von Shefali Sharma / Karen Hansen-Kuhn
In der Europäischen Union basieren die Vorschriften für die Sicherheit von Nahrungsmitteln und Chemikalien auf dem Vorsorgeprinzip. Dieser Grundpfeiler europäischen Rechts ermöglicht es der EU, alle Einfuhren, die ein potenzielles Risiko für Mensch oder Umwelt darstellen, so lange zu beschränken, bis gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen – importiert darf nur werden, was nachweisbar ungefährlich ist. In den Vereinigten Staaten hingegen ist es umgekehrt – exportiert werden darf alles, was nicht nachweisbar gefährlich ist. Derartige Entscheidungen erfolgen auf der Grundlage von Daten, die die Industrie liefert und dort als „belastbare wissenschaftliche Fakten“ gelten, sowie mittels einer Kosten-Nutzen-Analyse der Risiken.
Ungeachtet solcher erheblicher Unterschiede begannen EU und USA 2013 mit Verhandlungen über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP), mit dem ein Transatlantisches Freihandelsabkommen (Trans-Atlantic Free Trade Agreement, Tafta) entstehen soll. Als Maßnahme zur Stützung der schwächelnden Wirtschaft beider Regionen gedacht, könnte diese Partnerschaft das größte bilaterale Freihandelsabkommen in der Geschichte werden.
Auf beiden Seiten des Atlantiks drängen jetzt einflussreiche Interessengruppen, darunter der Landwirtschafts-, Futtermittel- und Chemiesektor, auf ein Abkommen, das Handelsschranken für landwirtschaftliche Erzeugnisse einschließlich Fleischprodukten abbaut. Ein derartiger Vertrag könnte drastische Änderungen mit sich bringen, etwa beim Einsatz von Antibiotika in der Fleischproduktion, bei der Zulassung von genetisch veränderten Organismen oder für den Tierschutz. Die Industrie wird bestrebt sein, im Interesse einer Ausdehnung ihrer Märkte die jeweils niedrigsten Standards auch auf der Gegenseite zuzulassen.
Beispielhaft dafür ist Ractopamin, das in den Vereinigten Staaten als Futterzusatz zur Steigerung der Produktion mageren Schweine- und Rindfleischs eingesetzt wird. Sein Einsatz ist in 160 Staaten, darunter auch in der EU, verboten, denn es gibt keine unabhängigen wissenschaftlichen Studien, die etwas über die Folgen für die menschliche Gesundheit aussagen könnten. Den USA ist es derzeit nicht gestattet, Fleisch von mit Ractopamin behandeltem Vieh in die EU zu exportieren. US-amerikanische Landwirtschaftskonzerne und fleischverarbeitende Unternehmen fordern, dass die EU dieses Verbot aufhebt und das Thema in die TTIP-Verhandlungen aufnimmt.
Nach mehreren Jahren relativer Ruhe wurde auch ein alter Handelsstreit neu belebt. Im Rahmen des TTIP versuchen die USA jetzt wieder, eine Zulassung von Peroxisäure zu erhalten. Dieser antimikrobiell wirksame Stoff wird in den USA verbreitet zur Desinfektion von Rohgeflügel nach dem Schlachten eingesetzt. Die EU, in der Geflügel ausschließlich mit heißem Wasser gereinigt werden darf, betrachtet den Einsatz von Peroxisäure als Verstoß gegen das Konzept „vom Erzeuger zum Verbraucher“ und dem damit verbundenen möglichst geringen Einsatz von Chemikalien in der Nahrungsmittelverarbeitung.
Darüber hinaus bietet das TTIP multinationalen Konzernen die Möglichkeit, die EU-Verbote von genetisch veränderten Nahrungsmitteln zu unterlaufen, die in den USA als wettbewerbswidrige „technische Handelsschranken“ gesehen werden. Umwelt-, Verbraucher- und Tierschützer fürchten nun, dass sich die EU bei den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen eine Schwächung ihrer Schutzvorschriften abhandeln lässt. Die EU ihrerseits versucht, das Verbot von Rindfleischimporten aus Europa in die USA zu kippen. Die Vereinigten Staaten verbieten den Einsatz und die Einfuhr von Futtermittelbestandteilen, die nachweislich an der Übertragung von BSE, dem „Rinderwahn“, beteiligt sind. Die Verfechter von Nahrungsmittelsicherheit in den USA sind besorgt, dass die EU-Vorschriften über den Einsatz von aus Wiederkäuern gewonnenen Futtermittelzusätzen nicht ausreichen, um eine Kontamination zu verhindern. Da die EU gegenwärtig sogar noch eine weitere Lockerung der Standards für diese Futtermittelzusätze erwägt, nähme aus ihrer Sicht das Risiko aufgrund des Handels mit BSE-verseuchtem Rindfleisch zu.
Darüber hinaus gibt es noch den Mechanismus zur „Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Investoren und dem Staat“. Mit dieser bereits in vielen Handelsverträgen enthaltenen Klausel kann ein Unternehmen den Staat auf Schadenersatz für seine Gewinne beeinträchtigende Vorschriften verklagen. Mit dem TTIP wollen die Agrarkonzerne nun diesen Mechanismus auch auf die Standards zur Nahrungsmittelsicherheit „uneingeschränkt“ anwenden. Mit anderen Worten: Da internationale Investoren durch diesen Mechanismus einen Rechtsanspruch auf „stabile Investitionsbedingungen“ erhalten, würden alle Verschärfungen von Umwelt- oder Tierschutzgesetzen erheblich erschwert.
So könnte es durch TTIP deutlich schwieriger werden, nachteilige Umwelt-, Sozial- und Gesundheitsfolgen der industriellen Tierproduktion zu beseitigen. Statt die Standards weiter zu verwässern, sollten die Verbraucher und Aktivisten in den USA und der EU ihre Regierungen drängen, mit dem TTIP die Standards auf beiden Seiten des Atlantiks anzuheben. Oder sie sollten die Gespräche komplett abbrechen.
Shefali Sharma ist Senior Policy Analyst des Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) in Washington. Karen Hansen-Kuhn leitet das internationale IATP-Programm.
Der vorliegende Beitrag entstammt dem „Fleischatlas 2014“, erschienen im Januar dieses Jahres, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung, BUND und Le Monde diplomatique. Hier aus: Le Monde diplomatique vom 13.12.201. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
Schlagwörter: Genfleisch, Karen Hansen-Kuhn, Shefali Sharma, Tafta