von Wolfram Adolphi
Mit einigem Erstaunen mußte ich kürzlich selbst im von mir geschätzten Freitag lesen, daß die Attentäter des 11. September 2001 »bekanntlich« mit Teppichmessern agiert hätten. Bekanntlich? Noch immer gibt es – trotz ganzer Regale voll Literatur über diesen Tag – so viele ungeklärte Fragen zum Hergang der Ereignisse, daß das Wort »bekanntlich« so vorsichtig wie nur irgend möglich gebraucht werden sollte. Bekanntlich wurden die New Yorker Twin Towers zerstört, bekanntlich wurden dabei mehr als dreitausend Menschen umgebracht, und bekanntlich waren die Täter Terroristen. Aber sonst? Was weiß man wirklich sonst und außerdem?
Zum Beispiel über Mohammed Atta, den man als einen der Haupttäter glaubt präsentieren zu können. Noch immer ist – zum Beispiel – die einfache Frage nicht geklärt, wieso das FBI seinen – und weitere achtzehn – Namen schon 24 Stunden nach dem Verbrechen bekannt zu geben vermochte? Obgleich der Schlag doch so gänzlich überraschend kam! Oder wieso es gerade von ihm, dem angeblichen »Anführer«, die Kamerabilder vom Betreten eines Flughafengebäudes gibt.
Aber damit ist es offensichtlich noch lange nicht genug. Zu diesem Schluß jedenfalls kommt der amerikanische Journalist Daniel Hopsicker im Ergebnis zweijähriger Recherchen in Venice/Florida, bei denen er immer wieder nur das eine tat: mit Penetranz die fünf Grundfragen des Profi-Rechercheurs Wer?, Was?, Wann?, Wo? und Warum? zu stellen. In Flugschulen – natürlich –, aber auch: bei Wohnungsvermietern, in Supermärkten, in Nachtbars, in Lokalredaktionen, in Pizzastuben und was der örtlichen Wichtigkeiten und Mittelpunkte mehr sind.
Das Ergebnis seiner Arbeit, das dieser Tage in deutscher Sprache unter dem Titel Welcome to Terrorland. Mohammed Atta und seine amerikanischen Helfer (Verlag Zweitausendeins, 440 Seiten, 13,90 Euro) erschienen ist, ist für ihn »niederschmetternd«. Und beim Lesen seiner Aufzeichnungen beginnt man zu ahnen, was das für einen Mann wie diesen, der sich jahrzehntelang im Mainstream des USA-Journalismus tummelte und Tugenden wie Pressefreiheit, journalistisches Ehrgefühl und Recht der Öffentlichkeit auf Information für selbstverständlich hielt, bedeuten muß. Zumal er sich nicht auf seine Befragungsreise nach Venice begeben hatte, weil er an einer Schuld von Mohammed Atta und dessen arabischen Komplizen zweifelte, sondern weil er im Gegenteil von genau dieser Schuld überzeugt war und nun einfach mehr darüber wissen wollte, in welchem Zeitraum, wo und wie sich diese Schuldigen vor ihrer Tat in den USA bewegt hatten. Und es war am Anfang nicht gleich die Frage nach komplizierten und verwirrenden Hintergründen gewesen, die Hopsickers Aufmerksamkeit gefesselt hatte, sondern ein einziger, in der Welt der größtmöglichen Vermarktung von Informationen über im Rampenlicht stehende Personen freilich sehr deutlich aus dem Rahmen fallender Tatbestand: daß nämlich Mohammed Atta »in den zwei Jahren seit seinem Tod nicht annähernd soviel publizistische Aufmerksamkeit auf sich gezogen (hat), wie sie einer Jennifer Lopez und einem Ben Affleck in einer einzigen Woche zuteil wird«.
