von Liesel Markowski
Dieses Buch, eine Biographie über Hanns Eisler, ist zweifellos etwas Besonderes: Die Autorin Friederike Wißmann schrieb ein Lesebuch für Leser und keineswegs nur für Fachleute. Sie erzählt gleichsam eine Geschichte voller Überraschungen über ein abwechslungsreiches Künstlerleben und -schaffen. Hanns Eisler als „Komponist. Weltbürger. Revolutionär“ – so der Untertitel – wird ins Blickfeld gerückt. Zu entdecken ist das Porträt einer vielseitigen Persönlichkeit voller Engagement für die politischen Strömungen und historischen Ereignisse seiner Zeit, woraus er künstlerische Anregungen gewinnt. Dabei geht die Autorin nicht von diesen Zeittatsachen aus, sondern von jeweils wichtigen Musiken, in denen Eisler seine Reaktion darauf gestaltet hat. Somit werden in vierzehn Kapiteln der Komponist und sein Werk vorgestellt. In flüssigem, gut verständlichem Text, der zugleich aufklärt und fesselt. Biografisches rangiert nicht vordergründig, doch wird es lückenlos dazu gestellt und macht sowohl Widersprüche wie Zerrissenheit des Eislerschen Lebens erkennbar. Alle wichtigen Stationen und Begegnungen sind berücksichtigt – vom Unterricht bei Arnold Schönberg in Wien, der Arbeiterlied-Praxis mit Ernst Busch in Berlin bis zur Emigration in die USA und Rückkehr in die DDR –, zeichnen das unruhevolle, aber höchst aktive Leben (auch im Persönlichen bei drei Ehen und liebenswert geschilderten Frauen) eines intelligenten, konsequent denkenden Mannes.
Als „Türöffner“ des Bandes, der mit 229 Textseiten angenehm knapp gehalten ist, wirkt ein bewegendes Vorwort des erfahrenen Film- und Rundfunkmannes Peter Hamm. Sein „Bekenntnis zu Hanns Eisler“ berichtet über den eigenen Weg eines Kenners und Verehrers des Komponisten. Ein Weg aus völliger Unkenntnis nicht nur in der Heimatstadt Ulm, sondern in der BRD überhaupt, der den Jugendlichen per Zufall für HE begeisterte und zu immer tieferem Verständnis und Engagement führte. Ein klares Urteil für den im Westen immer noch diskriminierten, als Schöpfer der DDR-Hymne reduzierten und unbekannten Eisler. Dieses leidenschaftliche Pro ist mehr als ein übliches Vorwort: Es führt den Text der Autorin aus westlicher Sicht zu jener ehrlichen Meinung über den in ihrem Umfeld nach wie vor verleumdeten Komponisten. Es macht mutig, künstlerische und biografische Fakten beim Namen zu nennen, etwa Eislers Verachtung jeglicher Dummheit in der Musik, auch in der Gesellschaft.
Die Reihe der 14 Kapitel stellt maßgebliche Kompositionen in den biografischen Zusammenhang. So wird der Werdegang des HE nachgezeichnet vom Frühwerk („Galgenlieder“ nach Morgenstern, „Zeitungsausschnitte“ und die seinem Lehrer Schönberg gewidmete Klaviersonate op.1) über die Kampfmusik im Berlin der 1920er Jahre mit Ernst Busch sowie mit Bertolt Brecht und Satan Dudow beim Film „Kuhle Wampe“ („Solidaritätslied“) zur Emigration in den USA, nach zweieinhalbjährigen ärgerlichen Warten mit seiner Frau Lou auf das Einreisevisum (Filmmusiken, „Hollywooder Liederbuch“), schließlich in der DDR (Nationalhymne, „Johann Faustus“, „Ernste Gesänge“).
Die Musiken sind Wegmarken, doch zugleich das Wesentliche des Hanns Eisler. Die Autorin bietet präzise und interessante Gedanken zu Gestaltungsweisen des Komponisten wie Montagetechnik, Bezug zur Tradition, Ironie, kritische Textarbeit. Die biografischen Stationen, Umstände und Begegnungen sind mit gleicher Genauigkeit dargestellt. So ergibt sich das Bild eines dramatischen Lebens voller Brüche und Widersprüche, die HE zu schöpferisch intelligenten Leistungen herausfordern. Auch zu politischen Positionen, denn er wollte breite Schichten, nicht das bürgerliche Konzertpublikum erreichen. Allerdings offenbart die Autorin auch, mit welch widerlichen Aggressionen Eisler belästigt worden ist: die Vertreibung des Kommunisten jüdischer Abstammung durch die Nazis (1933), die Verweisung aus den USA (1948) wegen des Verdachts, Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen zu sein – nach mehr als zweistündigem Verhör vor dem “Commitee on Un-American Activities“.
