von Michael Schulze von Glaßer
Die Debatten um die Anwesenheit von Bundeswehr-Soldaten an Schulen und die Militärforschung der deutschen Armee an Universitäten brodeln schon seit Jahren. Besonders die seit 2008 unterzeichneten Kooperationsvereinbarungen zwischen der Bundeswehr und den Schulministerien von mittlerweile acht Bundesländern haben Kritiker dieser fortschreitenden Militarisierung auf den Plan gerufen. An Universitäten streiten Studierende mit so genannten „Zivilklauseln“ gegen den zunehmenden Einfluss des Militärs in den Bildungseinrichtungen.
Als Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) im April dieses Jahres an der Berliner Humboldt-Universität zur „Armee der Einheit – Der Beitrag der Bundeswehr zum gesellschaftlichen Zusammenhalt“ einen Vortrag halten wollte, wurde er von protestierenden Studenten so lange unterbrochen bis er die Veranstaltung schließlich abbrach. Letztlich war es aber wohl die diesjährige Auszeichnung zweier Schulen, die sich gegen Besuche von Soldaten verwehren, mit dem renommierten „Aachener Friedenspreis“, der für die Militärs und ihre Befürworter das Fass zum überlaufen brachte.
Seit die Kritik am Agieren der Bundeswehr zunimmt, wird Sturm gegen alle gelaufen, die sich für friedliche Bildung und Forschung einsetzen. Waren es vor einigen Monaten noch Kolumnisten, die aus eigenem Antrieb für das Militär in die Bresche sprangen, kommen nun immer mehr Soldaten und Politiker prominent und direkt zu Wort. Thomas de Maizière appelliert aktuell im Online-Angebot der Tageszeitung Die Welt an den designierten Koalitionspartner SPD, auch in den sozialdemokratisch regierten Bundesländern weitere Kooperationsverträge zwischen Armee und Schulministerien abzuschließen. Auf die Schulen angesprochen, die Soldaten den Zugang verwehren, sagte der Minister in dem gefilmtem Interview: „[E]in offener Boykott, eine offene Ausladung ist nicht hinzunehmen, und dafür brauchen wir öffentliche Unterstützung, dass das nicht stattfindet und die Koalitionsvereinbarung stellt das jetzt sicher.“ Zum Vorfall an der Humboldt-Universität meinte de Maizière, dass zu einer „Diskussionskultur an einer wissenschaftlichen Universität“ auch gehöre „sich ausreden“ zu lassen sowie zuzuhören und strittiges zu diskutieren: „Die Verweigerung eines Dialoges ist nicht universitär.“
Nachdem in der Wochenzeitung DIE ZEIT in den vergangenen Ausgaben mehrfach ganzseitige Anzeigen für die Bundeswehr geschaltet waren, durfte sich nun der Offizier Dominik Wullers über die Kritik an der Anwesenheit der Armee in Bildungseinrichtungen empören. Der Soldat bemängelt in seinem Gastbeitrag, dass die „dogmatische Ideologie des bedingungslosen Pazifismus mit Steuergeld verbreitet“ werde. Denn nichts anderes passiere, „wenn schon die Diskussion mit Soldaten als böse und falsch verweigert“ werde. Für Wullers ist es ein „Skandal“, dass die Mehrheitsmeinung des Parlaments, die von den Soldaten vertreten werde, an manchen Schulen ausgeschlossen sei: „Dass niemand den Soldaten beispringt und alle zusehen, wie dieses demokratiefeindliche Verhalten sich breitmacht, ist es ebenfalls“, so der Offizier und stellvertretende Vorsitzende des Vereins „Deutscher Soldat e.V.“.
Sowohl Thomas de Maizière als auch Dominik Wullers verkennen die Realität, denn an Schulen und Universitäten dominieren Bundeswehr und Verteidigungsministerium. Während die Armee knapp einhundert so genannte Jugendoffiziere beschäftigt, die ausschließlich dazu dienen, junge Leuten an Schulen von der deutschen Armee und ihrem von der Politik gegebenen – umstrittenen – Auftrag zu überzeugen, haben die Kritiker der Bundeswehr kaum Ressourcen, um an Schulen zu gehen. Während etwa Jugendoffiziere seit Sommer 2011 in Rheinland-Pfalz 500 Schulbesuche verzeichnen können, waren ihre Kritiker in dem Bundesland im selben Zeitraum nur sechs Mal an Schulen aktiv. Deutschlandweit haben aktuell nur neun Schulen in ihren Schulkonferenzen Beschlüsse gefasst, die Soldaten den Zugang in die Klassenzimmer untersagen. Die Jugendoffiziere der Bundeswehr haben 2012 bundesweit knapp 4.900 Veranstaltungen an Schulen und Universitäten durchgeführt und dabei über 143.000 junge Menschen erreicht. Hinzu kommen noch 300 nebenamtliche Jugendoffiziere und über 350 Bundeswehr- „Karriereberater“, die ebenfalls oft an Schulen, aber auch an Universitäten aktiv sind. Das Verteidigungsministerium plant zudem allein für das Haushaltsjahr 2013 fast 4,8 Millionen Euro für Forschungsprojekte an Hochschulen auszugeben und schafft damit einen enormen finanziellen Anreiz für die Bildungsstätten.
