17. Jahrgang | Nummer 6 | 17. März 2014

Erfolgsgeheimnisse. Ein Werkstattbericht

von Erhard Weinholz

Nicht einen Cent habe ich letztes Jahr an Honoraren verdient, das heißt: Im bürgerlichen Sinne war ich als Autor völlig erfolglos. Acht Texte habe ich in dieser Zeit geschrieben, insgesamt gut 50.000 Zeichen einschließlich Leerzeichen. Das hört sich nicht schlecht an, aber es sind nur knapp 140 pro Tag – Zeichen, nicht etwa Zeilen. Wahrscheinlich bin ich auch einer der unproduktivsten Autoren unseres autorenreichen Bötzowviertels. Das meiste aus dem letzten Jahr habe ich irgendwo unterbringen können; statt Geld gab’s bestenfalls gute Worte. Ja, reicht denn das nicht? Texte zu schreiben, die was taugen, das muss man doch als Erfolg ansehen! Wenn sie dann noch Beifall finden, um so besser. Das eigentliche Glück erlebt man, wie ich immer wieder lese, als Autor ohnehin nur bei der Arbeit, auch „Schaffensprozess“ genannt.
Leider spüre ich nicht viel davon. Es ist natürlich wunderschön, wenn von allen Seiten Einfälle herbeipurzeln. Aber so gnädig ist mir mein Geist nur selten. Obendrein ist bei kurzen Texten, wie ich sie meist schreibe, der Aufwand unverhältnismäßig groß. Es ist etwa so, als würde man Puppenkleider schneidern. Auch bei einem ganz gewöhnlichen Hemd gibt es schwierige Stellen, aber dann wieder kann man lange Nähte einfach runterrattern. Bei Puppenkleidern dagegen, ich weiß es von meiner Mutter, näht man immerzu im Zickzack. Ebenso reich an Windungen und Wendungen ist in kurzen Texten oft der Gedankengang. Die Kurven markiere ich gern mit einem „Doch“ oder „Aber“. Es werden immer mehr, und zuletzt muss ich die meisten davon wieder tilgen, ebenso wie manches „Auch“ und „Noch“ – eines der vielen mühsamen Geschäfte dieser Art.
Vielleicht sollte ich mal was Anderes ausprobieren, das nicht so viel Arbeit macht und wenigstens ein paar Pimperlinge einbringt, hatte ich hin und wieder gedacht. Und dann habe ich neulich dieses Heftchen aus der Reihe Humor ins Haus gefunden: Mädel mit und ohne Geld von Hans Herbst. Einen jungen Luftikus in Blue-Jeans sieht man auf dem Umschlag; ich hoffe, er nimmt die Richtige, nämlich die hübsche Brünette, die viel Bein zeigt, und nicht die keusche Käthe ohne Geld, die mit blondem Dutt und falschem Lächeln vor ihm posiert. Allem Anschein nach stammt das Ding aus den 50ern: Für besagte „Blue-Jeans (amerikanische Farmerhosen)“ wird im Innenteil geworben, schlank wird man durch die „garantiert unschädl. ELRAMO-Zehrcreme“, und ein Psychologe verspricht, Erröten, Unsicherheit, Angst und Jugendsünden (früher mal KPD gewählt?) restlos zu beseitigen. Auf der vierten Umschlagseite dann ein Verzeichnis der lieferbaren Hefte, an die hundert Stück: Ein Herz, geteilt durch drei; Leichtmatrose Claudia; Sieben Bräute und kein Mann
Kaum hatte ich das gelesen, fing mein Geist an, Titel zu produzieren: Hochzeit auf Bestellung; Engel ohne Flügel; Nicht so hastig, Hildegard – wenn die Hauptfigur Hildegard, Fridolin oder Nepomuk heißt, ist das bekanntlich an sich schon lustig –, Der Mann mit den drei Schwiegermüttern; Frisiersalon de amour; Ärger mit Parzelle 13; Hauptsache verliebt; Der Leutnant, der nicht küssen wollte… Mit den Titeln für meine eigenen Texte tue ich mich oft schwer, hier dagegen ging es wie geschmiert: Binnen einer dreiviertel Stunde hatte ich knapp drei Dutzend zusammen. Das Grundrezept ist ganz einfach: Irgend etwas mit Liebe und Ehe muss der Titel versprechen oder etwas zum sogenannten Schmunzeln; am besten beides zusammen.
