von Klaus Hammer
Hans Vent, einer der bedeutendsten Vertreter der so genannten „Berliner Schule“, die als künstlerische Gruppierung so eigentlich nie existiert hat, nimmt gleichsam eine Gegenposition zu Henri Matisse, dem Maler schöner Odalisken und dem Erfinder leuchtender, harmonischer Farbwelten, ein. Es geht Vent nicht um die Fortführung einer künstlerisch bedeutungslos gewordenen Tradition, die den weiblichen Akt als Schönheitsideal, geschweige denn als Sex-Symbol darstellt. Mit der nackten Gestalt als Ausdrucksträger suchte er vielmehr nach neuen ästhetischen Lösungen, indem er ein traditionelles Thema neu durchspielte. Er gab die leuchtenden Grundfarben und heftigen Pinselstriche auf, betonte die formale Anordnung der Körperteile, verfuhr willkürlicher in der Beibehaltung zweidimensionaler Oberflächen.
Vents Gemälde und (farbigen) Papierarbeiten der letzten zehn Jahre geben Strandfiguren, Rufer, Läufer, Paare, Gruppierungen, Köpfe, einzeln und miteinander verspannt, wieder. Neben einem dünnen Farbauftrag, der die Leinwand, das Papier durchscheinen lässt, stehen pastose und krustige Partien. Konturen werden plötzlich unterbrochen oder verschwinden unmerklich im Flächengrund. Mit der Verdichtung der Farbe geht eine Abstraktion der Pinselschläge zu symbolhaft-suggestiven Kürzeln einher. Hier von Schleiern umhüllt, dort wie in Stein geschlagen die Köpfe, in ein konstruktives Gerüst gepresst, dann wieder innere Unruhe, pulsierendes Leben vermittelnd. Zwischen-Zustände des Seins. Die Pinselbewegungen werden horizontal wie vertikal gesetzt, brechen ab und setzen von neuem an. Es ist unentschieden, welcher Impuls sich schließlich durchsetzen wird. Man schaut in die elementaren, unerotischen Körperstrukturen, die Gesichter (es geht hier um Physiognomisches, Gestisches, nicht um Porträthaftes) hinein wie in eine Landschaft, magisch von innen beleuchtet; Verletzbarkeit, Einsamkeit und auch Angst sprechen aus ihnen. Die Körperhaltungen erscheinen eckig, lassen jeglichen weich rhythmischen Bewegungsablauf vermissen. Pinselstriche wie blutrote Striemen verweisen auf ein Golgatha des gepeinigten Menschen. Manchmal liegt ein Munchscher Schatten auf ihnen, so dass sie wie eine Todesvision erscheinen, Memento-mori- und Vanitas- Charakter annehmen. Durch prismatische Auflösung in ein konsequentes Flächenmuster wird jeglicher räumlich-illusionistische Zusammenhang vermieden.
Gewiss kann man mit den Akten anderer Künstler leichter leben, doch die Ventschen öffnen mit kühnem Wagemut und kompromissloser Ehrlichkeit neue Wege für die Kunst. Eine aufragende Farbmauer verdrängt mitunter den Hintergrund. Seine wie improvisiert wirkenden Bildoberflächen sind das genaue Gegenteil des kurzen und tupfenden Pinselduktus im analytischen Kubismus. Sie unterscheiden sich aber auch von den wilden, tumultuarischen Pinselstrichen des aus Rotterdam stammenden US-Amerikaners Willem de Kooning, mit dem dieser einen Abwehreffekt erzielte: Dessen Wesen sind angesiedelt zwischen Atavistischem und Trivialem. Auch der Anglo-Ire Francis Bacon konnte derartige Ängste in der menschlichen Gestalt darstellen. Aus seiner Bildwelt sind jedoch alle moralischen Bezüge entfernt. Bei ihm findet eine klinische Betrachtung des menschlichen Körpers als Objekt ohne jede Intimsphäre statt. Dagegen setzt Vent mit der Malerei der Neuen Expressivität seit den 1980er Jahren ein ästhetisches Gegenprogramm: Der Mensch als dramatisches Konfliktzeichen. Er bricht die Flächen zum Relief auf. Er richtet die Abfolge der Flecken und Flächen, auch Schraffuren nach verschiedenen Richtungen aus, die mit dem, was sie bezeichnen sollen, in keinerlei Verbindungen zu stehen scheinen.
In der Auftragsrichtung der Farbe ähnelt seine Malweise der des Tachismus, jener Sonderform des Abstrakten Expressionismus, die von der Farbmaterie als Ausdrucksträger ausgeht und den spontanen Charakter des Malaktes betont. Kann man schon hier von einem gegenstandsfernen Rhythmus sprechen, der den Aufbau der Bilder prägt, so verstärkt sich diese Rhythmik im Bau der Figuren. Vent gliedert die Körper nicht nach der Richtigkeit oder gar Schönheit der Proportionen, er veranschaulicht mittels einzelner Körperteile vielmehr einen Zusammenklang, der auf die Integrität der Gestalt nicht länger baut. Hat man erst einmal gelernt, den Blick nicht an der Richtigkeit der Anatomie zu orientieren, sondern an der inhärenten Rhythmik des Körpers, dann erschließt sich die Darstellung auf eine lebendige und adäquate Weise.
Auch Vents „Malerplastik“, wie er sie nennt, hält Figürliches in der Schwebe zwischen Auflösung und Erstarrung; doch werfen Durchbrüche und Kanten – wie in den Bildern – dunkle Schattenflecken auf die Körper, so dass diese in zuckender Pulsivität erscheinen.
Cézanne hat in einer berühmten Wendung davon gesprochen, es gehe nicht um die Modellierung der Dinge, sondern um eine Modulation der Fläche. Das gleiche Phänomen haben wir bei Vent. Wir vergegenwärtigen uns nicht mehr einen realen oder idealen Körper – im Sinne der Tradition -, sondern haben durch unser Auge die Figuren, die Köpfe innerhalb eines Prozesses aus bedeutungsleeren Farb-Form-Elementen erst zu „realisieren“. Starke Kontraste, harte Konturen, Deformation und Abweichungen, Präzision und Überdeutlichkeit und dann wieder Wischungen und Undeutlichkeiten stellen eine Herausforderung an den Betrachter dar. Da der Bildprozess nicht abgeschlossen ist, wird auch der Bildinhalt zum Gegenstand einer unendlichen Wiederholung. Das sind Vents Leiber und Köpfe: aus Farbe und Form gefügte dramatische Konfliktzeichen. Ihre Ausdruckstärke weist sie als feste Koordination von Emotion, Verstand, Hand, Auge und Gedächtnis aus.
Derzeit zeigen zwei Berliner Galerien Arbeiten von Hans Vent – die Galerie Forum Amalienpark, 13187 Berlin, Breite Str. 2a (bis 22. Februar), und die Galerie der Berliner Graphikpresse (bis 28. Februar), 10247 Berlin, Silvio-Meier-Str. 6.
Schlagwörter: Hans Vent, Klaus Hammer