von Edgar Benkwitz
Anfang April erwarten Brüssel und Berlin hohen Besuch aus Indien. Dessen Regierungschef wird mit einflussreicher Begleitung zum EU-Indien-Gipfel und zu Regierungskonsultationen Deutschland-Indien anreisen. Diese Treffen auf höchster Ebene sind schon Tradition. Bereits im Jahr 2000 vereinbarten Deutschland und Indien eine „Partnerschaft für das 21. Jahrhundert“, die EU erhob Indien 2004 zum „strategischen Partner“. Die hochtrabenden diplomatischen Floskeln von „strategischer“ und gar „globaler Partnerschaft“ wollen jedoch nicht mehr so recht in die heutige politische Landschaft passen, denn Finanz- und Weltwirtschaftskrise dämpften deutlich die Globalisierungseuphorie. Jeder Staat hat mit sich selbst zu tun, in die bilateralen Beziehungen ist sachliche Nüchternheit eingezogen.
Deutschland und Indien sind als Mitglieder der G-20-Staatengruppe wichtige Teilnehmer am internationalen Geschehen. Gemessen am Welt-Bruttoinlandprodukt belegen sie den vierten und elften Platz. Doch wirkliche Partner sind sie deshalb noch lange nicht, dazu sind ihre Grundinteressen als hochentwickeltes Industrieland auf der einen und als aufstrebendes Schwellenland auf der anderen Seite zu verschieden.
Indien mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern macht kein Hehl daraus, dass es einen Großmachtstatus anstrebt. Dem sind alle Aktivitäten nach außen untergeordnet. Das Land ist zugleich mit Rückständigkeit und Armut konfrontiert, die die Politik maßgeblich mitbestimmen. Als umworbenes Schwellenland steckt es so gleichzeitig tief in den Problemen eines Entwicklungslandes.
Deutschland ist durch die Prozesse in Europa – Integration, Eurokrise und andere – zunehmend an den Kontinent gefesselt, verliert an Eigenständigkeit und Handlungsfähigkeit. Die Abwehrhaltung gegenüber bestimmten Weltprozessen sowie Besitzstandswahrung und Selbsterhaltung nehmen zu. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück akzentuierte das kürzlich in London, als er „vor dem Angriff neuer Mächte auf die Dominanz des alten Kontinents“ warnte. Und Außenminister Guido Westerwelle schrieb, dass Europa, in sich gekehrt und gespalten, nicht zum globalen Spieler tauge.
Diese Interessenlagen verdeutlichen, dass die Gestaltung umfassender und für beide Staaten nutzbringender Beziehungen nicht so einfach ist, wie es die Grundsatzdokumente der letzten Jahre glauben machen wollen. Indien sucht vornehmlich Partner, die es auf sensiblen Gebieten wie Raketen- und Atomtechnologie sowie generell auf dem Gebiet der Rüstung unterstützen. Russland, die USA, Frankreich und Großbritannien haben hier die Felder besetzt. Wie Angela Merkels persönliches Engagement für den Verkauf einer größeren Anzahl von Eurofigthern an New Delhi vor einiger Zeit zeigte, wäre Deutschland offenbar durchaus bereit, in dieser Liga mitzuspielen, kam aber bisher nicht so recht zum Zuge. Aber auch in einer Reihe weltpolitischer und weltwirtschaftlicher Fragen wie der Weltklimakonferenz, der Doha-Welthandelsrunde (weltweite Abschaffung von Zöllen), der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen, dem Verbot atomarer Tests sowie der Haltung zum Internationalen Strafgerichtshof gibt es keinen Konsens.
Parallele Zielvorstellungen gibt es hingegen bei dem wohl aussichtslosen Bemühen, den UN-Sicherheitsrat zu reformieren. Beide Staaten möchten – ähnlich wie Japan und Brasilien – ständige Ratsmitglieder werden. Indien als führender asiatischer Staat wird seinen Anspruch auch weiterhin vorantreiben, ob es aber mit Deutschland neben Frankreich und Großbritannien wirklich einen weiteren EU-Staat in dem Gremium haben will, sei dahingestellt.
Beträchtliche Differenzen gibt es zu einer Reihe weltpolitischer Brennpunkte, wie Syrien oder Iran zeigen. Mit nachdrücklicher Sorge blickt Indien auf Afghanistan. Abmachungen zwischen Pakistan und Afghanistan, an deren Realisierung vor allem Großbritannien arbeitet und die eine zukünftige Machtbeteiligung der Taliban in Afghanistan offensichtlich einschließen sollen, werden mit tiefem Misstrauen verfolgt.
