Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 5. Juli 2004, Heft 14

Teufelszeug

von Frank Ufen

Es ist heute kaum noch vorstellbar, wie es im Europa der frühen Neuzeit zuging – zu einer Zeit, als die abendländische Welt das Genußmittel noch nicht für sich entdeckt hatte, das in ihr bald darauf umwälzende Veränderungen auslösen sollte: Kaffee. Damals diente das Bier noch als Grundnahrungsmittel, und man fand nichts dabei, es in rauhen Mengen und bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit in sich hineinzuschütten. Die Folgen dieses exzessiven Biergenusses waren aufgeschwemmte Körper und ständig benebelte Köpfe.
Doch dann gelangte die Kaffeebohne nach Europa, und eine Zeit der großen Ernüchterung brach an. Mitte des 17. Jahrhunderts wird in Oxford das erste Kaffeehaus Europas eröffnet. Im Jahre 1700 gibt es in London schon über 2000 Cafés, und mit ihnen und in ihnen beginnt sich eine demokratisch-egalitäre Kultur und eine Zivilgesellschaft herauszubilden. Im Turks’ Head Coffeehouse werden Wahlurnen aufgestellt, damit jeder Gast zu kontroversen politischen und religiösen Fragen Stellung beziehen kann, ohne dafür Repressalien in Kauf nehmen zu müssen. Aber auch die Geschäfte kommen nicht zu kurz. Manche Kaffeehäuser steigen zu den Geschäftszentralen mächtiger Konzerne auf. Aus Lloyd’s Coffeehouse geht Lloyd’s of London hervor, aus dem Baltic Coffeehouse wird die London Shipping Exchange, aus dem Jerusalem Café die East India Company. Andere Cafés spezialisieren sich auf die Wissenschaften, die Künste oder die Literatur. Als es schließlich kaum noch möglich ist, über die wichtigsten Angelegenheiten auf dem laufenden zu bleiben, tritt Richard Steele auf den Plan. Er baut ein Netz von Korrespondenten auf, die wöchentlich darüber berichten, was es in den Cafés an Neuigkeiten und Klatsch gibt. So kommen die ersten Journalisten und die ersten Zeitschriften auf, die Zeitungen haben von nun an Ressorts, und die Romanschriftsteller und Dramatiker lernen endlich, Dialoge zu schreiben, die nicht mehr papieren klingen.
England wird der Kaffeebohne allerdings nicht lange treu bleiben. Da sich fast sämtliche Kaffeeplantagen außerhalb seiner Kolonialgebiete befinden, sind es ausgerechnet seine Erzrivalen Frankreich, Portugal und Holland, die am meisten von seiner Kaffeevorliebe profitieren. Also entschließen sich die Engländer notgedrungen dazu, auf Tee umzusteigen. Über eigene Teeplantagen verfügen sie zwar ebensowenig. Doch das Opium, das sie in Indien produzieren, wird ihnen von den Chinesen abgenommen, die wiederum jede Menge billigen Tee im Angebot haben. Also wird in England eine Werbekampagne veranstaltet – und schon bald ist den Engländern das Teetrinken zur zweiten Natur geworden.
Ähnlich wäre es beinahe auch den Amerikanern ergangen. Doch King George begeht den Fehler, sie mit einer überhöhten Teesteuer zu provozieren. Es kommt zur Boston Tea Party – und seitdem wird in den Vereinigten Staaten bloß noch Kaffee aufgebrüht.
Anders als in England und Amerika läßt man sich auf dem europäischen Kontinent erst nach langem Zögern auf den Kaffe ein. Am frühesten tun das die Österreicher, die das große Glück haben, daß ihnen nach der gescheiterten Belagerung Wiens Dutzende von Säcken mit Kaffeebohnen, in die Hände fallen. Gemeinsam mit den Italienern machen sie aus dem Kaffeekochen eine regelrechte Kunst und bringen es in ihr zu unerreichter Virtuosität. In Frankreich hingegen kann sich der Kaffee erst durchsetzen, als der katholische Klerus damit aufhört, ihn als »teuflischen Höllentrank« zu denunzieren. Allerdings lernen ihn die Franzosen in erster Linie als ein Mittel gegen Verstopfung schätzen. Und die Deutschen? Die Deutschen haben das Pech gehabt, daß sie gleich mehrmals das Opfer von Anti-Kaffee-Kampagnen geworden sind und daß man ihnen immer wieder eingeredet hat, welchen ungeheuren Vorzüge demgegenüber der Zichorienkaffee hätte. Die Folge: Bis zum Ersten Weltkrieg bleibt Deutschland das einzige weitgehend koffeinfreie Land Europas.
Der amerikanische Journalist Stewart Lee Allen hat Zehntausende von Kilometern mit Rikschas, Autos, Zügen, Frachtern, Flugzeugen und Eseln auf vier Erdteilen zurückgelegt und dabei nicht selten Kopf und Kragen riskiert, um Material für seine Kultur- und Sozialgeschichte des Kaffees zu sammeln. Der Aufwand hat sich gelohnt. Allen ist ein großer Erzähler, und er hat viel zu erzählen: über seine Abenteuerreisen und über den äthiopischen Ursprung des Kaffees und die Unterschiede zwischen Robusta- und Arabica-Bohnen, über die Rolle des Kaffees als Aufputschmittel und als Mittel zur Erzeugung religiöser Trancezustände, über die Zusammenhänge von Kaffee, Sklaverei und Revolution, über die verheerenden ökologischen Auswirkungen der Kaffeeplantagen, über die große osmanische Kaffeekultur und die blutige Verfolgung der Kaffeetrinker durch Sultan Murad IV. Das Buch ist ein großer Roadmovie. Allen wird manchmal mit Bruce Chatwin verglichen. Völlig zu recht.

Stewart Lee Allen: Ein teuflisches Zeug. Auf abenteuerlicher Reise durch die Geschichte des Kaffees, Campus Verlag Frankfurt/New York 2003, 230 Seiten, 19,90 Euro.