16. Jahrgang | Nummer 21 | 14. Oktober 2013

Ich möchte Verschwörungstheoretiker werden

von Werner Richter

Es gibt medial reichlich genutzt eine Reihe von Begriffen, die soziologisch wirken wie Schlüssel. Das heißt, sofort gehen bei der Mehrzahl der Begriffsempfänger die Jalousien runter. Die vorher empfangenen und jetzt anvisierten Darstellungen sind genügend klassifiziert, also weiteres Verarbeiten unnütz, der gedankliche Zugang versperrt. Diese Begriffe werden besonders routiniert als Grundwerkzeug der Politiker eingesetzt. Sie werden nicht auf Gehalt hinterfragt, haben bereits unerschütterliche, quasi neutrale Legitimität. Über den Tag verteilt begegnen sie uns wiederholt: Sozialneid, Leistungsgesellschaft, Leistungsträger, Demokratie, Reform, Klimawandel, Alterspyramide, Diktatur, Terroristen, Verschwörungstheorie et cetera. Am meisten verwundert die ungebrochene Funktionalität der Kategorien. Man wähnt, Gottes Geduld müsse sein Ende erreicht haben, aber  nichts passiert.
Resignation schlägt so um in Trotz: Ich werde Verschwörungstheoretiker. Dazu bastelt man sich zunächst eine passende Theorie, gewaltig soll sie sein, die Menschheit oder zumindest den zivilisierten Teil in höchster Gefahr beschreiben und lange Zeiträume erfassen, sonst lohnt der Aufwand nicht. Und sie muss dem Glaubwürdigkeitsprinzip absolut folgen, nicht mal die durch Hollywoodfilme geschaffene allgemeine Verunsicherung bezüglich Realität und Fiktion, inzwischen von breiten Bevölkerungsschichten erfasst, soll genutzt werden. Auf reine Fakten soll sich die Theorie stützen, kein Geheimgremium, keine Geheimbeschlüsse ominöser Kreise sollen in ihr die Welt lenken.
Die Theorie beginnt frühzeitig in den Achtzigerjahren. Ronald Reagan und die ihn vorschiebenden Kreise, mit Hollywoodlogik ausgerüstet und von Denkfabriken reicher Magnaten, die dafür dank Reagan & Co und deren Vorgängern nicht etwa ihr Geld geben, wie immer kolportiert wird, sondern Steuergelder umlenken, in Richtung getrimmt, ersinnen neue Strategien zur Vernichtung des Reiches des Bösen. Das „Starwars“-Programm zur Raketenabwehr (noch ein solcher Begriff, besser wäre der nicht so populäre, aber richtigere Begriff „Raketenangriff“ im beziehungsweise aus dem All), von nicht gewinnbeteiligten Wissenschaftlern als Unsinn qualifiziert, bringt dem Volk 70 Milliarden US-Dollar Kosten, den Konzernen gewaltige risikofreie Aufträge und Gewinne, an denen dank der Verquickung von Militär, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auch diese teilhaben, ein gewaltiges Propagandapotential und einen Tag gedachte Sicherheit. Wegen der tatsächlichen Unsicherheit eines automatisch auslösbaren und nicht mehr zu kontrollierenden Kernwaffenkrieges liegt das schöne Programm seit dem im Dornröschenschlaf.
Wie jedes anständige Unternehmen liefern auch die Denkprodukte Verkaufenden ganze Produktpaletten, an deren Ausgangspunkte unter anderem auch die vorher schon gelenkte Technologieentwicklung mit Schwerpunkt Informationen steht. Zum „Starwars“-Produkt gehörte untrennbar die Informationsnetzsicherheit. Die Idee des „www“ war möglich geworden und in Angriff genommen. Nach guter US-Sitte ist ein Krieg nur dann gerecht, wenn die Gewinnaussichten gerecht, das heißt groß sind. Stimmt’s, Obama? Wie seit jeher erhielten den Denkfabriken bestens bekannte Firmen mörderische, aber lukrative Aufträge, hier zunächst zur Schaffung eines weltumspannenden Informationsnetzes. Nach außen hin als Wunder, technische Revolution, Silicon-Valley-Kapitalismus-Kreativität und Weltgenesungswerk mit unendlichem Freiheitspotential verkauft, kann bei näherem Hinsehen der Lenkungsmechanismus an langer Leine nicht verborgen bleiben.
