von Kai Agthe
Eberhard Haufe ist der seltene Fall eines Gelehrten, dessen immenses publizistisches Werk sich nicht in Monografien, sondern in Essays bekundet, die fast ausschließlich in Büchern dritter Autoren erschienen, die er als Herausgeber betreute. Am Ende seines Lebens konnte der Weimarer Germanist aber doch noch ein Opus magnum in Händen halten. Unter dem Titel „Schriften zur deutschen Literatur“ erschienen zum 80. Geburtstag Eberhard Haufes dessen wichtigsten Aufsätze und Artikel in einem von Freunden realisierten Band. Die 500-seitige Sammlung zeugt von einer thematischen Vielseitigkeit, die den Leser überwältigt. Die hier vereinten Texte aus vier Jahrzehnten sind so ausgreifend, dass sie einen universitären Vorlesungszyklus zur Geschichte der deutschsprachigen Literatur leichthin ersetzen könnten. Die Spanne der Themen, die Eberhard Haufe stets mit der ihm eigenen Gründlichkeit aufgriff, reicht von der Mariendichtung bis hin zu der Lyrik des Weimarer Freundes Wulf Kirsten.
Schon als Student und damit viele Jahre, bevor ich Eberhard Haufe persönlich kennen lernte, war mir sein Name bereits bestens vertraut. Das Seminar über Johannes Bobrowski und zur barocken Lyrik wären in den frühen neunziger Jahren in der gebotenen Qualität kaum denkbar gewesen ohne die Textgrundlage, die Eberhard Haufe mit seiner vierbändigen Bobrowski-Werkausgabe aus dem Jahr 1987 und der zweibändigen Anthologie mit Barockgedichten „Wir vergehn wie Rauch von starken Winden“ von 1985 philologisch vorzüglich legte. Beides Editionen, die gleichzeitig in der DDR und in der Bundesrepublik erschienen. Fortan verband sich der Name Eberhard Haufe für mich mit der Gewissheit, dass auch Prosa, die wissenschaftliche Kriterien erfüllt, anmutig geschrieben sein kann. Dieses Erlebnis hatte ich erst wieder, als ich die Essayistik von Friedrich Dieckmann entdeckte und lieben lernte.
Eberhard Haufe wäre ein wirklich wunderbarer Universitätslehrer gewesen. Denn zu seinem immensen Wissen kam die Kunst, für Literatur begeistern zu können. Den Professorentitel führte er seit 1992, konnte die damit verbundene Möglichkeit zu Lehrveranstaltungen aus Gesundheitsgründen aber nicht mehr wahrnehmen. Für die Universität Leipzig war Haufes Ernennung zum Honorarprofessor ein Akt später Wiedergutmachung. Denn die Leipziger Alma Mater hatte ihrem jungen wissenschaftlichen Mitarbeiter 1958 durch Entlassung die akademische Laufbahn verbaut. Der Anlass war eine Exkursion, die er mit Studenten nach West-Berlin unternommen hatte. Der Grund, dass Eberhard Haufe seiner Stelle verlustig ging, war neben seiner strengen Wissenschaftlichkeit der Unwille, sich der poststalinistischen Ideologie anzudienen. Seinem christlichen Ethos und dem Wissen folgend, dass er Freunde und Familie (sein Zwillingsbruder Günter lehrte als Theologe in Greifswald) in der DDR wusste, blieb er in dem Land, aus dem wenig später sein Lehrer Hans Mayer entnervt floh.
Eberhard Haufe entzog sich dem politischen Schussfeld. Er ging 1959 nach Weimar und war am Goethe-Schiller-Archiv über ein Jahrzehnt in der Redaktion der Schiller-Nationalausgabe tätig. Das Projekt seiner Dissertation betrieb Eberhard Haufe nebenher. Er wollte sie Rainer Maria Rilke widmen. Joachim Müller in Jena – seines Zeichens der letzte bürgerliche Gelehrte auf einem DDR-Lehrstuhl – riet seinem Schützling von dem Ansinnen dringend ab. Rilke roch nach Formalismus. Promoviert wurde Eberhard Haufe 1964 mit einer Studie über die barocken Textbücher der Hamburger Oper. Drei Jahrzehnte später erschien es als Buch.
Alles in allem erinnert das Schicksal Eberhard Haufes an die Biografie eines anderen großen Unangepassten, dem die DDR den Berufsweg abschnitt, ohne dass der es zum Anlass nahm, das Land hinter sich zu lassen: Die Rede ist von dem Leipziger Philosophen Jürgen Teller (1926-1999).
Zu dem offiziell erworbenen Doktortitel Eberhard Haufes kam im Jahr 1991 noch die Ehrendoktorwürde der Universität München. Dies als nachdrückliche Würdigung seines außerordentlichen wissenschaftlich-publizistischen Wirkens. Denn mit seiner „präzisen, leichten und beweglichen Prosa“, so Heinz Härtl und Gerhard R. Kaiser, die Herausgeber des Bandes „Schriften zur deutschen Literatur“, vermochte es Eberhard Haufe, „den Literaturwissenschaftler ebenso wie den gebildeten nichtprofessionellen Leser anzusprechen“.
In den siebziger Jahren und achtziger Jahren legte der randständige Haufe – ab 1971 nach einer Schlaganfall bedingten Frühverrentung als freier fleißiger Publizist – eine große Zahl von Editionen vor, die vergessene Werke und Autoren wieder in Erinnerung rief. „Was Haufe“, so Heinz Härtl und Gerhard R. Kaiser, „besonders innig mit seinen Gegenständen verbindet, ist die Außenseiterposition.“ Zu den wiederentdeckten Autoren zählte unter anderen der bereits von Walter Benjamin geschätzte Carl Gustav Jochmann, dessen Aphorismen Eberhard Haufe unter dem Titel „Die unzeitige Wahrheit“ 1976 veröffentlichte. „Jede Wahrheit“, so heißt es bei Carl Gustav Jochmann treffend, „kommt dem zu früh, der jede zu spät erkennt.“
Eine andere unzeitige Wahrheit – demnach denjenigen das Leben bestraft, der zu spät kommt – ereilte die DDR im Oktober 1989. Eberhard Haufe engagierte sich in den Wendetagen und darüber hinaus in Weimar als Bürgerbewegter für die Demokratisierung der Gesellschaft. So gehörte er zu jenen, die die Auflösung des Weimarer MfS-Kreisamtes überwachten. Und so kam es, dass der zurückgezogen am Schreibtisch tätige Publizist als Redner plötzlich vor Hunderten Menschen sprach. Seine Redebeiträge aus dem Herbst 1989 sind glücklicherweise auch in Eberhard Haufes Vermächtnisband „Schriften zur deutschen Literatur“ nachzulesen.
„Weimar ist der Ort, wo ich hingehöre“, bekannte Eberhard Haufe noch 2006 in einem Interview. Am 26. März ist der Gelehrte im Alter von 82 Jahren in der Goethestadt gestorben.
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