von Reinhard Wengierek
Überall in der Innenstadt knallige Plakate. Ein Mensch mit Schmollmund, Schäfchenblick und – dazu ganz unpassend – mit Strumpfmaske. Man kann gerade noch erkennen: Es ist eine junge Frau. So wirbt das Opernhaus Magdeburg effektvoll für Verdis „Macbeth“. Das Besondere daran: Schon lange vor der als spektakulär angekündigten Premiere rief Regisseur Volker Lösch in der Lokalpresse zum Casting für einen Laiensprechchor. Magdeburger Frauen sollen als Hexen von heute die, so der dramaturgische Grundgedanke, „von männlichen Destruktionsenergien“ handelnde Verdi-Oper chorisch aufmischen. Mit Texten, die man aus Interviews filterte, die zuvor mit eben jenen Magdeburgerinnen geführt wurden und in denen sie nun grauenvolle Erfahrungen mit männlich-destruktiver Gewalt schildern.
Es heißt, die Bereitschaft zum Reden wie zum Mitmachen auf der Bühne sei enorm gewesen. Damit hat Magdeburg seine Sensation: Erstmals eine Oper des klassischen Repertoires, in der die Musik durchaus geschickt unterbrochen wird für einmontierte und perfekt trainierte Sprechchöre.
Doch damit hat es auch schwere Probleme: Zum einen, die Hexen spielen zwar im Mord- und Kriegsstück „Macbeth“ eine Hauptrolle als tolldreist selbstbewusste Wesen höherer Art, nicht aber als gedemütigte Opferweiber, die wütend ihren Frust „mit Schwanz- und Schlipsträgern“ skandieren und denunziatorisch verkleidet sind mit biederen Hausfrauen-Kittelschürzen. Dazu als ziemlich albernes Acessoire: Terroristenmasken aus rotem Wollstrick, wie auf dem Plakat.
Zum anderen, das flotte Motto der Inszenierung „Männer sind Schweine“ greift nicht nur viel zu kurz, sondern schlicht an Verdi wie an Shakespeare vorbei. Die nämlich sortieren Menschen nicht nach böse destruktiven Männern und guten konstruktiven Frauen, sondern sehen im Zerstörerischen, im Gierigen und Mörderischen den ewig menschheitlichen Konstruktionsfehler. „Macbeth“ besteht eben nicht aus reinem, wohlfeilen Männer-Bashing, es offenbart vielmehr die von Blut und Tränen getränkte Tragödie des Menschen.
Da wird es schon nebensächlich, dass die Kittelschürzen-Hexen immerzu vom Gleichen brüllen: Vergewaltigung, Prügel, Mobbing. Und dass auf der Videowand im Hintergrund der Leer-Bühne unentwegt die Handlung plakativ nachzeichnende Filmbilder vorüber flimmern (Comics, Spielfilmzitate, historische Dokumente). Sie zeigen Kriegereien aus allen Zeiten vom Schwert bis zur Atombombe, Leichenberge, Folteropfer, Sexorgien von Antike bis Playboy. Dazu die alle Epochen umfassende Diktatoren-Galerie und nicht zuletzt Bildmontagen aus dem chaotischen Schlacht- und selbstmörderischen Verschwendungshaus Welt – also entsetzliche Szenen von Umweltzerstörung, Überfluss, Ausbeutung, Unterdrückung, Hunger, Armut, Flucht. Halt das geballte Chaos Welt als Folge komplex männlicher Destruktion, so das unterkomplexe Regiekonzept.
Filmische Bilderflut (zusammengeschnippelt von Jan Müller und Cary Gayler) als Hintergrund, Frauen von heute als Opfer-Chor im Vordergrund (trainiert von Bernd Freytag). Dazwischen eingeklemmt die Handlung des Schotten-Schockers mit dem formidablen Solistenensemble (unter anderem Undine Dreißig und Adam Kim als machtgeiles Ehepaar M. mit den blutigen Händen), das in poppig-neonfarbener Kostümierung (Carola Reuther) parodistisch wie im Comic agiert. Wäre da nicht noch die Wucht der Musik (Dirigent: Kimbo Ishii-Eto), wäre alles bloß wie in einem kunterbunten Welt-Zirkus des Schreckens. Das mag zeitgenössisch klingen. Ist aber keine, wie vom Regie-Team behauptet, „zeitgenössische ‚Macbeth‘-Inszenierung, die unsere Welt sinnlich anschaulich und reflektierbar macht“, sondern ein fataler Irrtum, der eine ins Universelle ragende und zugleich ganz konkret geschilderte Menschen-Tragödie bis zur Unkenntlichkeit zuschüttet mit allgemeinmenschlichen Illustrationen aus modernen Archiven.
Dieser Magdeburger „Macbeth“ mag als Lehrstück gelten für das Missverständnis, in Massen aufgeklebte Kommentare gleich welcher ästhetischen Art würden sofort einen Klassiker kurzerhand ins Heute transportieren. Derartige Transportvehikel verstärken die den wirklich großen Werken eigene Allgegenwärtigkeit nicht. Sie verwässern sie höchstens. Das geht nicht generell gegen radikal oder provokant sein wollende Experimente und schon gar nicht gegen „Kommentare“, denn Regiekunst ist schließlich immer Kommentar. Nur muss er kunstvoll sein, nicht angepappt und aufgepfropft.
Das geht auch nicht gegen das hier wohl erstmals exzessiv praktizierte Implantieren von Sprechtexten in eine Partitur (es wird Schule machen), wenn es denn sinnerhellend- und erweiternd wäre. Womöglich klappt es beim nächsten Mal, dieser „Macbeth“ ist schließlich Löschs erste Opernregie, begleitet von heftigem Buh wie einigem Bravo.
Deshalb sei angemerkt: Das Markenzeichen von Volker Lösch ist seit nunmehr einem Jahrzehnt das wirkungsmächtige, oft als aufsehenerregend innovativ wahrgenommene Zusammenspiel von Profi-Ensemble und Laienchor – das er mit Klassikern des Schauspiels grandios durchexerzierte. Diese teils preisgekrönten Arbeiten rüttelten besonders an den Nerven der Zeit eben durch den dramaturgisch geschickten Einbau authentischer, chorisch aufbereiteter Texte, die durch zahlreiche Gesprächsrunden gewonnen wurden, die Löschs Dramaturg Stefan Schnabel im Vorfeld der Inszenierung mit Leuten aus dem Umfeld des jeweiligen Theaters führte. Wie in Dresden bei Hauptmanns „Die Weber“ und Büchners „Woyzeck“, in Hamburg bei „Marat/Sade“ nach Peter Weiss oder in Berlin bei Borcherts „Draußen vor der Tür“ und Wedekinds „Lulu“.
Wieder am 17.11., 28.11., 21.12., 04.04., 13.04. und 27.04.
Schlagwörter: Macbeth, Reinhard Wengierek, Verdi, Volker Lösch