von Dietmar Schumann, Moskau
Rußlands neuer Mann im Kreml will den »starken Staat«. Das hat er am 29. Dezember vorigen Jahres auf seiner Website und einen Tag später in der Zeitung Nesawisimaja Gaseta mitgeteilt. »Der Schlüssel zur Wiederherstellung und zum Aufschwung Rußlands befindet sich im staatlich-politischen Bereich. Rußland bedarf einer starken Staatsgewalt und muß sie haben.« Er strebe keinen totalitären Staat an, sondern schätze die Wohltaten der Demokratie, hatte Putin geäußert. Über allem aber stehe der Staat, in seiner richtungweisenden und regulierenden Rolle.
Daran hat sich der Präsident bis heute gehalten. Der Staat aber, das ist nach seinem Verständnis er, Putin. Er allein. Er hat das Kommando über Militär, Polizei und Geheimdienst. Er bestimmt die Richtlinien der Außenpolitik. Und er dirigiert die Entwicklung der Wirtschaft. Er hat sich eine Präsidialverwaltung geschaffen aus guten Freunden und früheren Geheimdienstkollegen. Eine Regierung neben der Regierung ist das, demokratisch nicht legitimiert. Die eigentliche Regierung spielt keine Rolle mehr. Sie ist lediglich der verlängerte Arm des russischen Präsidenten.
Daneben hat sich Putin ein handzahmes Parlament installiert. Und die zweite Parlamentskammer, den sogenannten Föderationsrat, ursprünglich aufgebaut als Gegengewicht zum Präsidenten und zur Duma, hat er zerschlagen.
Putin regiert heute nahezu absolutistisch. Die Provinzfürsten, die ihm zu selbständig waren, hat er an die Leine gelegt. Sie unterliegen der Aufsicht von sieben Generalgouverneuren. Das trägt einerseits einen positiven Zug, weil auf diesem Wege der Zerfall Rußlands gebremst wird. Bedenklich aber ist, daß wieder alles in Moskau entschieden wird. Putin geht zurück vom Föderalismus zum Zentralismus. Und Moskau ist manchmal weit, im wahrsten Sinne des Wortes.
Putin will alles allein entscheiden, und er duldet keinen Widerspruch. Welche grotesken Ausmaße das inzwischen annimmt, haben wir erlebt, als Moskaus Fernsehturm im August brannte. Erst drei Stunden, nachdem der Brand ausgebrochen war, wurde die Energieversorgung des Turmes abgestellt.
Der zuständige Ingenieur hatte bei der Stadtverwaltung angefragt, wie er sich verhalten solle. Er wurde an Moskaus Bürgermeister Lushkow verwiesen. Der sagte, er sei nicht zuständig, der Präsident müsse entscheiden. Den hat man nach drei Stunden erreicht, und Putin gab das Kommando: »Abschalten«. Solange stand der brennende Fernsehturm unter Strom, und der Lift fuhr weiter. Solange, bis er abstürzte und drei Menschen mitnahm in den Tod.
Kritik an Putin wird heute als Majestätsbeleidigung empfunden, die bestraft werden muß. Die Deutschen, die aus Murmansk berichteten, wurden vom Kreml-Propagandisten Igor Maximytschew in der Berliner Wochenzeitung Freitag abgekanzelt. Maximytschew, ehemals Gesandter in der sowjetischen Botschaft in der DDR, jetzt Professor am Moskauer Europa-Institut, schrieb: »Vor allem die Kommentare der deutschen Medien zum Unglück in der Barentsee grenzten an psychologische Kriegführung gegen ein Land, das offiziell immerhin als befreundete Nation Deutschlands gilt.« Rußlands Außenpolitik ist im wesentlichen eine Reaktion auf die Aktionen des Westens. Das Vorrücken der NATO bis an die Westgrenzen Rußlands, die Bombardierung Serbiens durch die NATO, die Versuche der USA, Rußland in eine neue Runde des Wettrüstens hineinzuziehen, die von den USA und der Türkei verfolgte Politik, Rußland aus dem Kaspischen Raum zu verdrängen, das sind Dinge, die den Kreml provozieren. Muß man jemanden, der am Boden liegt, auch noch treten? Ist es gut, einen nach einer Niederlage auch noch zu demütigen? Madeleine Albright hat im State Departement den Posten eines Staatssekretärs für Fragen des kaspischen Raumes eingeführt. Was der Kaspi-Anrainer Rußland nicht mit Freude, aber ohne Knurren hinnimmt. Aber können wir uns vorstellen, welches Geschrei die Vereinigten Staaten veranstalten würden, käme Moskau auf die Idee, einen Staatssekretär für die Fragen der Karibik zu ernennen?
Es sind immer wieder die USA, die versuchen, Rußland mit kleinen und größeren Nadelstichen zu verletzen. Weil das Öl im Kaspischen Meer lockt, werden Aserbaidshan und Georgien von Washington liebevoll umarmt. Weil man offenbar denkt, auf Rußland verzichten zu können, hat man Putin bewußt nicht zu den Nahost-Friedensgesprächen eingeladen (obwohl Rußland zusammen mit den USA Schirmherr des Friedensprozesses ist).
Es ist falsch, so mit Rußland und mit Putin umzugehen. Und es überrascht und enttäuscht immer wieder, wie wenig die Europäer, auch wir Deutschen, dieser amerikanischen Linie entgegensetzen. Es kann doch nicht unsere Absicht sein, ein Land, ein riesengroßes Land vor unserer Haustür, mit dem wir gewinnbringenden Handel treiben wollen, das wir einbinden wollen in den Prozeß der europäischen Einheit, daß wir die Menschen in diesem Land und seine Führung ständig brüskieren. In seiner Außenpolitik unterscheidet sich Putin deutlich von Jelzin und dessen dummen Muskelspielen. Rußland hat sich beim Sturz von Milosevic bewußt zurückgehalten. Es versucht sich im Nahen Osten als besonnener Vermittler.
Daß Putin in Mittel-, Ost- und Südostasien wieder Fuß fassen will, ist nur natürlich. Und es geschieht nicht auf Kosten Dritter. Auch Rußland braucht Absatzmärkte. Außerdem entspricht es seiner Politik einer multipolaren Welt, womit man, nicht nur in Asien, Anhänger und Verbündete findet.
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