16. Jahrgang | Nummer 11 | 27. Mai 2013

Merkelei (II): Nachrichten aus der Debattiermaschine (XXII)

von Eckhard Mieder

Es zerreißt einen ja ständig. Zum einen juckt es. Es wütet in einem. Man kann die Schnauze nicht halten, man muss was sagen zu dem Scheiß.
Zum anderen möchte man abwinken und sprechen wie der königliche Wettiner, 1918 in Dresden, und nur noch schweigen dann: „Nu da machd doch oiern Drägg alleene.“
Jetzt wird die Kanzlerin mal als Sau durchs Dorf gejagt, dann als Gefühls-Verbündete all derjenigen, die sich an der „Legende von Paul und Paula“ delektieren können. Ja, dieses Weh, diese Romantik, als wir alle noch hübsch, jung und wild waren. Auch die Kanzlerin, und nackicht dazu. (Wann wird ihr Schnuller versteigert wie einstens der Volkswagen Ratzingers? Wann wird ihre erste Strumpfhose ins Museum für Deutsche Geschichte gehängt wie die Turnschuhe des Dicken Zwerges oder die Strickjacke des Dicken Riesen?)
Diese Kanzlerin, dieser Bohei, diese Zeilenlutscherei!
Gut, dass ich Freunde habe, die mir Kommentare ersparen.
Gut, dass ich einen Freund habe.
Johannes Tütenholz schickte mir folgenden Text, von dem er log, er wüsste nicht, wer ihn geschrieben hat. Ich bin sicher, er weiß es. Ich bin sicher, es ist sein von einem anderen in einem anderen Zusammenhang geschriebener Kommentar zur derzeitigen Merkelei.
Obwohl, ganz sicher bin ich mir natürlich nicht. Niemals bin ich mir ganz sicher.

Mein Freund ist fortgegangen (nach der Melodie: „Der Mond ist aufgegangen“)

Und es ist wohl nichts als Glück,
Dass ich keinen verriet.
Richard Leising

„Mein Freund ist fortgegangen,
Er hat sich aufgehangen
Am Samstag in der Nacht.
Er schrieb, er hätte Sorgen
Und keinen Mut für morgen,
Da hat er einfach Schluss gemacht.

Ich fand ihn nach zwei Tagen,
Ich konnte nichts mehr fragen,
Er hing da ziemlich schief.
Ich schnitt ihn von der Leine
Und war mit mir alleine,
Und nur der Fernseher, der lief.

Ich habe ihn begraben
Und schlug die Küchenschaben
In seinem Kühlschrank tot.
Wir sprachen oft von Siegen,
Von Ehre und von Lügen,
Und seine Not war meine Not.

Ich hab, wie er verraten,
Was meine Freunde taten,
Dem Führungsoffizier.
Wir ließen uns benützen,
Um unsern Staat zu schützen,
Das Leben war nur noch Papier.

Wohin soll ich mich hängen?
Wonach kann es mich drängen
In diesem blöden Land?


…“

Punkt Punkt Punkt. Tatsächlich. Enttäuschend. Leider ist das Gedicht ein Fragment. Noch dazu in Anführungszeichen; wer spricht da?
Freund Tütenholz meint, der Schreiber jener Zeilen habe entweder nicht weiter gewusst und sich wie das lyrische Ich in den deutschen Wald geknüpft. Oder er habe einen Lachanfall bekommen und das Lied nicht zu Ende schreiben können.
Er, Freund Tütenholz, könnte sich noch etliche Strophen vorstellen, in denen das eine und das andere abgewogen werden müsste. Verrat, Verstrickung; Naivität, Opportunismus; Schuld, Glauben, Illusionen; Optimismus, Verführung, Stärke … Eben dieser ganze Matsch (Scheiß?), in dem und von dem der Mensch lebt. Sagt jedenfalls Johannes Tütenholz, Freund und Philosoph meines Herzens.