, Vermont, Boston oder der New Yorker Bronx mit verbilligtem Heizöl beliefert und gehen heute täglich 250.000 Fass zu Sonderkonditionen an Kuba, Bolivien und andere befreundete Staaten. Und wie sagt doch ein altes Sprichwort – es gehören immer zwei dazu: Einer, der (von außen) aufwiegelt und einer, der diesen fremden Einflüsterungen folgt. Geht es den Menschen gut, laufen derartige Machenschaften ins Leere…
Die Frage daher: Geht es den Menschen dort wirklich gut? So gut, wie staatliche Propaganda ihnen und dem Ausland weißmachen will? Offenbar nicht, denn wenn es mal keine Milch, mal kein Toilettenpapier gibt, wenn man in Krankenhäusern selber Spritzen und Desinfektionsmittel mitbringen muss, wenn auf den Straßen die Kriminalität grassiert und die Polizei untätig ist, die Medien zensiert werden und die Lebenshaltungskosten steigen (Inflationsrate über 50 Prozent) – dann sind das keine Luxusprobleme einiger Weniger. Dann ist das Leben der Mehrheit massiv berührt und das Funktionieren des Staates und seiner Volkswirtschaft eine wohl zeitgemäße Erwartung! Und das in einem der potentiell reichsten Länder der Welt, mit riesigen Erdölvorräten, noch vor Saudi-Arabien!
Und was meine ich mit „Auch Venezuela?“: Ist Venezuela ein weiteres sozialistisches Land respektive ein Land auf dem Weg zum „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, das sich auf diesem Weg selbst ruiniert? Wie andere Länder vor ihm? Vieles, wenn nicht alles deutet momentan darauf hin. Die Petróleos de Venezuela S.A. (PdVSA) – Eigentümerin der größten Erdölreserven der Welt – schafft es nur unzulänglich, diesen Reichtum zu heben. Ihre Ölproduktion sinkt von Jahr zu Jahr. Förderte der Staatskonzern 2006 im Tagesdurchschnitt 3,3 Millionen Barrel, waren es 2013 der Internationalen Energieagentur zufolge nur noch 2,5 Millionen Barrel, nach 2,75 Millionen Barrel im Jahr davor. Das ist eine Katastrophe für Venezuela, dessen Deviseneinnahmen zu 90 Prozent aus dem Verkauf des Öls stammen und dessen Haushalt die PdVSA zu fast 60 Prozent finanziert. Der Grund für den Niedergang der PdVSA sind fehlende Investitionen in Betrieb und Erschließung neuer Ölfelder. Zwei Milliarden Dollar müsste der Konzern nach Schätzungen von Ölexperten jährlich investieren, um seine Ölproduktion zu stabilisieren. Doch in den letzten zwölf Jahren investierte die PdVSA gerade mal 155 Millionen Dollar im Jahr in die Erschließung neuer Felder.
Es erinnert an die Kombinate der DDR – auch sie machten „alles“, so wie jetzt die PdVSA. Nicht nur, dass der Ölkonzern in einer Dekade 123 Milliarden Dollar an den Entwicklungsfonds des Staates überwies, neben Steuern und Abgaben; nein, er ist unter anderem in der Rindfleischverarbeitung aktiv, produziert Schuhe und baut Sozialwohnungen. Aus etwa 33.000 Mitarbeitern im Jahre 2002 sind inzwischen 132.000 geworden. Auch der Ausstoß der Eisenerz-, Stahl- und Aluminiumindustrie fiel 2012 so gering aus wie vor 30 Jahren. Aus einem Aluminiumexporteur wurde Venezuela zu einem Importeur. Ein Kalauer ebenfalls aus DDR-Zeiten kommt mir in den Sinn: Was geschieht, wenn man in der Sahara den Sozialismus einführt… Ich erspare mir, ihn zu Ende zu bringen; jeder kennt ihn.
Also „Auch Venezuela?“ Ja, leider auch Venezuela! Wenn die Führung des Landes nicht sehr schnell die Kraft für grundlegende Korrekturen im wirtschaftlichen Sektor aufzubringen vermag, erweist sich wohl auch hier, dass sozial-ökonomische Verhältnisse mit sozialistischem Anspruch es den in ihnen lebenden und arbeitenden Menschen nicht erlauben, ihre Gesellschaft und ihre Volkswirtschaft auf einem nachhaltigen Kurs zu halten. Eine düstere Aussicht auch für die früher Armen.
Schlagwörter: Erdöl, Maduro, Stephan Wohanka, Venezuela