Ja, das Schmunzeln… schon der Begriff ist mir zuwider. Wer schmunzelt, ist im Grunde mit sich und der Welt zufrieden. „Nietzsche schmunzelte…“ oder „Kafka schmunzelte…“ – das geht einfach nicht. Doch zu Walter Ulbricht zum Beispiel passt es vorzüglich. Ein dummer Bauer aus dem Westen, so las ich es in einem Anekdotenbuch, richtet eine Frage an ihn, „Walter Ulbricht schmunzelte…“ und stellt die Sache richtig. Was hätte man sonst schreiben sollen – etwa „grinste“? Das Wort ist mir übrigens genauso zuwider. „Walter Ulbricht grinste…“ Um Himmels willen! „Beulen-Ede grinste. Dann schlug er zu.“ Und „lächelte“ passt auch nicht. Ein Lächeln ist etwas Schönes.
Aber egal, nicht ich soll ja schmunzeln, sondern das Publikum. „Der Mann mit den drei Schwiegermüttern“ zum Beispiel: Was könnte da passieren? Keine Ahnung. Obendrein kenne ich mich im Leben der möglichen Leserschaft solcher Stories überhaupt nicht aus. Zum Glück habe ich noch diese Sammlung von Kurzgeschichten aus einem Frauenblatt, „Schöne deutsche Literatur“ steht auf der Mappe; die könnten mich inspirieren. „Unterwegs zu einer neuen Liebe“: Sabrina hat sich von ihrem Freund getrennt, zusammen mit ihrer Freundin Tabea alles rausgeschmissen, was er angeschleppt hatte, doch – o Schreck – in einer Kommode ein Schmuckstück vergessen, Andenken an ihre liebe Oma. Mit einigem Glück entdecken sie das Möbel tags darauf bei einem Trödler in der Nähe, der jung, groß und blond ist, der bekannte Funke springt über; letzter Satz: „Tabea schmunzelte und ging ganz leise aus dem Laden.“
Nicht schlecht. Ich könnte das ja ein bisschen abwandeln: Einer junge Frau, nennen wir sie Rebecca, ist die Großmutter gestorben, bei der sie ihre schönsten Kindheitstage verlebt hat. Leider kann sie aus dem Nachlass als einziges Omas alte Handtasche retten. Die trägt sie nun alle Tage. Doch einmal eine kurze Unachtsamkeit, schon ist – o Schreck – die Tasche verschwunden. Zwar war nichts weiter drin als Lippenbalsam, ein Feuerzeug, ein paar alte Fahrkarten, na gut, noch zwei Tütchen, über deren Inhalt ich hier nichts sagen will, trotzdem: „Ihr war, als sei ihre Kindheit nun wirklich zu Ende.“ Tags darauf liest sie in der Zeitung eine Annonce: „Sammler su. ständig häßl. alte Handtaschen, bitte alles anbieten!“  Dazu eine Adresse gleich um die Ecke. Der Mann, der ihr dort öffnet, ist, wen wundert’s, weder jung noch groß und blond, sondern ebenso hässlich wie die Taschen, die er sammelt; grinsend führt er sie in ein Hinterzimmer, von wo man alsbald das Klatschen einiger Ohrfeigen hört… Ich sehe schon: Das wird mir niemand abkaufen, nicht mal, wenn ich die beiden Tütchen streiche.
Ich mache es kurz: Auch bei den anderen Geschichten fiel mir nur Unsinn ein; brauchbare Fabeln zu erfinden fällt mir ausgesprochen schwer. Ade, ihr schönen Honorare! Eigentlich bin ich auf euch gar nicht angewiesen: Für den Alltag reicht das Familieneinkommen, kostspielige Sonderwünsche – hochmoderne Kamera, Tauchkurs auf den Malediven, Armbanduhr der Firma Prozzi und dergleichen – habe ich keine, das Geld würde also nur auf meinem Konto herumschimmeln. Weshalb bin ich trotzdem so hinter ihm her? Es gibt nur eine Erklärung: Der Kapitalismus hat mich versaut. Eben deshalb bin ich ja auch Sozialist.