Verteidigungsminister Thomas de Maizière und Offizier Dominik Wullers versuchen die Bundeswehr als Opfer in einer Debatte darzustellen, die sie selbst begonnen haben und anführen. Diese Debatte ist aber nur eine Reaktion von denjenigen, die eine Veränderung – eine zunehmende Militärpräsenz – in Bildungseinrichtungen nicht hinnehmen wollen. Der Normalzustand ist nicht, dass Soldaten in Schulklassen unterrichten. Und dass Hochschulen eine Verantwortung haben, jeden militärischen Einfluss kritisch zu hinterfragen, ist eine aus der Historie gewachsene Konsequenz.
Dass die Militärs und ihre Fürsprecher trotz des eher geringen Widerstands bereits Alarm schlagen zeigt, wie viel Angst sie vor einer Diskussion um die Anwesenheit der Bundeswehr in Bildungseinrichtungen haben – denn die könnte schließlich auch zum Ergebnis haben, dass Bildungsarbeit nicht zum Repertoire der Armee gehören sollte. Immerhin bezieht die Bundeswehr dabei als eigentlich exekutives Staatsorgan zu politischen Fragen Stellung und legitimiert die aktuelle Sicherheitspolitik. Zudem wird die Ablehnung von Soldaten in Schulen nicht nur von Friedensgruppen gefordert, sondern auch – wie Offizier Dominik Wullers richtig schreibt – von der Lehrergewerkschaft GEW sowie – was Wullers nicht schreibt – von Elternverbänden, Schülervertretungen und Kinderrechtsorganisationen wie „terre des hommes“ und „UNICEF Deutschland“.
Regierungs-Politikern und Armee-Angehörigen geht es nicht darum, eine offene Debatte zu führen, sondern der Bevölkerung und besonders schon jungen Leuten ihre Meinung aufzuzwingen: die Menschen in Deutschland sollen gefälligst Militärinterventionen im Ausland begrüßen und ihre Kämpfer unterstützen. Dazu werden Soldaten an Schulen geschickt und militärische Forschungsprojekte auch im geisteswissenschaftlichen Bereich finanziert. Und genau deshalb stoßen die Versuche, die Bevölkerung mit aller Macht – und teilweise unlauteren Mitteln wie dem Werben für das Militär über die Ausnutzung kindlicher Technikbegeisterung – auf Kriegskurs zu bringen, auch auf berechtigten Widerstand.
Nirgends wird dieser Zusammenhang deutlicher als in der „Koalitionsvereinbarung CDU, CSU und SPD“ der „AG Auswärtiges, Verteidigung, Entwicklungspolitik und Menschenrechte“, die am 19. November 2013 veröffentlicht wurde. Kein Wunder, dass sich Verteidigungsminister Thomas de Maizière, wie oben beschrieben, positiv auf die Vereinbarung bezieht, denn geht es nach dem Papier, so soll künftig die – angeblich – bisher an den Tag gelegte „Kultur der Zurückhaltung“ zugunsten einer offensiven Weltmachtpolitik endgültig ad acta gelegt werden. Weil aber die Bevölkerung dem Militär und insbesondere Auslandseinsätzen der Bundeswehr mehrheitlich skeptisch gegenübersteht, soll sie mit einem als „Dialog“ getarnten Propagandafeldzug vom Gegenteil überzeugt werden. So heißt es in der Koalitionsvereinbarung: „Der Dialog der Bundeswehr mit der Gesellschaft soll insbesondere mit jungen Menschen geführt werden. Die Jugendoffiziere leisten eine wichtige Arbeit bei der Information über den Auftrag der Bundeswehr. Wir begrüßen es, wenn möglichst viele Bildungsinstitutionen von diesem Angebot Gebrauch machen. Der Zugang der Bundeswehr zu Schulen, Hochschulen, Ausbildungsmessen und ähnlichen Foren ist für uns selbstverständlich.“
Aus – IMI-Standpunkt 2013/066; mehr Informationen der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. unter www.imi-online.de. Hiermit sei auch auf die Berliner Kampagne „Lernen für den Frieden“ verwiesen: www.lernenfuerdenfrieden.de.
Schlagwörter: Bildung, imi, Michael Schulze von Glaßer, Militarisierung