16. Jahrgang | Nummer 20 | 30. September 2013

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Petra Pau, Blättchen-Autorin – Die Redaktion gratuliert Ihnen zum bereits vierten Direktmandat für den Bundestag. Die Linke kann stolz auf Sie sein, und wir sind es auch, hoffen aber zugleich, dass Sie auch künftig gelegentlich Zeit finden, uns mit Texten wie jüngst jenen zum NSU-Ausschuss zu bedenken, dem Sie angehören: Chapeau!

Marcel Reich-Ranicki, zum Olymp Entschwundener – Sie sind, so vermerkte Harald Jähner nekrologisch in der Berliner Zeitung, „vermutlich […] bekannter als der berühmteste deutsche Gegenwartsschriftsteller, der Nobelpreisträger Günter Grass“, und meinte anschließend: „Für einen Kritiker, der vorgibt, die Literatur sei sein Lebensgefühl, ist das ein fast unanständiger Triumph der Kritik über ihren Gegenstand.“ Dass sich Ihre Autobiografie 1,5 Millionen Mal verkaufte, sagt etwas aus über die Erheblichkeit Ihrer Fan-Gemeinde hierzulande. Dass Sie Popularität und Anerkennung in ebensolchem Maße ernteten wie das jeweilige Gegenteil, ist umso bemerkenswerter, als sie Zeit Lebens einem Genre frönten, von dessen Adepten der Volksmund schon mal meinte, sie glichen Eunuchen, die zwar wissen, wie’s geht, aber nicht können … Vielleicht nicht gerade Unsterblichkeit, aber gewiss eine ziemlich lange Verweildauer im amüsierten Angedenken der Deutschen dürften Sie sich vor allem durch Ihre Sottisen erworben haben, deren Pointiertheit die Ihrer Kritiker allemal übertraf und deren Brillanz in der Literatur selbst auch nicht eben oft erreicht wurde. Als Grass sich in den 1990er einmal über Ihre Allmacht am deutschen Literatur-Firmament mokierte, replizierten Sie: „Alle wissen wir, dass nicht nur Grass in eine Krise geraten ist, sondern die ganze deutsche Gegenwartsliteratur. Ein Zeichen der Krise mag sein, dass die deutschen Kritiker bisweilen besser schreiben als die Autoren, mit denen sie sich beschäftigen. Was Grass ärgert, trifft teilweise zu: Für manche Kritiker interessiert man sich heutzutage mehr als für diesen oder jenen Schriftsteller, der uns in den sechziger, in den siebziger Jahren entzückt hat. So ist das: Wenn Seuchen um sich greifen, werden die Ärzte immer wichtiger.“ Und „Drei Tage im März“ aus der Feder Ihres bis dato sehr guten Freundes Heinrich Böll bürsteten Sie folgendermaßen ab: „Wer immer dieses Buch liest, wird des angenehmen Gefühls teilhaftig, er könne sich doch ein bisschen besser ausdrücken als Deutschlands repräsentativer Schriftsteller.“

Dilma Rousseff, nach Snowden-Enthüllungen Handelnde – Die Reaktionen der westlichen Regierungen auf die Enthüllungen von Edward Snowden sind wie ein laues Lüftchen über uns hinweg gezogen. Nichts ist passiert, außer dass man den Präsidenten Boliviens zur Landung gezwungen und sein Flugzeug nach Snowden durchsucht hat. Sie haben nun ihren Staatsbesuch in den USA mit Verweis auf die bisher fehlenden Konsequenzen aus der NSA-Überwachung brasilianischen E-Mail-Verkehrs verschoben (es war ARD und ZDF übrigens keine Nachricht im Abendprogramm wert). Sie drängen zugleich das brasilianische Parlament, die Firmen per Gesetz dazu zu verpflichten, Daten von brasilianischen Nutzern im Land aufzubewahren. Und Sie setzen sich dafür ein, die südamerikanischen Staaten direkt miteinander zu verbinden und ein Unterseekabel nach Europa zu legen, um die Daten nicht wie bisher über die USA leiten zu müssen. Kritiker sagen, es wäre besser, durchschlagkräftige internationale Gesetze auszuarbeiten. Mag ja sein – aber endlich handelt eine Regierung. Und die USA werden mit ernsthaften Reaktionen konfrontiert.

Christian Lindner, Hoffnungsträger einer abhanden gekommenen Partei – „Nicht alles war falsch, aber manches auch nicht überzeugend“, lautete ihr Erklärungsversuch für das liberale Debakel am Wahlabend. Das muß man nicht kommentieren. Nur das Gedächtnis spielt unsereinem bei solchen Floskeln einen Streich: „Nicht alles war schlecht…“ Dennoch ging die DDDR unter. Jegliches hat seine Zeit…

Christian Bommarius, Edelfeder der Berliner Zeitung Wenige Tage vor der Wahl schrieben Sie: „Wahlkämpfe sind der alle Jahre erneuerte Versuch der politischen Parteien, mit den dümmsten Parolen die dicksten Kartoffeln zu ernten.“ Seit der Wahl wissen wir, dass die CDU/CSU (plus 7,7 Prozent) den Vorgang bedeutend besser beherrscht als die SPD (magere plus 2,7 Prozent). Und schon wieder stellt sich eine Entscheidungsfrage: Sollte man der alten Tante vielleicht gerade deswegen wieder mehr politische Sympathie entgegenbringen oder sollte man den Daumen besser gesenkt halten, weil deren Führungsgenossen selbst für eine ordentliche Verarsche des Urnenpöbels (Lothar Dombrowski alias Georg Schramm) zu dusselig sind?

