Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 2. August 2004, Heft 16

Wir sind überall …

von Sibylle Sechtem

Der 50. Geburtstag der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel am 17. Juli mit umfänglicher Lobpreisung der Jubilarin, an deren Avancement zur Bundeskanzlerin kaum noch jemand Zweifel hat, ist vorbei. Läßt man den denkwürdigen Tag Revue passieren, fällt auf, daß sich in das Übliche der Würdigungen viel Unübliches mischte. Wie denn auch nicht – ging es doch um eine rundum erstaunliche Frau in einer für sie noch erstaunlicheren Funktion. Schließlich kommt Angela Merkel – man bedenke! – aus dem Osten, und sie ist – man bedenke noch mehr! – sogar Doktorin der Physik, und wer sich nur einigermaßen auskennt in den Bedingungen, unter denen man in der DDR der siebziger und achtziger Jahre den Doktortitel erwerben konnte, der müßte sie – da sie sich zum Behufe dieser Promotion ja mit etlichem Engagement in allerlei Gegebenheiten und Umstände einzufügen hatte – fraglos zu jenem übergroßen Teil der DDR-Gesellschaft rechnen, der von dem unvergleichlichen Bescheidwisser Arnulf Baring Anfang der neunziger Jahre einmal als »verzwergt« bezeichnet worden und darum auch folgerichtig – sieht man von der Jubilarin und einigen anderen Ausnahmen einmal ab – »abgewickelt« worden ist.
Aber damit ist es ja des Erstaunlichen noch lange nicht genug. Es muß den Würdigungen noch eine angefügt werden, die bisher eindeutig zu kurz gekommen ist. Gemeint ist die des Wirkens der Angela Merkel in der FDJ, der Freien Deutschen Jugend.
Nein, es ist nicht damit getan, einfach nur ihre Mitgliedschaft zu erwähnen. Sie war nun einmal mehr als nur Beitragszahlerin, und darauf sollte sie stolz sein. In verschiedenen Biographien, die im Internet nachzulesen sind, wird darauf hingewiesen, daß sie während ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Physikalische Chemie der Akademie der Wissenschaften der DDR, die von 1978 bis 1990 dauerte, eine Zeit lang FDJ-Kreisleitungsmitglied, ja sogar Sekretärin für Agitation und Propaganda gewesen ist. In einem Institut – das sei hinzugefügt –, das von einem bekennenden Kommunisten geleitet wurde, von dem sie – und auch das sei nicht verschwiegen – auch noch ausdrücklich gefördert wurde! Trotz und wegen und überhaupt ihrer Herkunft als Pfarrerstochter.
Und weil das so ist, ist es nun an der Zeit, endlich einmal die FDJ ins rechte Licht zu rücken! Obgleich und weil und überhaupt diese FDJ eine Organisation war – oder ist? –, die in der Bundesrepublik Deutschland verboten war – oder ist? Denn wie es auch immer um ihren Status bestellt sein mag, sie wird – wenn die Jubilarin denn Kanzlerin werden sollte – als erfolgreichste deutsche Jugendorganisation in die Geschichte eingehen. Sie wird dann nicht nur – was man ja immer schon wußte – den Staats- und Regierungschef der DDR Erich Honecker in entscheidenden Phasen seines Lebensweges gebildet und erzogen haben, sondern auch die Regierungschefin der Bundesrepublik Deutschland.
Das alles geschieht für den Eingeweihten nicht so unerwartet, wie es demjenigen, der es gewohnt ist, sich starr an das Klischee von der FDJ als Kaderschmiede der SED zu halten, erscheinen mag. Im Jahre 1980 – also etwa zu jener Zeit, da sich Angela Merkel in der FDJ-Organisation der Wissenschaftsakademie im idyllischen Adlershof für ihre berufliche Karriere den entscheidenden politischen Schliff holte und also auch all das Anpassen, Kungeln, Ränkeschmieden, Allianzenbilden, Gegnermobben und Problemaussitzen übte, mit dem sie später so unglaublich erfolgreich wurde – hatte Erich Honecker in seine Autobiographie Aus meinem Leben in Erinnerung an die Gründung der FDJ 1946 Sätze einrücken lassen, die ausdrücklich den überparteilichen Charakter der Organisation herausstellen: »Zum ersten Mal in der Geschichte des deutschen Volkes entstand eine Organisation, die in ihren Reihen junge Menschen unterschiedlicher Weltanschauung, sozialer Herkunft und Berufe vereinigte und sich zum gesellschaftlichen Fortschritt bekannte. Das war eine echte Wende in der Geschichte der deutschen Jugendbewegung.«
Man mag es drehen und wenden, wie man will: Es ist mit Angela Merkel wie mit den aus der DDR ins vereinte Deutschland gekommenen Sportlerinnen und Sportlern. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sie sich in den entscheidenden Trainingsjahren im strengen Regime der DDR angeeignet haben, blieben bestimmend für ihre gesamte Karriere und ihren Erfolg darin. Angela Merkels Vorteil ist: Sie kann noch viel länger aus dem Trainierten schöpfen als ihre Landsleute beim Sport.
Und was sagt uns das alles im Hinblick auf die FDJ? Sie war am Ende so realsozialistisch wie alles andere in der DDR auch.