von Ulrich Scharfenorth
Seit dem 4. Juni 2013 steht fest: Vor der Bundestagswahl wird es kein Gesetz zur unkonventionellen Gasförderung („Fracking“) in Deutschland geben. Das hat zum einen damit zu tun, dass heute sehr viel mehr über das Verfahren bekannt ist. Zum anderen gibt es ein groteskes Tauziehen.
Wir wissen in der Tat sehr viel mehr über Technologien, Bergrecht und Umweltgefahren – auf der anderen Seite aber immer noch sehr wenig über die verfahrensbedingte Chemie (die Gas-Konzerne mauern), die unterirdischen, trinkwasserspezifischen Gegebenheiten und die Tricks derer, die um jeden Preis „absahnen“ wollen. Im Spannungsfeld zwischen unzureichender Information, einer wachsenden Angst vor möglicher Trinkwasservergiftung und reiner Profitgier ist es zwischen „Explorationseiferern“ und Gegnern des Gasbohrens zu immer ernsthafteren Kontroversen gekommen. Die Bundesregierung, die Regierungen der schwarz-gelb regierten Bundesländer und natürlich die Gaskonzerne drängen auf möglichst freizügige Ausbeutung der Gasvorkommen, während zahllose Bürgerinitiativen, viele Grüne, SPD-Mitglieder und vor allem Die Linke eben das verhindern wollen.
Nachdem die erstens von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen und zweitens von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten weder Klarheit über den Umfang der vermuteten Gasvorkommen, die Risiken des Frackings und die notwendigen Gesetzesänderungen und Zuständigkeiten erbracht haben und auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen am 31. Mai vor den Risiken des Fracking warnte, tobt sehr viel mehr als nur ein Schaukampf. Frackingbefürworter bestehen darauf, dass offene Fragen über das Durchführen von Probebohrungen geklärt werden müssten. Ihre Gegner wollen diese Bohrungen gar nicht erst zulassen. Dazwischen bewegen sich Gruppen, die ergebnisoffen diskutieren. Diese wollen zumindest sicher gestellt wissen, dass nicht allein die Bergbehörden/die Bezirksregierung Arnsberg (die Bergbehörden unterstehen der Gesetzgebung des Bundes, dem Bundesberggesetz – haben bislang jedoch Vollmacht, Aufsuchungsgenehmigungen auf Landesebene zu erteilen), sondern betroffene Länder/ Kommunen, die wasserwirtschaftlichen Betriebe, Trinkwasserverbraucher und damit auch die Bürger selbst über mögliche Explorationen entscheiden. Bündnis 90/Die Grünen haben am 15. Mai einen entsprechenden Gesetzes-Gegenvorschlag unterbreitet.
An dieser Stelle ein kurzer Hinweis auf die sogenannten Aufsuchungsgebiete: Das sind weite Bereiche in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Baden-Württemberg, für die vom Bund (Bergbaubehörden) sogenannte Claims (und damit Gas-Aufsuchungserlaubnisse) an potentielle Gasförderer vergeben wurden. Im Gegenzug konnten CDU-Abgeordnete aus Baden-Württemberg im „brach liegenden“ Gesetzestext eine „Lex Bodensee“ durchsetzen. Sie verbietet Fracking rund um den größten deutschen See.
Ins Ausland: Nach wie vor trommeln Nachrichten aus den USA – solche von enormen Gasgewinnungs-Chancen ebenso wie deren Spiegelbilder: zersiedelte Landschaften, vergiftete Äcker, Lärm und Methanfeuer aus den Wasserhähnen; in Nordamerika sollen die Gaspreise seit 2008 allein durch Fracking um zirka 80 Prozent gesunken sein – mit der Folge, dass die abnehmenden Industrien ihre Kosten erheblich senken konnten und sogar Exportchancen für Gas eröffnet wurden. Für viele Milliarden Euro werden derzeit große Terminals aus dem Boden gestampft, über die verflüssigtes Gas (LNG) in alle Welt verschifft werden soll. Diese Nachrichten drücken auch auf Europa, obwohl hier weder die Gründe für den Boom, noch die (keineswegs vergleichbaren) Förderbedingungen richtig bekannt sind. Hinter dem großen Teich nämlich startete Fracking bei extrem hohen Gaspreisen (was die teure Verfahrenstechnik refinanzieren half), dort finden viele Explorationen in geringerer Tiefe und unbesiedelter Landschaft statt, dort wird die Gasförderung von den Auflagen des Umweltschutzes weitgehend ausgenommen, dort werden Öl- und Gaskonzerne vor allem nach ihren „Reserven“ bewertet. Beides – die günstigeren Förderbedingungen als auch die Voten der Rating-Agenturen – befeuern folglich, was Natur und Mensch gnadenlos unterwirft. Dass Frackingquellen sehr viel schneller versiegen als herkömmliche, heizt die Vorgänge zusätzlich an. Denn vor jedem OUT muss es schnell eine neue Quelle geben – was über kurz oder lang zu Mondlandschaften von gigantischem Ausmaß führt. Renaturierung – Fragezeichen.
