16. Jahrgang | Nummer 21 | 14. Oktober 2013

Gesang der Latscher

von Erich Weinert

Einer der Teilnehmer am 1. Freideutschen Jugendtag Mitte Oktober 1913 auf dem Hohen Meißner schrieb 35 Jahre später in der Wochenzeitung Sonntag vom 12. Oktober 1948: „Selbstverständlich muß man diese ganze spontane Tagung gegen Militaris­mus, Imperialismus und die kommende Kriegsgefahr unter dem damaligen Aspekt betrachten. Sie war ein Ausdruck der typischen fortschrittlichen pazifistischen Jugend in jenen Tagen. In ihrer idealisti­schen Formulierung zeigte sie weder die Gründe des Imperialismus und der Kriegs­gefahr auf, noch auch zeigte sie den kon­kreten Weg – etwa durch Anschluß an die organisierte Arbeiterbewegung –, den Kampf in der Tat durchzuführen. Dennoch war sie ein Ausgangspunkt für die besten jungen Intellektuellen des Bürgertums, die zum mindesten die Gefahr erkannten und willens waren, für ihre Ideen einzutreten.“
Der das schrieb, war der kommunistische Dichter Friedrich Wolf.
Der Boden für den Jugendtag war maßgeblich von der 1896 in Berlin-Steglitz entstandenen der Wandervogel-Bewegung bereitet worden. Einem anderen kommunistischen Dichter, Erich Weinert, waren dies kleinbürgerlich-proletarische Zeitgenossen, die sich „mit Poesie vom Klassenkampf drücken wollen“,
und er spottete mit spitzer Feder …
Die Redaktion

Der Frühling braust; wir ziehen fürbaß
und zupfen unsere Geigen.
Wir hüpfen froh ins nasse Gras
und tanzen unsre Reigen.
Die Klampfe klirrt im Schritt und Tritt.
Die Kochgeschirre klirren mit.
Der Wald ist voll Akustik.
Wir sind so schrecklich lustig.

Und sitzen wir am Waldesrand,
dann schweigen unsre Klampfen,
dann lassen wir durchs stille Land
die Hafergrütze dampfen.
Die Maggisuppe duftet weit
in Wald und Bergeseinsamkeit.
Wie lustig schmort die Soße
in der Konservendose!

Und ist die Grütze aufgekaut,
dann wird in blau und rosa,
das Seelenleben aufgebaut,
teils lyrisch, teils in Prosa.
Hoch in die Wolken flieht der Blick.
Wir ziehen uns aus der Welt zurück
und sprechen leis im Chore
Rabindranath Tagore.

Wir fühlen uns nicht bürgerlich
und auch nicht proletarisch.
Wir wandeln auf dem Himmelsstrich
und leben literarisch.
Die schnöde Welt, wir hassen sie.
Nur abgeklärte Poesie
ist unsre Seelenspeise.
Wir sind so schrecklich weise.

Pfui Klassenkampf! Wie ordinär!
Wir kennen nicht Tarife.
Der Reichtum kommt von innen her
aus unsrer Seelentiefe.
Wer sich von innen her beschaut
und Nietzsche liest und Rüben kaut,
was kümmern den die andern?
Juchhu! Wir müssen wandern!

Der Dichter hat sein Opus auch selbst gesungen – zur akustischen Wiedergabe hier klicken!
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Literaturhauses Magdeburg.