Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 27. September 2004, Heft 20

Leichners Fettpuder

von Matthias Käther

Stumpfer Teint einer fashionablen Welt. Nicht wahr, das ist doch mal ein schöner Titel! Max Gold wird erblassen vor Neid. Leider ist das nur geborgt und nicht wirklich von mir. Sondern von Carl Georg Rumpf. Und der war (leider) kein Lyriker, sondern ein Designer (1888 – 1927), der auf einem Plakat von 1914 einen Kosmetik-Artikel tatsächlich so anpreist. Überschrift: Leichners Fettpuder.
Aber ganz von vorne. Während sich das bildungshungrige Publikum sieben Stunden am New Yorker Modern-Art-Wanderzirkus oder am Gropius-Bau die Beine in den Bauch stand, blieb eine der wunderbarsten Ausstellungen dieses Jahres in Berlin fast unbeachtet. Vielleicht war der leicht professorale Titel schuld: Strategien der Werbekunst 1850 – 1933. Seltsame Ironie, daß bei einer Werbe-Ausstellung die eigne Werbung versagt hat.
Mich ließ zweierlei daran aufhorchen. Zunächst die freche These, daß Werbung Kunst sei, und dann die nicht weniger rotzige Behauptung, daß Werbung eine Strategie zugrundeliege. War mir neu. Wenn man sich die Filmunterbrechungen auf Pro7 so anguckt, bekommt man jedenfalls nicht diesen Eindruck.
Es ist ein sonderbares Paradoxon, daß niemand in ein so introvertierendes Ding wie eine Ausstellung gern alleine geht. Aber bekommen Sie mal jemanden in einer Reklame-Ausstellung!
Und eventuell muß man ja auch die Augen eines Kindes haben, um das schön zu finden: Den Schoko-Automaten der Jahrhundertwende, knallbunte Anzeigen: »Jünger und schöner durch Wella-Dauerwellen«, Simplicissimus-Plakate von Th.Th. Heine, eifrige Inserate: »Unsere Dandy- Cigaretten heißen jetzt Dally!«, und, ja richtig, das gabs auch mal: »Gold gab ich zur Wehr, Eisen nahm ich zur Ehr« … Es war alles ein bißchen wild durcheinander dort im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums, man hatte thematisch, nicht chronologisch geordnet, aber es war eine Freude. Natürlich besteht der Unterhaltungswert dieser alten Plakate, Inserate, Dias und Leuchtschriften vor allem in ihrer Vorgestrigkeit. Das rührt und belustigt heute ungemein, so wie die Generation von 2030 über diese ganzen Beach-Friend-Drink-Werbungen lächeln wird. (Ah, schlechtes Beispiel, das ist ja heute schon lächerlich.)
Aber da ist dann noch etwas anderes: Neben vielem Tinnef leuchtet tatsächlich immer wieder Kunst hervor. Das Museum erinnert mit Recht daran, daß auch Heartfields Wahlplakate für die KPD im besten Sinne Werbung waren. Und was die Moderne (also die Avantgarde der wilhelminischen Ära 1885 – 1914) sich da alles ausgedacht hat, ist zum In-die-Hände-klatschen. Manches vergißt man nie: Klingers Plakat etwa für die Lustigen Blätter (1907): In der Mitte des Bildes prangt einfach die Schrift, Blutspritzer kleckern über das Blatt und oben links hüpft ein Floh, der dies Blut beim Springen verliert, vollgesogen und fett … Oder Max Schwarzers Plakat für den Uhu (1928), Ullsteins mondänes Magazin: Die Worte »Uhu« sind dezent in die linke obere Ecke gesetzt, und ein wunderbar kühler Frauen-Kopf füllt das Zentrum, ein bißchen an den frühen Feininger erinnernd, kurze Haare, schmaler ernster Mund, eine Brosche aus zwei kristallinen Rechtecken … Gibt es das heute noch?
Auf einem Bildschirm flimmerte einer der ersten Werbefilme, ein Maggi-Spot von 1912; Maggi-Flaschen tanzen dämlich auf einem Tisch hin und her. Erstaunlich, wie sehr der dilettantische Aufstieg des Genres 1912 dem verkalkten Abstieg 2004 ähnelt: Man koloriere das und lege Hip-Hop-Rhythmen drunter, und keiner merkt den Unterschied.
Viel zu schnell war man durch die wenigen Räume hindurchgestolpert; aber glücklicherweise gab es einen ausführlichen Katalog dazu, der sein Geld wert ist. Trotz aller Opulenz ein sehr deutscher Katalog: Hier wird ein Haufen Schnickschnack an merkantiler Theorie angekarrt, da wird der Maggi-Suppenwürfel in der Pfanne verrückt! Vermutlich glauben sie alle das Zeug auch noch, das sie da zusammenbrauen. Nietzsche wird zitiert (kein noch so materialistisches Thema hierzulande ohne philosophischen Unterbau; auch wer Bahlsen-Kekse verkauft, hat eine »Weltanschauung«), »Werbung im Spannungsfeld von Kunst, Kritik und Marktanspruch« und: »Kathedralen des Konsums« (gemeint sind die Kaufhäuser). Nicht jeder der einführenden Aufsätze ist unbedingt nötig. Aber für einen Katalog des DHM ist das Buch durchgehend in einer überraschend konzilianten, leicht lesbaren Sprache verfaßt. Besonders die eigentlichen Exponat-Kommentare sind exzellent gemacht und geradezu überbordend informativ.
Ein sonderbar mulmiges Gefühl blieb, wenn man wieder auf die Straße trat: Die große Zeit der Werbung ist vorbei. Man hat ein wenig den Eindruck, die heutigen Werbestrategen verfahren mit ihren Theorien wie die späte SED mit dem Marxismus: Es geht nur noch darum, die eigenen Neurosen und Impotenzen mit viel Brimborium zu rechtfertigen. Eine neue Studie bewies es: Siebzig Prozent der Deutschen verstehen die Anglizismen in der Werbung nicht. Naja, es reicht ja, wenn die Herren Verfasser sie verstehen. Bleibt schön unter euch.
Dabei ist der Nachwuchs eigentlich ganz aufgeweckt – man läßt ihn nur nicht. An der Fachhochschule Potsdam wurden die Entwürfe für das Ausstellungsplakat angefertigt, eines schöner als das andere, bis auf eins: Weiß, mit aschgrauem Motiv, ein bißchen gemahnend an diese öden »Spendet-Blut-rettet-Leben«-Dinger, das Thema der Ausstellung winzig in eine Ecke gedrängt, und in seiner Pseudomodernität niemanden ansprechend, den das Thema interessiert. Mit einem Wort: kalt und unauffällig. Und nun raten Sie mal, mit welchem Entwurf Berlin in den vergangenen Wochen zugekleistert worden war.

Der Katalog ist im Buchhandel erhältlich: Strategien der Werbekunst 1850-1933, Druckverlag Kettler Böhnen – Berlin, 25,00 Euro.