Des Blättchens 4. Jahrgang (IV), Berlin, 5. März 2001, Heft 5

Gelobt sei, was …

von Max Hagebök

In Deutschland wird wieder kräftig gelogen. Politiker tun es, Samenberaubte tun es, eigentlich tun es alle. Die Lüge schützt davor, sich mit der Wahrheit durch das Leben zu kämpfen. Die Beule am eigenen Helm ist kein Ehrenzeichen. Also wird gelogen, daß sich die Balken biegen, auf denen das wacklige Gerüst der Lebenslüge balanciert. Gelobt sei, was geglaubt wird.
Das Verbindende in aller deutscher Lande ist die Lüge. Auch sie gehört zur von Herrn Merz vehement eingeforderten Leitkultur. Kindlich und verschämt lugt sie unter dem Mantel deutscher Geschichte hervor; mit den Jahren wurde sie immer bestimmender. Es wird ein Heidenstück Arbeit werden, wenn zukünftige Historiker versuchen sollten, die Wahrheit aus dem Dickicht der geglaubten Lügen herauszubekommen. Es ist zu dicht.
Beispielhaft bedient sich der deutsche Politikerstammtisch dem Spiel mit der Wahrheit. Sie wird gewendet, geprüft und dann verworfen. Egal ist der Preis, denn zu zahlen haben immer die anderen. Politiker dürfen irren, also dürfen sie lügen. Über ihren Köpfen schweben die Sprechblasen.
Die obskure Jagd der CDU/CSU auf den taffen Herrn Außenminister wegen dessen Sturm- und Drangzeit ist ein makabres Spiel aus dem Politikerstadl. Vorsichtig und ohne im Rückspiegel die eigene Vergangenheit zu prüfen, rufen sie nach der Wahrheit, um den so getadelten zu einem Rücktritt aufzufordern. Dabei ist der biedere Herr Fischer schon längst von seiner politischen Vergangenheit zurückgetreten. Seine heutigen Auftritte sind ein ständiger Rücktritt, zuletzt zelebriert mit der Washingtoner Erklärung zur Bombardierung Bagdads.
Die Kollegen von der kriegsgeilen Opposition hatten ihm 1999 mit ihrer Zustimmung zum NATO-Krieg gegen Serbien den Ritterschlag gegeben. Natürlich nicht nur ihm, auch dem emotionalen Scharping. Zwei Lügner durften den amerikanischen Freunden militärisch zur Seite stehen. Sie wußten es besser; aber Machtgier geht vor Moral. Nun wäre es an der Opposition, endlich den Rücktritt der Schwadroneure der Menschlichkeit einzufordern, doch es bleibt ruhig. Nur eine parlamentarische Fragestunde sprang heraus – bei der die PDS gemeinsam mit den Lügnern nach der Wahrheit suchte. Dies kommt der Quadratur des Kreises gleich.
Die Reihe der Lügen ist ohne Ende: Kohl, Koch, Rau und die vielen anderen Diener und Genießer der Macht. Jeder hat ein kleines Stück am großen Lügenteppich dieser Demokratie mitgewebt. Er hält wunderbar warm.
Die Hüter der wahrhaften Demokratie, die aufklärenden Medien und der mündige Bürger, sind eine aussterbende Spezies. Die Mehrheit der Menschen hat sich daran gewöhnt, daß die Politik von einigen Auserwählten zu machen ist. Das Faktische der Politik entmündigt den Menschen. Das moralische Brennglas – der Gemeinnutz – ist in Politik und Wirtschaft zerbrochen. Die Optik ist getrübt, und in den Schemen der Wirklichkeit sind Lüge und Wahrheit nicht unterscheidbar.
Die Aufklärung hat kein Zuhause in Deutschland. Die Verkommenheit der Politik geht einher mit der Bereitschaft der Journaille, den Mantel des Vergebens über die Lüge zu legen. Die Story geht vor.
Es bleibt der Traum vom mündigen Bürger. Doch betrachtet man Deutschland am Tag, dann lacht Herr Fischer, und Herr Scharping sitzt bei Biolek.