Warum Venice? Warum eine Stadt mit dem Charakter eines »Rentnerrefugiums, in dem die Jagd auf Sonderangebote für Frühaufsteher der aufregendste Zeitvertreib der Einwohner ist«? Weil Atta dort – so sagen es die offiziellen Berichte – im Jahre 2000 ein halbes Jahr Flugunterricht genommen haben soll. Und darum erneut gefragt: warum Venice? Was hat Atta genau an diesen Ort gezogen und an keinen anderen in den USA? Und warum haben auch weitere dreizehn der insgesamt neunzehn mutmaßlichen Attentäter ausgerechnet in Florida eine Ausbildung gesucht und erhalten – einem »Staat, der seit 1999 vom Bruder des gegenwärtigen US-Präsidenten regiert wird«?
Eine Frage führt direkt in die nächste, und es ist ein Vorzug seines Berichtes darüber, daß Hopsicker seine Leserinnen und Leser chronologisch getreu mitnimmt auf dem immer undurchdringlicher werdenden Weg in das Dickicht der Nicht-Antworten, des Verschweigens, der Angst mancher Befragter, »Schwierigkeiten« zu bekommen, und der zielgerichteten Irreführung.
Es ist die Fülle der behördlicherseits unterdrückten oder nicht für wichtig befundenen Details, die große Zahl der nicht weiter verfolgten Spuren, die am Ende ein Bild ergibt, für das das Wort »niederschmetternd« noch eine Verharmlosung ist. Da gebe es – schreibt Hopsicker – in Venice einen »dritten Vermieter« einer Wohnung an Atta, von dem offiziell nie die Rede ist, mit dessen Aussage aber alle offiziellen Chronologien, die besagen, daß Atta 2001 nicht mehr in Venice gewesen sein soll, in Frage gestellt sind. Da gebe es weiter eine weiße Geliebte von Atta, deren Existenz so gar nicht ins Bild vom »fundamentalistischen Koranschüler« passen wolle. Und da seien schließlich und vor allem jene zwei von Niederländern geführten Flugschulen, über deren fragwürdiges Geschäftsgebaren keine Recherchen mehr möglich sind, weil das FBI alle Unterlagen sofort nach dem 11. September beschlagnahmt habe. Dabei stecke auch hier wieder der Teufel im Detail – wie etwa bei den nachweisbar maßlos überhöhten Summen, die Atta und seine Komplizen für ihre Trainingsstunden bezahlten –, was in krassem Gegensatz zu der offiziellen Version steht, die besagt, daß Venice von den mutmaßlichen Attentätern gerade deshalb als Trainingsort gewählt worden sei, weil dort diese Preise niedriger lägen als anderswo in der Welt.
Warum? fragt Hopsicker immer wieder, und er findet Hinweise, die Venice und andere in Florida beheimatete Flugschulen und private Fluggesellschaften in eine lange Tradition geheimdienstlicher Operationen stellen. Die Invasion in Kubas Schweinebucht 1961 kommt in dieser Geschichte ebenso vor wie der Drogen- und Waffenschmuggel im Zusammenhang mit der Iran-Contra-Affäre. Und dann gibt es auch dieses Detail: »Weniger als drei Wochen, nachdem Mohammed Atta und Marwan Al-Shehhi am 6. Juli 2000 ihren Flugunterricht (in Venice – W. A.) aufgenommen hatten, wurde auf dem Executive Airport von Orlando (Florida) ein Lear-Jet aus dem Besitz des eigentlichen Inhabers von Huffman Aviation (das ist die Flugschule in Venice, an der Atta lernte – W. A.) … von Sicherheitsbeamten des Bundes beschlagnahmt, nachdem sie … an Bord 20 Kilogramm Heroin gefunden hatten.«
Man mag dem Resümee, das Hopsicker in Verfolg der Drogenspur zieht und das in dem Satz gipfelt, daß sich der 11.9. als »Fanal für den Beginn des ersten weltweiten Drogenkrieges deuten« ließe, zugeneigt sein oder nicht – mit seinen zusammenfassenden Sätzen gibt der Autor einem Gefühl Raum und Stimme, das in den USA offensichtlich immer stärker an Gewicht gewinnt: »Um es unverblümt auszusprechen: Unsere Regierung hat uns nicht die Wahrheit darüber gesagt, was am 11.9. geschehen ist. Sie scheint auch gar nicht gewillt zu sein, alle für diesen Anschlag Verantwortlichen aufzuspüren und zu bestrafen.«
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