Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 29. März 2004, Heft 7

Demokratisches und Linkes

von Erhard Crome

Das Volk kommt nicht vor. Im Gleichschritt mit Berlusconis Gazetten vermelden die mehr oder weniger zentralen Organe des deutschen Kapitals, die Ankündigung des Truppenabzugs aus dem Irak durch die neue spanische Regierung sei Kapitulation vor dem Feind, der jetzt wieder Al Qaida heißt. Aber hatten nicht 90 Prozent (in Worten: neunzig) der spanischen Bevölkerung bereits vor Aznars Kriegskurs ihren Willen gegen den Krieg bekundet? Die Ablehnungsraten lagen höher als in Deutschland und Frankreich. Dennoch hatte der Chef der konservativen Partei als Regierungschef diesen Kurs als Vasall des Bush II durchgesetzt. Das Volk hat ihm nun die Quittung erteilt.
Und nicht das mörderische Bomben hatte den Ausschlag gegeben, sondern daß ruchbar wurde, Aznar wollte die baskischen Nationalisten zu den Schuldigen erklärt haben, da er sich so konservative Aufwallung des Wählerwillens erhoffte. Nach der Wahl wurde öffentlich, daß der Regierungschef höchstselbst bei wichtigen Zeitungen angerufen hatte, um wider besseres Wissen die falsche ETA-Spur zu legen – El País hatte dieserhalben sogar die Schlagzeile geändert. Das wußten die Menschen am Wahlsonntag noch nicht so genau; aber sie haben es gespürt. Weil die Stimmung kippte, soll in der Nacht vor der Stimmabgabe Aznar sogar den König gedrängt haben, den Ausnahmezustand zu verhängen, um die Wahlen doch noch auszusetzen. Der König blieb Demokrat, und die Wahlen fanden statt, mit dem bekannten Ergebnis.
Das für uns hierzulande so Erschreckende ist das Verhalten der Hiesigen. Hatte man uns nicht eingeredet, es gäbe »kein richtiges Leben im Falschen« und im Rechtsstaat »kein Recht auf Gleichbehandlung im Unrecht«? Nun hatten Bush und seine Knechte einen völkerrechtswidrigen Krieg geführt und ein Besatzungsregime in einem fremden Land errichtet – das der Probleme im Irak nicht einmal Herr wird. Die deutsche Regierung hatte sich bekanntermaßen daran nicht beteiligt, doch die gleichen Kräfte, die damals gegen diese Enthaltung waren, zeihen nun Spanien der »Kapitulation«, weil es sich am völkerrechtswidrigen Krieg künftig nicht mehr beteiligt. Sie haben das gleiche Verhältnis zum Willen der Bevölkerung, wie Aznar: gar keines.
Diese Arroganz der mächtigen Überlegenheit zieht sich mit der neoliberalen Arroganz der Hegemonie durch alle politischen Probleme und Lager. Soll es in Deutschland nun eine neue linke Partei neben der SPD geben, oder nicht? Die Verhältnisse schreien förmlich nach einer solchen. Zwanzig Prozent der Wähler seien angesichts Agenda 2010 und des Abschieds der offiziellen Sozialdemokratie von sozialdemokratischer Politik möglich, meinen einige Vor- oder Nachdenker. Etliche von ihnen sind aktiv in den Gewerkschaften und waren oder sind in der SPD. Sie wollen eine linke Alternative schaffen, wissen nur noch nicht genau, wie. Aber zu den Bundestagswahlen 2006 soll es sein. Die offizielle SPD drohte sofort mit Parteiausschluß.
Die bürgerliche Presse will es verwitzeln. Variante 1: Der bestallte Wahlforscher erklärt, die Opfer jener Politik würden nicht eine neue Partei wollen, sondern würden nicht wählen gehen. Daher sei ein derartiges Unternehmen ohnehin zum Scheitern verurteilt. Als sei Nichtwählen eine hohe Errungenschaft der freiheitlich-demokratischen Grundordnung! Variante 2: Die Akteure seien gescheiterte Berufsfunktionäre aus der dritten Reihe, die noch nie etwas Gescheites zustande gebracht hätten. Variante 3: Das erste Treffen wurde als konspirative Schnitzeljagd organisiert: Im DGB-Haus hatte jemand einen Raum gemietet, darin hockte aber niemand, sondern es war ein Zettel an der Tür, auf dem eine Handy-Nummer stand, und es reichte nicht, dort anzurufen, um der Kenntnis des wahren Orts der Neubegründung teilhaftig zu werden, sondern man mußte den Konspiratoren persönlich bekannt sein, um zugelassen zu werden. Linke Politik als eine Art Familienunternehmen. (Was auch meint: Es sind ohnehin so wenige, daß sich von vornherein alle kennen.) Variante 4: Dies ist die massivste Form: Es habe ohnehin keinen Sinn, weil die Mehrheit der deutschen Menschen nicht auf Links stehe! (Das hatten wir doch schon: Mauer, Stacheldraht und Krenz im Autosalon!)
Bisky antwortete schlau: Die PDS habe nichts gegen eine neue linke Partei und könne sich Kooperationen durchaus vorstellen. Im Osten allerdings sei kein Platz weiter neben der PDS. Das enthält dreierlei: das Eingeständnis, daß die Westausdehnung der PDS gescheitert ist und daher ein Neuanfang im Westen durchaus willkommen; den Anspruch, die PDS sei nach wie vor »die« linke Partei im Osten, an der hier niemand vorbeikomme; den Wunsch, daß von derlei Diskussionsprozessen neue Impulse für eine linke Politik in Deutschland ausgehen, die von einer Haushaltspolitik in Berlin nicht zu erwarten sind.
Die Linke in Deutschland hat sich noch nicht wieder ernsthaft konstituiert. Das Schlimme ist: Die Bürgerlichen wissen das. Deshalb die Häme. Das ist allerdings auch genau die Arroganz, an der die Rechte in Spanien gescheitert ist.