Dabei wäre es müßig nach Ei oder Henne zu fragen. Die Verquickung von Denkfabriken großer Vermögen, Finanzmachtkreisen, Industriegiganten, Wissenschaftseinrichtungen, Militär und Regierungen macht eine eindeutige Bestimmung der Vormachtstellung, die sowieso ambivalent wäre, unmöglich. Inzwischen sind die Verflechtungen soweit gediehen, dass auf Gewinnträchtigkeit und Zukunftsaussichten orientierten Aggressionsmodellen der Denkfabriken über die Einbettung der Militärbürokratie Waffensysteme entwickelt werden, die die US-Strategie bestimmen. Logisch schulen die Waffenkonzerne anhand ihrer dazu entwickelten Einsatzgrundsätze das Offizierscorps, das dann mit Boni festgezurrt ziemlich sicher den programmierten Aufstieg in der Hierarchie erwarten darf. Eisenhower warnte nach seiner Präsidentschaft vor der Macht des „militärisch-industriellen Komplexes“. Heutige Warner sprechen darauf bezogen inzwischen vom „politisch-wirtschaftlichen Komplex“. Aus diesem Wahnsinn kam schon immer als Ergebnis: irrsinnige, zumeist untaugliche, aber sehr teure Entwicklungen ohne militärisch großen Nutzeffekt und demzufolge die Perfektionierung des Terrorinstrumentariums gegen die Zivilbevölkerung. Übertrieben? Ein bisschen vielleicht, aber ist nicht der größte Feind der überrüsteten Expeditionskräfte überall in der Welt der mickrige, unterernährte und kranke „Taliban“ mit seiner primitiven Kalaschnikow nebst Sprengfalle?
Wie dem auch sei, das „www“ gedieh prächtig, neue Firmen erwuchsen aus der Prozesslogik, umfassten schließlich die ganze Welt und ließ den „neuen Markt“ die Finanzierung regeln, die ganze Welt zahlte. Nur der Ursprung blieb: die polit-militärische Strategie der USA, private Mächte inklusive. Die grenzenlose Freiheit des Internet als Leuchtturm der individuellen Freiheit für alle, schönes Propagandamärchen, bröselte an den Kanten: China, Iran und andere machten damit kurzen Prozess und bewiesen das Gegenteil. Auch den USA und ihren Dackeln war diese Seite des „www“ nicht genehm, der schrittweise Abbau der Freiheit mittels Gesetzgebung, natürlich im Namen des Humanismus, wurde auch im Kern der Zivilisation begonnen und dauert noch an. Eigentliches Ziel der ganzen Richtung war aber die weltweite Datensammlung zunächst ohne erkennbaren Sinn, als Datensammelwut oft verniedlicht. Einige Täter aus inneren Kreisen, Phil Kingsley, Robert Baer unter anderem, registrierten eine grundlegende sinnleere Strukturveränderung in den Geheimdiensten, denen die Datensammlung oblag. Ihnen fehlte Geduld, heute wird der Sinn deutlicher. Sie sahen nur die erste Phase eines Gesamtwerkes, dessen technische Basis ein US-beherrschtes, von außen unüberprüfbares, aber intern gut handhabbares Datenverbindungsnetz ist.
Der nächste Schritt war dann die Verbreitung von Milliarden lokalisierbarer Nutzergeräten, Handy, iPhone, Smart-Phone, GPS, nebenbei ein Riesengeschäft. Wie wir jüngst erfuhren, sind inzwischen für die Strategen bereits, auch mit Hilfe deutscher Wissenschaftskapazitäten und Steuergelder, die Probleme der Gesichts- und Stimmerkennung gelöst, die Verschlüsselung interessanter Daten kann zielgerichtet geknackt werden. Gegenwärtig läuft die Inthronisation des ach so günstigen iPhone 5 S, mit dem weltweit die Daktyloskopie möglich und damit die organisatorisch-technischen Bedingungen zur Totalüberwachung aller Menschen, bestimmt nicht zur Stärkung der weltweiten Demokratie, welch Euphemismus, vollendet sind. Oder fehlt noch was? Die nachdemokratische Phase der Geschichte kann wahr werden, falls es je eine demokratische gegeben haben sollte. Der Clou dabei ist, diese auch noch völlig überteuerten Geräte, so notwendig wie ein Kropf, sind der heranwachsenden Generation als unbedingtes Muss eingeimpft worden, sie gehen freiwillig zu ihrem Metzger.
Soweit die oft nachvollzogenen Fakten. Da wird es wohl nichts mit meiner Verschwörungstheorie, kein Platz für Gespinste. Aber garantiert würden diese Gedanken als solche gebrandmarkt werden, würden sie veröffentlicht werden. Davon nehme ich jedoch vorsorglich hier schon Abstand.