von Jörn Schütrumpf
Politik ist eine viel zu ernste Angelegenheit, als daß man sie Politikern allein überlassen könnte. Solche Aussage würde jeder Dreher – gewendet auf sein Fach – ebenso strikt von sich weisen, wie Politiker meinen, Politik sei ausschließlich ihr Behuf.
Wobei beim Dreher die Lage relativ übersichtlich ist: Ohne all die Vorleistungen vom Erzabbau bis zum Auswalzen der Stahlknüppel, ganz zu schweigen von der Nachfrage nach seinem Produkt, wäre der Dreher nichts. Und: Er unterscheidet sich in einem Punkt ganz wesentlich vom Politiker. Macht er seine Sache schlecht, geht man zum nächsten. (Selbstverständlich empfindet der moderne Politiker diese Art Vergleiche als Anpöbelung; Pöbel sind immer die anderen.)
Die Politiker haben sich in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zur Klasse ausrufen lassen und sind ganz stolz darauf, Teil solcher Klasse zu sein. Darüber wird oft vergessen, daß sie wirklich eine eigene Klasse bilden: die keineswegs fiktive politische Klasse.
Um ihr angehören zu dürfen, ist es nicht zwingend, Politik zu machen; oft ist solches Tun nicht einmal förderlich. Zwingend ist lediglich ein klassenkonformes Verhalten. Als die Politiker noch keine eigene Klasse bildeten, betrieben Menschen Politik, weil sie entweder etwas bewahren oder etwas verändern wollten. In jedem Fall hatten sie ein Ziel. Und sie wußten, daß sie, um ihr Ziel zu erreichen, Macht benötigen würden.
Das war sogar in der Nachkriegszeit noch so. Konrad Adenauer wollte Deutschland aus der von ihm als verhängnisvoll angesehenen Mittellage durch Einbindung in den parlamentarisch verfaßten Westen befreien und dann den Kommunismus niederkonkurrieren. Dafür waren dem Intimus des Großkapitals viele Mittel recht – sogar eine nachhaltige Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse in Westdeutschland. Auch Walter Ulbricht hatte ein Ziel: die Befreiung der Arbeiterklasse von Ausbeutung und Unterdrückung; dafür waren ihm noch mehr Mittel recht als Adenauer. Und auch Willy Brandt verfolgte ein Ziel, dem Ulbrichts sehr verwandt; nur mochte er dessen Mittel unter keinen Umständen verwenden. Letztlich scheiterten beide, sowohl Ulbricht als auch Brandt – der eine an zu viel Willen zur Macht, der andere an zuwenig.
Adenauer mußte zeitweilig im Untergrund leben, Ulbricht im französischen sowie im mörderischen sowjetischen und Brandt im skandinavischen Exil. So spannend ist das Leben von deutschen Politikern, seit sie eine Klasse bilden, die sich auf Berufspolitikerparteiapparaten gründet, nicht mehr. Und doch ist dieses Leben aufregend, auch wenn es als unvornehm gilt, darüber zu reden: Dem modernen Politiker geht es nur so lange gut, wie er sich sicher fühlt. Damit ist allerdings nicht die Sicherheit vor Verfolgung und Ermordung, sondern die Sicherheit vor dem Zustand, nicht mehr gebraucht zu werden, gemeint. Haben doch nur wenige von ihnen etwas gelernt, das ihnen auch nur annähernd eine solche Wohlfahrt bietet wie ein Sitz in einem Landesoder gar Bundesoder gar Europaparlament. Mancher Jüngerer hat gar keinen Beruf.
Nur selten entscheidet der Wähler über das Schicksal eines Politikers, häufiger sind es dessen Fähigkeiten, sich innerhalb seiner Klasse als nützlich zu erweisen. Das kann im Ausnahmefall auch durch Politik geschehen – ist aber sehr gefährlich. Politik ist Kampf um Macht, Politik ist Ausübung von Macht, Politik bewirkt ständige Veränderung. Oder anders gesagt: Politik ist nicht nur sehr anstrengend, sondern sie ist – um es im Politiker-Radebrech zu formulieren – »ergebnisoffen«.
Und das kann der Politiker nun wirklich nicht brauchen. Lebt der deutsche Politiker in Bayern und nennt er – mit dem Mitgliedsbuch der dortigen Staatspartei in der Tasche – ein sicheres Direktmandat sein eigen, kann er mitunter ganz fröhlich leben. In dieser privilegierten Situation sind aber die wenigsten deutschen Politiker; die meisten leben nicht in Bayern und verfügen nicht einmal über ein unsicheres Direktmandat, sondern sind darauf angewiesen, für einen sicheren Listenplatz auch bei der nächsten Wahlrunde alles nur Erdenkliche zu tun – nur eines nicht: die Mehrheit in ihrer Umgebung zu verärgern.
Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Parteien spielt eigentlich nur noch bei Wahlen eine Rolle. Hinterher können alle miteinander; neuerdings – so Edmund Stoiber – soll sogar schwarz-grün gehen, nachdem die rot-grünen und rot-roten Wählerbelügungskoalitionen sich so überzeugend bewährt haben.
Politiker vom Schlage Adenauer oder Brandt haben es in der politischen Klasse so schwer, daß sie es meist vorziehen, sich anderweitig ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Negativauslese produziert ständig Höhepunkte des Schreckens. Der neueste trägt den Namen Müntefering.
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