Deutschland ist Indiens wichtigster EU-Handelspartner, die 19 Milliarden Euro Umsatz allerdings sind aber verglichen mit den 145 Milliarden, die Deutschland mit China umsetzt, gering. Die deutsche Wirtschaft klagt über eine Vielzahl von Hindernissen auf dem indischen Markt. So fordert die deutsche Autoindustrie von New Delhi die Abschaffung des Einfuhrzolls. Aber Indien will seine sich entwickelnde Industrie vor einer Importflut schützen (!). Es lehnt auch die Einfuhr subventionierter Nahrungsmittel aus der EU ab, die Teile seiner Landwirtschaft ruinieren würden. Hingegen möchte Indien für seine hochqualifizierten IT-Fachleute freien Zugang auf dem europäischen Markt. Erleichterung soll ein Freihandelsabkommen Indiens mit der EU bringen, über das nun schon fünf Jahren verhandelt wird. Aber ein Abschluss ist vorerst nicht abzusehen.
Die Absicht der EU, mit den USA forciert über ein Freihandelsabkommen zu verhandeln – bereits jetzt „Wirtschafts-NATO“ genannt – wird in Indien mit Sorge betrachtet, da man eine Zerrüttung der heutigen Weltwirtschaftsordnung befürchtet.
Gleichwohl gibt es auf dem indischen Markt erfolgreiche deutsche Unternehmer. Die BASF setzt eine Milliarde US-Dollar um und baut vor Ort Großanlagen, um in der Nähe der Rohstoffe und Kunden zu sein. Auch Siemens, die Deutsche Post und Bosch haben ähnliche Umsätze, Investitionen von hunderten Millionen Euro sind vorgesehen. TÜV-Süd hat erstmals in einem Schwellenland eine Prüfstation errichtet, denen landesweit 20 weitere folgen sollen. Viele Unternehmen haben ein Gespür für das große Geschäft und vertrauen in einen erneuten Aufschwung Indiens. Sie erkennen auch das wachsende Selbstbewusstsein des Landes und verlangen, dass sich die deutsche Politik schneller auf ein neues, stärkeres Asien einstellt.
Erfolgversprechend ist auch die Zusammenarbeit in Wissenschaft, Technologie und Kultur. Im letzten Jahr wurde in Neu Delhi das „Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus“ eröffnet, das alle deutschen Wissenschaftsinstitute zusammenführt. Bereits seit 2008 gibt es ein deutsch-indisches Forschungsförderzentrum, das erste überhaupt, das Deutschland mit einem Partnerstaat betreibt. Zusätzlich haben alle renommierten deutschen Forschungs- und Wissenschaftsvereinigungen eigene Vertretungen in Indien. In Deutschland halten sich über 1.000 indische Promotionsstudenten auf (hinter China die größte Gruppe), hunderte von indischen Wissenschaftlern kommen jährlich zu Forschungsaufenthalten nach Deutschland. Indien ist personell und finanziell an mehreren Großforschungseinrichtungen in Deutschland beteiligt. In Indien wiederum gibt es zehn Goethe-Institute und -Zentren (die hier Max-Müller-Bhavan heißen) zur Vermittlung deutscher Kultur und Sprache. Kürzlich wurde eine staatliche Schulkette mit 1.000 Schulen für den Deutschunterricht als ständiges Unterrichtsfach gewonnen. Erfasst werden damit etwa eine Million indische Schüler.
Das sind anerkennungswerte Aktivitäten. Um Wachstumsmöglichkeiten und Zukunftsfähigkeit zu sichern, blicken andere Staaten aber viel weiter. Australien hat einen Regierungsplan bis zum Jahr 2025 vorgestellt, um das Land auf das künftige Machtzentrum Asien einzustellen. So soll jedes Schulkind eine der vier großen asiatischen Sprachen – Mandarin, Hindi, Japanisch, Bahasa Indonesia – lernen, alle Schulen erhalten Partnerschulen in Asien. Ferner muss ein Teil der Vorstände der 200 größten Konzerne fundiertes Wissen und Erfahrung über Asien nachweisen. Auch die Medien werden angehalten, stärker über Asien zu berichten. Und dieser Zukunftsplan dient „nur“ dem Zweck – so die australische Regierung – im internationalen Geschäft den Anschluss nicht zu verlieren und auch weiterhin den Wohlstand des Landes zu sichern.
Diesem Ziel ist auch Deutschland verpflichtet. Die bevorstehenden Regierungskonsultationen mit Indien bieten eine gute Gelegenheit, Probleme anzupacken, um so einer lohnenswerten Vertiefung der Beziehungen mit einem der wichtigsten asiatischen Länder den Weg zu ebnen.
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