Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 12. April 2004, Heft 8

Blechspielzeug

von Erhard Weinholz

Neulich, bei seinem 57. Geburtstag, empfing uns G. mit einem Abzeichen am Hemd, einem Button, wie man das heute nennt. »It’s a party« stand darauf, und zwei abwechselnd aufleuchtende winzige rote Lämpchen signalisierten – ja, was? Vermutlich Betriebsbereitschaft. Ob er auch so ein Ding haben könne, fragte einer der Gäste. G. kramte in den Fächern seines Schreibschranks und stellte dann ein Blechkistchen auf den Tisch, ein Behältnis jener Art, wie man es hierzulande wohl nur bei vormaligen DDR-Bewohnern findet: Es enthielt seine Abzeichensammlung. Obenauf ein paar neuere Buttons, das gesuchte war nicht dabei. Interessanter wurde es für uns, als wir in tiefere Schichten vordrangen: Da waren das Abzeichen Für gute Arbeit in der Schule – vor dem Emblem der Jungen Pioniere eine Schülerin und ein Schüler, die ein riesiges rotes Buch in den Händen halten (das »Rote Buch der guten Taten«?), seitlich rankt sich goldener Lorbeer empor, und das Abzeichen Für gutes Wissen in Silber – auch hier Lorbeer, der diesmal ein Marx-Porträt halb umrahmt, dahinter die blaue Fahne mit dem FDJ-Emblem. Es fanden sich das Schießabzeichen in Gold und das Abzeichen Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat, des weiteren ein Abzeichen von Intourist Moscou, der Erdball mit roter Fahne, Mitbringsel eines jeden SU-Besuchers, eines von der Erfurter IGA, der Internationalen Gartenbau-Ausstellung, aus dem Jahre 1964, ein großes Buchenwald-Abzeichen mit der Jahreszahl 1958 und noch manch anderes Stück. Ein wenig wunderte mich nur, daß G., den ich vor vielen Jahren in einem Zirkel DDR-kritischer Jungintellektueller kennengelernt hatte und der später, in den Achtzigern, in einem kirchlichen Friedenskreis aktiv geworden war, dies alles bei seiner Ausreise in den Westen mitgenommen und auch bei seinen vielen späteren Wohnungswechseln bewahrenswert gefunden hatte.
Tags darauf holte ich aus einer verborgenen Ecke meines Bücherschranks eine Blechbüchse hervor, in die einst Rindergulasch abgefüllt worden war (»Ein Qualitätserzeugnis der VE Halberstädter Fleisch- und Wurstwarenwerke«) und die mit neuem Inhalt die Zeiten überdauert hatte: als Behältnis meiner Abzeichensammlung. Das Abzeichen Für gute Arbeit in der Schule hatte auch ich bekommen, desgleichen das Schießabzeichen, allerdings nur in Silber, und das Abzeichen Für gutes Wissen – dieses nun aber in Gold. Ich hatte sie ebenso ehrlich erworben wie zuvor schon die Silbernen Schneeschuhe und das inzwischen etwas abgeschabte Touristenabzeichen. Ja, das war einTeil meines Lebens, ein Teil, den ich, obwohl er mir inzwischen fremd geworden ist, in Erinnerung behalten sollte. Und sei es nur, um nicht zu vergessen, wie gern ich mich einst bevormunden ließ.
Bei anderen Abzeichen war mir unklar, wie sie in meine Sammlung geraten waren – anscheinend hatte ich sie irgendwo aufgelesen. Denn an der XII. Messe der Meister von morgen hatte ich mich keinesfalls beteiligt, auch nicht an der im gleichen Jahr von FDJ und GST veranstalteten Aktion Signal DDR 20 oder an der Brandschutzolympiade 1974. Woher stammte wohl die Sitte, solche Teilnehmerabzeichen zu vergeben? Im Westen war das wohl nur bei Kirchentagen üblich gewesen. Hatte man schon in der Nazizeit auf diese Weise versucht, ein Gemeinschaftsgefühl oft eher unfreiwillig Beteiligter zu stiften? Wahrscheinlicher ist der Einfluß aus dem Osten. Als Kinder hatten wir die sowjetischen Soldaten, kurz »Russkijs« genannt, um ihre vielen Abzeichen beneidet und das eine oder andere von ihnen erbettelt.
Ich durchmusterte meine Sammlung weiter: Abzeichen von Firmen, Maiabzeichen, ein Abzeichen zum Mauerbau und, besonders zahlreich, Abzeichen zum Tag der Republik. Zwei davon waren wie Orden gestaltet, mit Spange und Medaille: das zum 10. Jahrestag, noch recht klein, und ein erheblich größeres zum 20. An diesem Tage sollte sich jeder ausgezeichnet fühlen.
Orden und Ehrentitel wurden in diesem Lande ohnehin reichlich vergeben, besonders vor dem 1. Mai und dem 7. Oktober. Und je schwieriger die Zeiten für die Staatslenker wurden, desto mehr. Die Ordenslisten zu studieren war für mich immer interessant gewesen: Wie groß war doch der Apparat des bürokratischen Absolutismus! Auch tauchten gelegentlich längst Totgeglaubte wieder auf: »Stern der Völkerfreundschaft … Karl Schirdewan, Arbeiterveteran, Potsdam« war zum Beispiel im Mai ‘87 im ND zu lesen.
In diesem umfänglichen Ordenswesen steckte sicherlich deutsches Erbgut, doch im Detail folgte man auch hier dem Vorbild der SU. Von dort stammte unter anderem die Praxis, nicht nur Personen, sondern auch Betriebe, Institutionen, sogar Massenorganisationen mit Orden auszuzeichnen (ohne daß die betreffenden Beschäftigten oder Mitglieder dadurch ebenfalls zu Ordensträgern geworden wären). »Erich Honecker«, notierte ich am 8. März 1986, »hat der FDJ den Karl-Marx-Orden verliehen. Naja, warum nicht. Aber irgendwie ungerecht ist es doch. Die DDR, die bekanntlich seit mehr als 36 Jahren erfolgreich zum Wohle ihrer Bürger wirkt, hat noch nie einen Orden bekommen. Meine Forderung daher: Den Karl-Marx-Orden für die DDR!«