17. Jahrgang | Nummer 1 | 6. Januar 2014

Horrorskop 2014

von Heinz W. Konrad

Januar: Unmittelbar nach dem Jahreswechsel bricht zwischen den Bundesländern ein erbitterter Streit darüber aus, ob das zurückliegende Weihnachten 2013 in der verbindlichen Geschichtsschreibung als ein allgemeingültig weißes bezeichnet werden darf. Während die südlichen Länder darauf bestehen, droht der niederschlags- und frostbenachteiligte Norden offen mit dem Austritt aus der bestehenden Föderation und der Neugründung des Norddeutschen Bundes. Nur dank der UNO-Ankündigung, zur innerdeutschen Befriedung ein Kontingent von Weißhelmen zu entsenden, erklären sich die Länder zu Verhandlungen bereit und akzeptieren die vorübergehenden Linie von Cottbus bis Köln als territoriale Grundlage einer zweijährige Friedenspflicht. Bayern zieht zudem die bereits stationierten und auf die Landeshauptstädte des Nordens gerichteten Schneekanonen hinter den Weißwurstäquator zurück.

In Frankfurt am Main eröffnet das weltweit erste Burnoutlet-Center. Die von der Black-out-Stiftung Helmut Kohl betriebene Einrichtung ist mehrgliedrig tätig und bietet ihre Dienstleistungen Kita-Kindern ebenso wie hauptamtlichen Politikern an, wobei letzteren aus verständlichen Gründen großzügige Rabatte gewährt werden.

Die Große Koalition arbeitet.

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Februar: Wladimir Putin gewinnt zum Auftakt der Olympischen Winterspiele in Sotschi die Goldmedaille im Unterwasser-Eisangeln, wobei er die Medaille zurückgibt, als er von der Jury erfährt, dass ein Drittel der von ihm gefangenen Fische homosexuell veranlagt waren.

Auch aus der Perspektive seines neuen Amtes als Landwirtschaftsminister erklärt Hans-Peter Friedrich die NSA-Ausspähung neuerlich für beendet und feiert ausgelassen das Jubiläum des 10. Statements gleichen Inhalts.

Nach dem Sieg der graugelbolivenen Seidensamt-Revolution in der Ukraine erlässt Vitali Klitschko als neuer Präsident des Landes eine Verfassungsänderung, der zufolge die Macht im Lande künftig nicht mehr durch Wahlen sondern durch landesweite Boxkämpfe errungen wird.

Die Große Koalition arbeitet erfolgreich.

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März: Aus Respekt und Liebe zum verstorbenen Nelson Mandela nimmt Ronald Pofalla standesamtlich dessen Clannamen „Madiba“ an und lässt sich auf eigenen Wunsch zu 27 Jahren Kerkerhaft auf der Ostseeinsel Vilm verurteilen. Eine Woche nach seiner dortigen Einlieferung äußert er sich enttäuscht über das Ausbleiben von Forderungen nach seiner Freilassung.

Mit Hilfe des bewaffneten Armes seines oberbayrischen Kirchspiels Marktl putscht Benedikt XVI. trotz heftiger Gegenwehr der Schweizer Garde seinen Nachfolger Franziskus vom Heiligen Stuhl und erklärt dessen vorherige Verlautbarungen für durchweg gotteslästerlich. Mit der Übertragung des Amtes als neuer Bischof von Limburg mit dem ihm zugewiesenen Amtsraum in einer Chemietoilette wird der Argentinier zur Höchststrafe mit Bewährung verurteilt. Als längst überfällig beurteilen Kenner die umgehende Betrauung der Leitung der päpstlichen Glaubenskongregation mit einem noch zu bestimmenden Mitglied des Rotfuchs-Fördervereins, der personenunabhängig erklärt, Häretiker künftig wie Schmeißfliegen zu zerquetschen.

Die Große Koalition arbeitet erfolgreich erfolgsorientiert.

