16. Jahrgang | Nummer 4 | 18. Februar 2013

Leuchte mein Stern, leuchte

von Henryk Goldberg

Ja, sagte die junge Dame L, und sie wolle jetzt nur noch fünf Minuten Dschungelcamp gucken. Vielleicht, weil wir gerade „Black Swan“ gesehen hatten, das war dem Kind zu horrormäßig. So wollte sie wohl nach all der Schwärze noch bisschen bunten Horror. Dirk Bach in bunt, da hat das Grauen einen Namen. Wer die Guckgewohnheiten von jungen Leuten kennt wird auf eine solche zeitliche Ankündigung nicht viel geben. Also, wir gaben nichts darauf und schritten auf den Balkon, die letzte Zigarette des Tages.
Es leuchtete kein Mond, es schimmerte kein romantisches Licht, es war nur saukalt. Lediglich das Glas Tee spendete ein wenig Wärme. Da öffnete sich, Überraschung, die Balkontür, die junge Dame wünschte eine gute Nacht, schloss die Tür und begab sich in ihre Gemächer. Hätten wir nicht gedacht, waren wirklich nur paar Minuten.
Wir wollten auch nicht lange draußen bleiben, es war kalt und so ein erleuchtetes, warmes Wohnzimmer verfügt, von außen betrachtet, über eine gewisse Anziehungskraft. Los, wir gehen auch ins Bett. Aber wir gingen nicht. Es ging nicht. Sie ging nicht. Die Balkontür. Auf.
Kann sein, die junge Dame L. hatte im Dschungelcamp gesehen, was andere aushalten und wollte nun einmal testen, wie hart ihre Mama und deren Typ ist. Obgleich, später behauptete sie, das sei ein Versehen und es täte ihr leid.
Uns auch. Und obwohl wir keine Stars sind, riefen wir auch: Hol uns hier raus! Ganz leise. Schließlich was sollen die Nachbarn denken, was das für Zustände sind. Beleidigte Tochter sperrt Mama & Mann aus der Wohnung aus. Müssen ja Zustände sein. Müssten mal miteinander reden. Kann doch nicht so schwer sein.
War es aber. Wenigstens auf dem Balkon. Aber ich bin ein umsichtiger Mann, ich hatte das Handy in der Tasche. Später, viel später hieß es, es, das Kind, habe es, das Handy, im Bad vergessen. Vergessen, das ist unbedingt glaubwürdig in dieser Familie. Aber das half hier nicht weiter. Nach etwa zehn Anrufen verfestigte sich dieser Eindruck. Und er wurde nicht abgebaut durch das höhnische Klingeln des Festnetztelefons, mit dem ich dann unser Glück versuchte. Wir hörten es klingeln, dann hörte ich mich auf dem Anrufbeantworter sagen, ich möge doch eine Nachricht hinterlassen. Sehr lustig. Und sehr kalt.
Der Tee war ausgetrunken. So sachte gewann der Gedanke Raum, Shakespeare habe den Romantik-Faktor des Balkons womöglich überschätzt. Wenigstens, wenn Winter ist. Wenigstens, wenn der Mond, der wandelbare, nicht leuchtet und auch nicht recht klar ist, was zu schwören wäre. (Vielleicht, beim nächsten mal sofort zu prüfen, ob die Tür zu öffnen ist.) Wenigstens, wenn die daselbst Aufenthalt Nehmenden eigentlich und unbedroht ihren Aufenthalt im gemeinsamen Bett nehmen könnten. Wenn sie könnten.
Aber sie konnten nicht.
Dafür war Gelegenheit, einmal in aller Ruhe zu betrachten, wie schön das Wohnzimmer ist. Und wie vorsorglich, wie weitsichtig wir doch sind. Durch das Glas der Balkontür sah ich die gläserne Teekanne im Wohnzimmer stehen. Im Stöfchen flackerte fröhlich das Teelicht. Auf dem Balkon flackerten nur die Nerven. Denn oben war nur ein bewökter, unbestirnter Himmel. Doch auf dem Schrank im Wohnzimmer leuchtete ein Stern. Es war der Weihnachtsstern. Irgendjemand hatte ihn dort abgelegt. Irgendjemand hatte ihn nicht auseinander gebaut. Es war wie ein Stern der Verheißung. Irgendjemand wird uns erlösen. Irgendwann.
Es geschah. Die junge Dame kam schließlich, müde und mürrisch, aus ihren Gemächern gewankt, gewährte Einlass und sprach: Wieso könnt ihr das nicht selber?
Es gibt Momente im Leben, da braucht ein Mensch Kraft und Stärke.