In Frankreich und Polen ist das Fracking inzwischen verboten. In Großbritannien ringt man – ähnlich wie in Deutschland – um ein Ergebnis. Hierzulande läuft alles darauf hinaus, ein Gesetz zu verabschieden, das Fracking grundsätzlich – wenn auch mit Einschränkungen – zulässt. Über das Ausmaß der Restriktionen ist zwischen Schwarz und Schwarz sowie Schwarz und Gelb genau der Streit entbrannt, der ein Gesetz unmöglich machte. Wie müssten Umweltverträglichkeitsprüfungen definiert werden, welche Trinkwasser-Schutzgebiete müsse man in welchem Umfang ausnehmen, gelinge es, das sogenannte clean-Fracking (ohne giftige Chemikalien) zu etablieren, sei es möglich, die toxischen Abwässer kostengünstig zu entsorgen? Alles Fragen, die Befürworter der Technologie beantworten müssten. Wenngleich sie auch dann noch meilenweit von der Gesamtlösung entfernt wären. Denn zum einen sind die maßgeblichen unterirdische Horizonte (und einzuhaltende Abstände) schwer abzuschätzen, zum anderen kann auch clean-Fracking das Gefährdungsrisiko nur teilweise einschränken. Denn auch der Horror neben dem ein- und wieder ausgebrachten Chemie-Cocktail, das giftige Lagerstättenwasser, muss sicher „untergebracht“ beziehungsweise aufbereitet werden. Über all dem schwebt dann noch das Damoklesschwert „Spätschäden“. Wer schon kann einschätzen, was vagabundierende Wässer in 20 oder 30 Jahren so anrichten – in Naturgestein, Bruchzonen oder Schweizer Käsen, wie es sie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen überall gibt?
Spätestens hier stellt sich auch die Frage der Kosten. Kann sich Fracking mit Blick auf die immensen Sicherheitsvorkehrungen, die relativ geringen Vorkommen und die verbleibenden Risiken (Kosten für Versicherungen etc.) überhaupt lohnen? Kaum.
Und ist es überhaupt notwendig, dass Deutschland auf diese Reserven bereits heute zugreift? Keineswegs. Deutschland – so argumentieren selbst Konservative – sei auch bei den jetzt vorliegenden hohen Energiekosten Vize-Exportweltmeister. Deutschland verfüge über stabile Lieferbeziehungen bei Erdgas und könne auf die höchst umweltschädliche Energiegewinnung über Fracking (unkontrollierter Methanaustritt!) gut verzichten.
Massive Fracking-Aktivitäten, sprich: die Rückwärtsbewegung auf fossile Energien, würden auch die Energiewende erheblich stören, weil dann nicht nur energetisch gepuffert (bei Sonnen- und Windausfall), sondern exzessiv gefördert und eingespeist würde. Darüber hinaus macht es durchaus Sinn, die fossilen Reserven so lange zu erhalten, bis extreme Rohstoffnot herrscht oder (aus der Sicht der Technik formuliert) moderne, sichere Explorationsmethoden vorhanden sind. Niemand zwingt uns, in dieser Lage enorme Risiken einzugehen.
So logisch die Thesen auch scheinen: Die Kuh ist keineswegs vom Eis. Exxon, Wintershall, PRD Energy & Co. werden nach wie vor alles daran setzen, die deutsche Gesetzgebung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Das dürfte sich auch nach der Bundestagswahl fortsetzen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit eine schwarz-rote Koalition hervorbringen wird. Ja selbst, wenn es zu einer rot-grünen Mehrheit käme, wäre die Fracking-Abstinenz keineswegs gesichert. Denn im SPD-Lager stecken – wie immer schon – Industriefreunde, und auch ganze Länderparlamente könnten bei attraktiver Beteiligung an den Gaserträgen ins Wanken geraten, ganz zu schweigen von blanker Bestechung, die Bodenbesitzern an potentiellen Bohrorten begegnen dürfte (allein in den USA sind mehr als eine Milliarde US-Dollar an Landbesitzer gezahlt worden).
Kurzum: Unter diesen Bedingungen auf erfräcktes Erdgas zu setzen, ist nicht nur wirklichkeitsfremd, es ist menschenverachtend. Was wir brauchen, ist ein striktes Verbot der unkonventionellen Gasförderung – und nichts sonst!
In diesem Sinne wurde am 4. und 5. Mai 2013 eine bundesweite Anti-Fracking-Initiative gegründet, die mit ihrer „Korbacher Resolution“ Furore macht. 26 Organisationen und Aktionsbündnisse stehen jetzt für die Bewahrung von Natur und Trinkwasser. Ihre Devise: No fracking! Für den 31. August ist ein bundesweiter Anti-Fracking-Tag geplant.
Siehe auch: Ulrich Scharfenorth/HelderYurén, Bürgerinitiative gegen „Fracking“ (Das Blättchen 7/2011) und Ulrich Scharfenorth, Erste Erfolge der Gegner des Gasbohrens (Das Blättchen 20/2011).
Schlagwörter: Erdgas, Fracking, Ulrich Scharfenorth