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April: Die am 1. April medial großflächig verkündete Eröffnung des neuen Berliner Flughafens wird am Tag drauf überraschend als Aprilscherz dechiffriert. Klaus Wowereit als mittlerweile für dieses Projekt gewählter Aufsichtsratsvorsitzender auf Lebenszeit stellt nun die Eröffnung des Airports für Dezember 2113, dem 200. Geburtstag des Namenspatrons Willy Brandt, in verbindliche Aussicht. Mit der festen Zusage, im Falle der Nichteinhaltung selbst dieses Termins umgehend auch vom Amt des Regierenden Bürgermeisters zurückzutreten, bindet Wowereit seine politische Karriere riskant an das Südberliner Großprojekt.

In den Chefetagen des Spiegel macht sich Verzweiflung breit, da der auf den Samstag vorgezogene Erscheinungstermin den Niedergang des Nachrichtenmagazins durch die übermächtige Konkurrenz des weiterhin montäglichen Blättchens nicht aufzuhalten vermag. Eine letzte Überlebenschance sieht das ehemalige „Sturmgeschütz der Demokratie“ nun in der Fusion mit den St. Pauli-Nachrichten und dem Otto-Katalog. In der Personalabteilung des Blättchens häufen sich indes Bewerbungen von ursprünglich namhaften Spiegel-Redakteuren, die sich gegebenenfalls auch als unbezahlte Praktikanten bei der Berliner Zweiwochenschrift in eine fortdauernde Journalistenkarriere hinüber zu retten versuchen und dabei in Kauf nehmen, auf eine inoffizielle Mitarbeit beim BND, MAD und/oder Verfassungsschutz überprüft zu werden.

Die Große Koalition arbeitet noch erfolgreicher.

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Mai: Nach einer halbjährigen vorbereitenden Tournee der Wildecker Herzbuben, Florian Silbereisens, Stefanie Hertels, der Kastelruther Spatzen, der Flippers sowie Hansi Hinterseers kann sich der Abzug der Bundeswehr aus dem auf diese Weise final befriedeten Land am Hindukusch nunmehr reibungslos vollziehen. Hunderttausende Afghanen begleiten die von der im Dienst-Dirndl gewandeten Verteidigungsministerin von der Leyen angeführten Fahrzeugkolonne mit einem dichten Schunkel- und Mitklatschspalier bis zum Flughafen von Kabul. DJ Ötzi verbleibt auf eigenen Wunsch in Afghanistan. Als Botschafter deutschen Brauchtuns wird ihm von den Kabuler Behörden die Ehrenbezeichnung “Verdienter Hindukuschler” verliehen.

Mit der explosiven Verdoppelung der Zinsen für private Einlagen von +0,01 auf +0,02 Prozent zeichnet sich ein abruptes Ende der Niedrigzinspolitik ab, was den neuen Wirtschaftsminister Siegmar Gabriel veranlasst, dies als Vertrauensbeweis der Märkte in den sozialdemokratischen Einfluss in der Großen Koalition zu werten.

Die Große Koalition arbeitet am erfolgreichsten.

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Juni: Die strittige Debatte um die Vorratsdatenspeicherung nimmt eine überraschende Wende. Dank sozialdemokratischen Einflusses beschließt das neue Bundeskabinett die totale Transparenz gesammelter und gespeicherter Daten. Dazu gehört die Aufsehen erregende Festlegung, dass jeder Bundesbürger sich jederzeit in die Intranets des Verfassungsschutzes, des BND und weiterer einschlägiger Behörden einloggen und die dort gespeicherten Daten einsehen sowie die behördliche Entscheidungskommunikation verfolgen kann. Die Einrichtung von neuartigen Tauschbörsen macht es jedem Deutschen zudem möglich, auf Bitcoin-Basis seine Daten mit solchen zu tauschen, die ihm mehr zusagen als die eigenen.

