Des Blättchens 4. Jahrgang (IV), Berlin, 25. Juni 2001, Heft 13

Macht vor Einheit

von Erhard Crome

Sie behaupten, das Land wiedervereint zu haben, und wollen jetzt, den Blick fest auf die avisierten Neuwahlen gerichtet, die Profiteure der Spaltung Berlins sein. Und wo diese nicht mehr hinreichend wirkt, soll sie herbeigeredet werden. Wieso sind eigentlich jene Westberliner Leserbriefschreiber, die die BZ eifervoll zitiert,»die Berliner«, die nun mitteilen, sie seien von der SPD erneut »verraten« worden? Sind die PDS-Wähler, mit immerhin fast 40 Prozent Wähleranteil im Osten, keine Berliner? »Berliner sein« ist also eine Frage der rechten Gesinnung, nicht des Wohn- oder Geburtsortes? Es sei ein »Trauerspiel«, heißt es aus Lichtenrade, aber nicht etwa die Korruption und Kapitalvernichtung eines Landowsky ist gemeint, sondern die Abwahl des Diepgen, das hätten »wir nicht verdient«, wird aus Lichterfelde geechot. »Berlins größte Zeitung« dröhnt auch im redaktionellen Teil nur so von Verrat, Umsturz, Front und Extremismus.
Da hilft eigentlich nur: Selektieren, ehemalige »Kommunisten« links raustreten! Die sollen froh sein, daß sie nicht erschossen werden! Wählen erst wieder nach Probezeit; jeder bringt zwei ausgewiesene CDU-Wähler als Bürgen mit! Oder: Die Mauer wieder aufbauen, und einen halben Meter höher! Dann kann Westberlin einen Westbürgermeister wählen, und auf der anderen Seite der Mauer Ostberlin einen Ostbürgermeister. Das ergibt aber nur Sinn, wenn Westberlin dann Hauptstadt von Westdeutschland ist, und Ostberlin von Ostdeutschland. Das Eingeständnis: die deutsche Einheit ist gescheitert, ist logische Konsequenz. Kanzler, lassen Sie Deutschland auflösen!
Aber insistiert die CDU nicht immer noch, sie hätte die Vater- und Mutterschaft auf die Einheit in einem? Warum will sie dann jetzt die Spaltung vertiefen? Oder geht es in Wahrheit gar nicht um Einheit und Demokratie, sondern lediglich um Macht? Also getreu der Devise: Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben. (Das hat wohl Adenauer gesagt, oder ein ähnlicher Ahne – Das Blättchen könnte ja mal ein Preisausschreiben machen.) Plötzlich ist die Einheit keinen Pfifferling mehr wert, plötzlich ist es wichtiger, mit dem Antikommunismus im Westen Stimmen zu maximieren, als im Osten um Zustimmung zu ringen. Alle wissen spätestens seit der Bundestagswahl 1994, daß Rote-Socken-Kampagnen im Osten nicht verfangen und hier höchstens der PDS unentschlossene Wähler zutreiben. Aber sie vermögen vielleicht im Westen der SPD zu schaden. So soll das Berliner Geschrei wohl der Prolog für die Bundestagswahl 2002 werden. Es wird viel Schmutz gerührt werden im Laufe des kommenden Jahres, nur um dieses frivolen Spiels willen.
Übrigens ist es schon mit der Einheit solch Ding. Von der Position der SPD im Frühjahr 1990 wird in einer im Auftrage Helmut Kohls gefertigten Aktenedition zur deutschen Vereinigung berichtet, sie habe eine Grundgesetzänderung gewollt, einen Volksentscheid über diese und über die deutsche Vereinigung sowie eine Mitwirkung des Bundesrates am Prozeß der deutschen Vereinigung.* Lauter urdemokratische Sachen. Aus Kohls Perspektive aber hätte die SPD all dies nur gefordert, so die Unterstellung, um »ihre Chancen auf den Regierungswechsel (zu) verbessern«. Das sei für Kohl ein Grund mehr gewesen, »auf das Verhandlungstempo zu drücken«. So waren nicht etwa sowjetische Unwägbarkeiten, sondern der bundesdeutsche Wahlkampf der eigentliche Fluchtpunkt der Kohlschen Tempoerhöhung im Jahre 1990. Das heißt: Die deutsche Einheit war Moment des Machterhalts der CDU, nicht das eigentliche Ziel. Und so instrumentell, wie man damals die Einheit betrieb, betreibt man heute die Spaltung.
Kann in gleicher Weise auch anderes betrieben werden? Wie Herr Schönbohm schon immer, wenn es um die Verbrechen von Nazischlägern in Brandenburg geht, auf den »Linksextremismus« verweist, meint Herr Gafron (B.Z. vom 11. Juni 2001), es gäbe nur »Extremismus« der gleich »Extremismus« sei. Und dies seien nun mal die »unmittelbaren Nachfolger der SED-Diktatur-Partei«. So müsse man denn wohl auch »die Rechtsextremen« anders beurteilen.
Vom CDU-Bundestagsabgeordneten Friedbert Pflüger wird eine Besorgnis überliefert, die wie folgt formuliert war: »Wer durch das Land fährt und mit der Parteibasis diskutiert,« – er meint seine eigene – »spürt an allen Ecken und Enden den Einfluß der neuen Rechten, sieht Berührungsängste schwinden.« Vielleicht ist auch dieses der weitere Blick, über 2002 hinaus: die PDS-Keule nicht nur aktuell gegen die SPD zu schwingen, um das antikommunistische Wählerreservoir im Westen maximal zu mobilisieren, sondern längerfristig die innenpolitische Lage für die Akzeptanz der Parteien rechts von der CDU vorzubereiten. Den »Schwarzen Peter« dafür auch noch den Sozen unterzuschieben, das will schon eingefädelt sein. Im vergangenen Jahr hatten sich CDU und CSU ja schon mal gegen die Proteste der EU-Länder gegen Haider gewandt. Heute belobigen sie Berlusconi. Und der regiert schließlich auch nur, weil er die Neofaschisten an seiner Seite hat.
Der Antikommunismus ist doch recht brauchbar, zumal jetzt, da die kommunistische Idee verstorben ist und sich eigentlich niemand so recht zur Trauergemeinde zählen will.

* Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90. Bearbeitet von Hanns Jürgen Küsters und Daniel Hofmann, München 1998, S. 133.