Fil, Comedy-Stimme Berlins – Von Ihnen stammt der ebenso profunde sexual- wie volkskundliche Durchdringung sozialer Minderheitenbiotope manifestierende Zweizeiler: „In der Vagina ist der Penis ein glücklicher Zwerg / So wie ein Schwabe im Prenzlauer Berg“. Dieses nachgerade aphoristische Komprimat entzieht sich nicht nur jeglicher exegetischer Vertiefung oder auch nur kalauernder Missinterpretation, es scheint uns zugleich auch ein nachhaltiger Hinweis darauf zu sein, dass Kalliope noch so einiges mit Ihnen vorhat.

Marina Weisband, Piratin im Landurlaub – Sie wollen wieder an Bord, verkündeten Sie Spiegel Online. Ihre Diplomarbeit hätten Sie ja nun fertig gestellt und nun wollen Sie endlich die Sache mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ausarbeiten. Wir freuen uns drauf, man lernt schließlich nie aus. Ob es der Piratenpartei mit Ihnen ebenso gehen wird, ist noch offen. Möglicherweise nehmen die Ihnen Ihre Begründung übel: „Jetzt haben wir ja nichts mehr zu verlieren.“ Mit ähnlichen Worten muss sich Störtebeker in seine letzte Schlacht gestürzt haben.

Christian Neureuther, skialpine Plaudertasche aus Bayern – „Thomas ist wie kein anderer in der Sportwelt vernetzt. Also wird er als weltweit wichtigster Sportfunktionäre auch weltweit Einfluss nehmen können.“ Mit der gewohnt bajuwarischen Zurückhaltung haben Sie so die Münchner Erwartungshaltung für die Winterspiele 2022 an den neuen IOC-Präsidenten durchblicken lassen. Wo kommen wir denn hin, wenn der nicht spurt! Und zwei Jahre später die Sommerspiele in Berlin… Da wird doch der Bach-Thomas ein bisserl Einfluß nehmen können. Von wegen die besseren Bewerber, so ein Schmarrn!

Ulrich Grillo, BDI-Präsident – Sie haben in die nachwahlentsicherten TV-Kameras hinein Ihr Bedauern darüber ausgedrückt, dass die FDP nicht mehr im Bundestag vertreten ist. Das verstehen wir gut, hat die deutsche Industrie nun doch wenigstens zwischenzeitlich ihren politbewaffneten Arm verloren. Allerliebst fanden wir Ihre bei gleicher Gelegenheit geäußerte Ablehnung eines flächendeckenden Mindestlohnes, weil dafür jetzt nicht der richtige Zeitpunkt vorläge. Wir wünschten Ihnen und uns ein ewiges Leben, nur um zu erfahren, wie Ihrer Meinung nach ein richtiger Zeitpunkt aussähe. Aber dafür ist vermutlich sogar ein ewiges Leben zu kurz.

Hassan Rohani, iranischer Präsident – Man soll zwar auch den orientalischen Tag nicht vor dem Abend loben, aber Ihre ersten Verlautbarungen und Taten machen uns Mut, dass der Iran nun das seine tut, um die ihm unterstellte Bedrohung zumindest Israels, für die Ihr unseliger Vorgänger so viel getan hat, zu entschärfen. Das nähme auch dem Abendland die Chance, die bislang bereitwillig aufgebaute Drohkulisse gegen Ihr Land weiter in Richtung einer Aggression aufzurüsten. Im Übrigen zeigt sich an Ihrem Beispiel wieder einmal, wie viel (zumindest potentiell) Gravierendes in der Politik von Personen abhängt.

George Bush senior – Lange hat man von Ihnen nichts mehr gehört, was zu unserem eigentlichen Glück auch auf Ihren Sohn zutrifft. Ihr Name aber tauchte nun in einem Zusammenhang auf, den man durchaus als einen rühmlichen etikettieren darf, waren Sie doch Trauzeuge bei der Heirat eines lesbischen Paares aus Ihrem persönlichen Umfeld. Wie wir wissen, ist so viel Toleranz in den USA noch immer wenig verbreitet, was sie umso bemerkenswerter macht. Vielleicht haben Sie ja noch einen Draht nach Moskau, um das militante Alphamännchen Putin wenigstens in dieser Frage zu ein wenig Glasnostj und Perestroika zu bewegen.