Mit der auf Forschungsergebnisse ihrer ersten Mondsonde Sonde „Chang’e-3“ gestützten Behauptung, dass auf dem Erdtrabanten nirgendwo Spuren einer vorausgegangenen bemannten „Eroberung“ zu finden sind und damit die amerikanische Mondmission Apollo 11 endgültig als ein in den Studios von Hollywood produzierte Fälschung erwiesen ist, bringt die Volksrepublik China sich an den Rand eines Sternenkrieges mit den USA, was nur durch die noch größere Überraschung verhindert wird, dass der chinesische „Jadehase“ in mehreren abgelegenen Mondkratern die einst veruntreuten und lange gesuchten Parteigelder der SED findet.

Die Große Koalition sagte eine erfolgreiche Bilanz ihrer erfolgreichen Arbeit voraus.

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Juli: Wie aus falsch informierten Kreisen zu erfahren ist, lehnt der neue Gesundheitsminister Hermann Gröhe die Erweiterung seiner neuen Dienstbezeichnung durch den personenbezogenen Namenszusatz GAU mit Hinweis darauf ab, Ehrungen ausschließlich von seiner Ehefrau entgegenzunehmen. Auf Anfrage bestätigt der bayrische Politiker allerdings, dass ihm eine erste innerfamiliäre Auszeichnung gleichen Inhalts grade in Aussicht gestellt worden sei.

Mit den zuvor unbürokratisch eingebürgerten Spielern Diego Benaglio, Jerome Boateng, Ömer Toprak, Gonzalo Castro, Mame Biram Diouf, Pierre-Emerick Aubameyang, Heung-Min Son, Ibrahima Traoré, Shinju Okazaki, Slobodan Medojevic und Theodor Febre Selassi gewinnt Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien zum vierten Mal den Pokal. Die Plätze zwei und drei werden auf Wunsch der tief deprimierten Verlierer-Teams des Gastgeberlandes sowie Englands aus Scham über die erdrückende Überlegenheit der deutschen Kicker nicht vergeben.

Die Große Koalition arbeitet sowas von erfolgreich.

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August: Der Berliner Reichstag, Tagungsstätte des Deutschen Bundestages, wird als erstes Großgebäude Deutschlands fortan ausschließlich ökologisch beheizt. Energetische Basis dafür ist die bei den parlamentarischen Auseinandersetzungen in Ausschüssen und im Plenum produzierte Heißluft. Hausmeister Lammert informierte auf einer internationalen Pressekonferenz, dass die zwischengespeicherte Heißluft sogar ausreicht, das Gebäude selbst während langer Parlamentspausen zu erhitzen. Überschüssige Energie werde künftig gewinnbringend in das Fernwärmenetz der Hauptstadt eingespeist.

Der Versuch Silvio Berlusconis, die Macht auf der italienischen Halbinsel durch einen langen Marsch auf Rom wiederzuerlangen, scheitert an der allzu großen Zahl weiblicher Mitglieder seiner Entourage, was Berlusconis Marsch dank Lendenschwäche bereits an der Schlafzimmertür seiner Villa an der sardischen Costa Smeralda enden lässt.

Die Große Koalition arbeitet erfolgreich harmonisch.

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September: Nach einem verbissenen Wahlkampf erringt die FDP im Ortsparlament von Fegefeuer im Schleswig-Holsteinischen Kreis Melsdorf eineinhalb Sitze und wertet dies selbstbewusst als Anfang eines neuen Siegeszuges des Liberalismus in Deutschland. Liberalissimus Lindner bietet daraufhin den Bibeltreuen Christen ein strategisches Wahlbündnis für 2017 an, was die CDU umgehend mit einer in Aussicht gestellten Fusionierung mit der Linkspartei kontert.

