von Mario Keßler
Die Wiederkehr des hundertsten Geburtstages einer geschichtlichen Persönlichkeit bietet Anlaß zur Rückschau. Fällt das Jubiläum in das Jahr 2004, steht ein vergangenes Leben, das 1904 begann, mit großer Wahrscheinlichkeit im Schatten von Leid und Gewalt, die das Jahrhundert der Katastrophen durchzogen. So ist es auch im Fall eines Doppeljubiläums: Erinnert wird an Joseph Berger (1904-1978) und an Leopold Trepper (1904-1982), die ein gemeinsames Schicksal verband.
Joseph Berger stammte aus Kraków, geboren wurde er als Josef Michael Zilsnik, Leopold Trepper, dessen eigentlicher Name Leib Domb war, wurde unweit davon, in Nowy Targ, geboren. Beide waren Juden, beide mußten mit ihren Familien vor den russischen Truppen im Ersten Weltkrieg nach Wien flüchten. Beide fanden den Weg zur Arbeiterbewegung, zum sozialistischen Zionismus. Beide gingen nach dem Ersten Weltkrieg ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina. Dort überprüften sie ihre idealistische Vorstellung einer Synthese von Sozialismus und Zionismus. Das könne nicht funktionieren, solange der Zionismus insgesamt gegen die Araber gerichtet sei, meinten beide. Die Konsequenz war der Eintritt in eine kommunistische Gruppe, aus der die KP Palästinas hervorging, die im März 1924 in die Komintern aufgenommen wurde.
Berger wie Trepper engagierten sich voller Idealismus in der Partei, die damals illegal arbeiten mußte. Sie scheuten die Verantwortung nicht, und sie gelangten in Funktionen: Berger wurde Stellvertreter des Parteisekretärs Wolf Averbuch, Trepper wurde Sekretär der Parteigruppe in Haifa und legal arbeitender Gewerkschafter. Er organisierte 1925 die erste Gewerkschaftsorganisation in Palästina, in der Juden und Araber Mitglieder waren. Der jüdische Gewerkschaftsbund Hstadruth nahm keine arabischen Mitglieder auf. Die Kommunistische Partei war die einzige Partei, in der Juden und Araber gleichberechtigt organisiert waren.
Die arabisch-jüdischen Unruhen mündeten im August 1929 in den ersten Bürgerkrieg in Palästina. Wie alle anderen politischen Kräfte, wurden die Kommunisten von der Gewalt, die mehrere hundert Tote innerhalb einer Woche forderte, überrascht. Verantwortlich waren arabische Extremisten um den Mufti Amin al-Hussaini, doch auch Rechtszionisten um Zeev Jabotinsky. Die Briten »befriedeten« das Land, doch ihre Kontrolle hielt nur noch kurze Zeit.
Die Kommunisten befanden sich mit ihrer internationalistischen Haltung zwischen den nationalistischen Fronten. Zudem nutzt die Mandatspolizei die Lage, um wichtige KP-Mitglieder in mehreren Wellen aus dem Land zu deportieren. So mußten Joseph Berger wie Leopold Trepper gezwungenermaßen das Land verlassen. Berger ging nach Berlin und arbeitete, als Stellvertreter von Willy Münzenberg, in der Antiimperialistischen Liga. Trepper ging nach Frankreich und arbeitete in der dortigen KP. Schließlich gelangte er, wie Berger, in die Sowjetunion. Während Berger in Moskau die Nahost-Abteilung der Komintern leitete, arbeitete Trepper im Sicherheitsapparat beim Aufbau der Auslandsaufklärung.
Im Februar 1935 wurde Joseph Berger in Moskau verhaftet. Ein Leidensweg folgte: Berger überstand die Butyrka, die Lubjanka, mehrere sibirische Lager, die Solowki-Inseln, schließlich landete er in Irkutsk. Bis 1951 blieb er, völlig unschuldig, in Haft. Ihr folgte die Verbannung in der Nähe von Krasnojarsk, wo Berger als Übersetzer arbeiten durfte. Dort sah er seine Frau und seinen Sohn nach sechzehn Jahren wieder. 1956 wurde er rehabilitiert und durfte nach Warschau ausreisen. Ein Jahr später ging er nach Israel.
Leopold Trepper baute vor dem Zweiten Weltkrieg ein Aufklärungsnetz in Westeuropa auf, das zur Grundlage der von den Nazis gejagten und doch gefürchteten »Roten Kapelle« wurde, jener berühmten antifaschistischen Widerstandsorganisation. Von der Gestapo 1943 in Paris verhaftet, gelang es Trepper, ein Jahr später zu entkommen. Durch die Sowjetregierung 1945 mit dem Leninorden ausgezeichnet, wurde Trepper unmittelbar anschließend unter dem absurden Vorwand verhaftet, mit den Nazis kollaboriert zu haben.
Erst 1953, nach dem Tode Stalins, wurde sein Fall überprüft. Trepper wurde rehabilitiert, und auch er übersiedelte mit seiner Familie nach Polen. Dort war er bis 1968 Vorsitzender des Jüdischen Kulturverbandes und Leiter des Verlages Jiddisch Buch. 1968 wurden seine Söhne in die – von antisemitischen Kräften angeheizten – Studentenunruhen an der Universität Kraków hineingezogen und exmatrikuliert. Nun brach Trepper mit dem offiziellen Kommunismus, nun betrieb die Familie die Ausreise nach Israel. Nachdem der »Fall Trepper« international Schlagzeilen machte, durfte die Familie 1973 ausreisen. Zunächst ging Trepper nach Kopenhagen, zwei Jahre später nach Israel.
Dort hatte Joseph Berger inzwischen einen Lehrauftrag für Politische Wissenschaft an der Universität Bar Ilan übernommen, der dann in eine außerordentliche Professur umgewandelt wurde. Anders als Trepper, hatte Berger im sowjetischen Lager in der Religion seinen Halt gefunden. Beide wurden entschiedene Kritiker des Stalinismus, beide sahen in Israel ihre Heimat, beide blieben einem ursprünglichen Anliegen treu: dem Wunsch nach Frieden mit den Arabern. Beide, Trepper jedoch stärker als Berger, hielten an der Idee eines nichtstalinistischen Sozialismus fest. Trepper hielt auch Kontakt mit Freunden aus dem antifaschistischen Widerstand, so mit Heinrich Scheel. »Wir wollten die Welt ändern, wir sind gescheitert«, sagte Trepper kurz vor seinem Tode 1982 in einem Interview des ZDF. Seine Frau Luba Broide sah dies etwas anders: Sie seien nicht gescheitert, sagte sie 1990 der Tageszeitung Junge Welt. Sogar der Zusammenbruch des Sowjetkommunismus bedeute kein Ende des Strebens nach einer sozialistischen Demokratie. »Diese Idee hat eine Chance«.
Schlagwörter: Joseph Berger, Leopold Trepper, Mario Keßler