von Dieter B. Herrmann
Da hat es die Astronomie endlich mal wieder auf die Titelseiten der Printmedien und in die Spitzenmeldungen von Rundfunk und Fernsehen geschafft. Und das auch noch weltweit. Natürlich ging es nicht etwa um eine neue konzertierte Bildungsinitiative, sondern um Nervenkitzel angesichts einer vermeintlichen Bedrohung aus dem Kosmos. Aus solchem Stoff sind schon erfolgreiche Hollywood-Filme gezimmert worden, von denen „Armageddon“ vielleicht der bekannteste ist. Damals allerdings kümmerte sich kaum jemand darum, wie viel Realitätsgehalt solch einer Kinostory wohl innewohnt – Hauptsache spektakulär und spannend.
Diesmal war es anders. Man wusste ja schon lange, dass am 15. Februar 2013 ein ziemliches Geschoss der Erde bedenklich nahe kommen würde, denn der Asteroid 2012DA14 war bereits rund ein Jahr zuvor von Amateurastronomen im Südosten Spaniens entdeckt worden. Da hatte er die Erde sogar schon passiert, allerdings im Abstand von knapp 3 Millionen Kilometer. Berechnungen seiner Bahn zeigten aber, dass er als typischer Erdbahnkreuzer wiederkommen und dabei ein Jahr später sehr nahe an der Erde vorbeifliegen würde. Immerhin mit einem minimalen Abstand von knapp 28.000 Kilometern. Etliche unserer Kommunikationssatelliten in geostationären Umlaufbahnen sind weiter entfernt! Das allein sorgte für Aufregung und bei vielen Menschen, die sich mit Himmelsmechanik weniger auskennen, entstand die Frage, ob er nicht vielleicht doch auf die Erde treffen könnte. Doch der etwa 50 Meter große Brocken mit einer Masse von circa 200.000 Tonnen hielt sich erwartungsgemäß an die Naturgesetze und ist inzwischen wieder in den Tiefen des Alls entschwunden.
Die Gemüter hätten sich vermutlich auch schnell beruhigt, wenn nicht justament fast zeitgleich, nämlich am Morgen (MEZ) des 15. Februar in der Region von Tscheljabinsk in Russland ein Meteorit abgestürzt wäre, der zuvor in etwa 20 bis 30 Kilometer Höhe der Atmosphäre explodiert war und eine erhebliche Druckwelle verursacht hatte. Dass dabei rund 1.000 Menschen zu Schaden kamen (wenn auch nicht durch die Splitter des Meteoriten selbst), sorgte für weltweite emotionale Anteilnahme. Zugleich aber wuchs bei vielen Menschen die „gefühlte Gefahr“ solcher kosmischer Bomben. Von ominösen Zusammenhängen zwischen dem Vorbeiflug von 2012DA14 und dem Meteoriten wurde gar gesprochen und wer weiß, was jetzt nicht noch alles folgen würde. Panik am Ort des Geschehens ist verständlich, zumal ja nicht sofort klar war, worum es sich überhaupt gehandelt hatte. Doch weltweite Hysterie ist völlig unbegründet. Inzwischen ist bekannt, dass der Tscheljabinsk-Meteorit ein vergleichsweise kleiner Körper mit etwa 17 Meter Durchmesser und rd. 10.000 Tonnen Masse gewesen ist. Die zeitliche Koinzidenz mit dem Vorbeiflug von 2012DA14 war rein zufällig. Auch das ist nicht besonders aufregend, da die Erde ja unablässig von größeren und kleineren Teilchen aus dem Weltall getroffen wird. Glücklicherweise sind die kleinen Körper ungleich viel häufiger als die größeren. Daraus lassen sich Wahrscheinlichkeiten ableiten, wie häufig mit solchen Kollisionen zu rechnen ist. Demnach treten Objekte wie der Tscheljabinsk-Meteorit etwa alle 100 Jahre in die Erdatmosphäre ein. Die meisten Körper dieser Art gehen über dem Meer oder in unbewohnten Gegenden nieder, so dass sie häufig gar nicht bemerkt werden. Größere und damit auch gefährlichere Objekte kommen seltener. So rechnet man etwa mit Körpern von 500 Metern Durchmesser, die bereits einem ganzen Kontinent gefährlich werden könnten, nur etwa alle 200.000 Jahre. Und „Dinosaurier-Vernichter“, wie der etwa 15 Kilometer große Brocken vor 65 Millionen Jahren, sollen gar nur alle 100 Millionen Jahre vorkommen.
Doch solche Wahrscheinlichkeitsaussagen vermögen uns nicht so recht zu beruhigen, denn sie enthalten überhaupt keine Aussage darüber, wann der nächste Treffer bevorsteht. Deshalb konzentrieren sich die Forscher auch zunehmend darauf, eine lückenlose Überwachung des Himmels zu organisieren, um Körper auf Kollisionskurs möglichst frühzeitig aufzuspüren: Dann bestünde nämlich eine Chance, den Angreifer mit den Mitteln der Raumfahrt abzuwehren, indem man zum Beispiel seine Bahn in genügend großer Distanz geringfügig verändert. Entsprechende Szenarien werden lebhaft diskutiert. Voraussetzung bleibt aber, dass man den Gefahrenbringer sehr frühzeitig entdeckt, um genügend Zeit für die Vorbereitung einer Mission zu haben. Frühzeitig heißt aber auch in großer Entfernung: Und dies wiederum bedeutet, dass er noch sehr lichtschwach und entsprechend schwer zu entdecken ist. Bei den jetzt schon laufenden Himmelsüberwachungen sind uns jedenfalls schon etliche Körper durch die Lappen gegangen. Man fand sie erst, nachdem sie sich bereits wieder entfernten hatten.
Vor solchen Ereignissen allerdings wie gerade in Tscheljabinsk gibt es wohl auch künftig keinen Schutz. Sie sind zu klein und im Kosmos zu lichtschwach, um längere Zeit vor ihrem Eintreffen gefunden werden zu können. Man muss sie also unter die Risiken des täglichen Lebens verbuchen. Wenn allerdings all jene anderen Risiken, denen wir uns freiwillig und mutwillig ständig aussetzen, ebenso gering wären, wie ein Tscheljabinsk-Meteorit, dann könnten wir uns beruhigt zurücklehnen.
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