Auf eine bewährte Erfahrung der DDR-Grenzsicherung zurückgreifend, verklagt die Bundeswehr die aufmüpfigen Familien der über hundert zivilen Opfer des 2009 vom damaligen Oberst und jetzigen Brigadegeneral Georg Klein befohlenen Raketenangriffes auf einen Tankwagen bei Kundus, sich fahrlässig in die Gefahr des Getötetwerdens gebracht zu haben, was sich ungerechterweise als rufschädlich für die behelmten Friedensbringer aus dem Okzident erwiesen habe.

Die Große Koalition erschüttert ein unvermuteter Dissenz, beide Parteien erklären sich zu einer vorgezogenen Wiederwahl bereit.

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Oktober: Die im Untergrund weiter wirkende NSU verleiht ihren diesjährigen Freundschaftsorden an den Verfassungsschutz.

Nordkorea rückt ein weiteres Mal in den Fokus der Weltöffentlichkeit, als es seine kernenergietechnische Überlegenheit durch die Produkteinführung eines nuklear betriebenen Feuerzeugs demonstriert, das der kommunistischen Volksdemokratie sofort die Marktführerschaft bei diesem strategisch wichtigen Produkt beschert. Zudem gibt die mit erdrückender Mehrheit gewählte, dank juristischer Maßnahmen allerdings stark dezimierte Führungsriege bekannt, dass der Kreislauf des heißgeliebten Präsidenten Kim Jong Unikum durch die Umstellung auf einen plutoniumgestützten Antrieb nunmehr eine isotopabhängige Halbwertszeit von 25.000 Jahren hat.

Der von ARD und ZDF betriebene Kinderkanal führt die einst im DDR-Fernsehen beliebte Figur Puppendoktor Pille mit der großen klugen Brille wieder ein und kann für diese Rolle den als Internetminister unausgelasteten Alexander Dobrindt verpflichten.

Die Große Koalition arbeitet wieder sehr erfolgreich.

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November: Um künftig noch mehr mediale Aufmerksamkeit auf ihre friedens- und sozialpolitischen Forderungen zu lenken, beschließt die Linkspartei, dass ihre öffentlich wirkenden Akteure ab Januar 2015 unterhalb der Gürtellinie unbekleidet auftreten. Die Pussy Riots (international) sowie die Prostituiertenorganisation Hydra (national) begrüßen diese Festlegung umgehend als richtungsweisenden Akt von Transparenz.

Ein erfolgreicher Volksentscheid in der Uckermark erhärtet die bekundete Absicht dieses ostdeutschen Landstrichs, nach dem Vorbild Schottlands und Kataloniens in die politische und territoriale Unabhängigkeit einzutreten. Dank der in der Region überreichlich vorhandenen Ressourcen von Zuckerrüben-Sirup ist sich der zwischen Pasewalk und Oderberg siedelnde Stamm der Ukraner einer stabilen Grundlage von Wirtschaft und Volkswohlfahrt sicher.

Die Große Koalition arbeitet erfolgreich wie nie zuvor.

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Dezember: Das Jahr endet mit einem technologischen Paukenschlag, als das Fraunhofer-Institut in Potsdam der Weltpresse den ersten marktreifen Abgeordneten-Roboter vorstellt. Das High-Tech-Gerät ist in der Lage, Debattenbeiträge für jede der in den Parlamenten vertretenen Parteien zu halten und dabei sogar schlagfertig auf Zwischenrufe zu reagieren. Laut Institutsführung liegen seitens des Deutschen Bundestages bereits 631 Bestellungen vor, die nunmehr zügig abgearbeitet würden.

Die Linkspartei von Nordrhein-Westfahlen erklärt ihre Kompromissbereitschaft, von der geforderten Umbenennung des Sankt-Martin-Festes in „Sonne-Mond-und-Sterne-Fest“ absehen zu wollen, wenn der Name dieser Tradition verbindlich in Sankt-Gregor-Fest geändert würde.

Die Große Koalition zieht eine erfolgreiche Bilanz ihrer erfolgreichen Arbeit.