Eindrucksvoll ist die analytische Betrachtung des „Hollywooder Liederbuchs“, entstanden in trostloser Lebenssituation beim einsamen Warten auf Filmmusik-Aufträge in einem öden Hotel: Traurigkeit, Verzweiflung. Im Zentrum stehen Brechts „Hollywood-Elegien“ mit kritischem Blick auf dieses Umfeld der Filmproduktion, das einzig auf Ware und Profit aus sei. Als herausragend gilt auch die „Deutsche Sinfonie“ (komponiert seit 1935, Uraufführung 1959 Berlin). Eislers umfangreichstes Werk, gegen Schrecken des Krieges und des Naziterrors. „Avantgarde-Kunst und Volksfront“ sei darin vereint, betont die Autorin in ausführlicher Werkgeschichte und Analyse.
Die Filmmusik-Arbeit, mit der Eisler Erfahrungen seit den 1920er Jahren hatte und die er mit seinem Projekt für die New Yorker School for Social Research und durch Unterstützung Adornos fortsetzte, steht im Text nicht nur informativ. Die Musik zu Joris Ivens Experimentalstreifen „Regen“ wird, vom Komponisten auch als Kammermusik gefasst, zu den schönsten Titeln Eislers gerechnet. „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“ (späte Gabe zum 70. Geburtstag von Arnold Schönberg) zeigt, welchen hohen Anspruch er dieser Gattung zumaß. (Leider ist dies von der heutigen Medienpraxis annulliert und vergessen worden.)
Die soziale Lage und die gedachten Adressaten galten für HE als Quelle der Inspiration, auch und gerade bei seiner kompositorischen Arbeit in der DDR. Hier ging es zunächst um Ermutigung inmitten der Ruinen des vergangenen Krieges. Die von Eisler auf eine Dichtung Johannes R. Bechers geschaffene Hymne „Auferstanden aus Ruinen“ ist ein Beispiel dafür. Doch die Autorin, aus westlicher Sicht argumentierend, findet, die Hymne sei nicht revolutionär. Aber muss nicht ein Lied dieser Art und Funktion nachsingbar sein für alle? Und wenn außerdem zu lesen ist, die Zeile „Einig Vaterland“ in Eisler/Bechers Schöpfung werde durch den in der BRD gesungenen Vers „Einigkeit und Recht und Freiheit“ des Deutschlandliedes sozusagen entsprochen, ist das wohl zumindest ein politischer Irrtum, ganz abgesehen von der historischen Situation des Dichters Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1848. Auch Eislers Konzept einer neuen Einfachheit wurde nicht verstanden. Ebenso sollten die „Neuen Deutschen Volkslieder“ allgemein verständlich sein: Sie kamen an.
Allgemein bekannt ist, dass es in der DDR menschlich und ästhetisch unzulässige Urteile und Verurteilungen von Künstlern durch Machthabende gegeben hat. Eisler traf das aufs Härteste mit seinem Libretto zur geplanten, aber nie komponierten Oper „Johann Faustus“. Nach der Quelle des überlieferten Puppenspiels hat der Komponist im von ihm verfassten Libretto die Geschichte aktualisiert erzählt und Kritik an Intellektuellen geübt, die persönliche über politische Interessen stellen. Faust ein Renegat. Der Einspruch aus den oberen politischen Rängen war unbarmherzig und schroff. Im Kapitel 12 ihrer Biografie widmet sich die Autorin umfangreich diesen Vorgängen und bewertet Eislers Schrift. Das Ganze, vor allem jedoch der Verzicht auf eine Vertonung, ist beklemmend und erscheint heute absurd und kaum verständlich.
Eislers letztes Werk – „Ernste Gesänge“ – hat seinen richtigen Platz am Ende des Buches. Sieben Lieder für Bariton und Streichorchester auf Dichtungen von Hölderlin, Berthold Viertel, Stephan Hermlin. Es sind nicht nur ernste, sondern tieftraurige Gesänge, komponiert nach dem XX. Parteitag der KPdSU und seinen deprimierenden Enthüllungen. Wir lesen eine feine analytische Betrachtung, die Schmerzliches wie Ermutigung findet: „Denn nichts Mächtiges ist unser Singen, aber zum Leben gehört es“ und „Wir, so gut es uns gelang, haben das unsre getan“, stimmt HE Hölderlin zu.
Das Buch ist eine vorzügliche Neuerscheinung unter den biografischen Eisler-Schriften. Sauber und ästhetisch gut ausgerüstet von der Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann. Es bietet zum Ganzen neben den Anmerkungen die vertonten Texte, zum Teil in Eislers Bearbeitung, eine biografische Übersicht, eine Bibliografie nebst Personen- und Sachregister. Gute Instrumente zum weiteren Nachdenken über HE.
Friederike Wißmann: Hanns Eisler. Komponist, Weltbürger, Revolutionär, München 2012, Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann, 304 Seiten, 19,99 Euro.
Schlagwörter: Friederike Wissmann, Hanns Eisler, Liesel Markowski