Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 1. August 2005, Heft 16

Operetten-Witwe

von Liesel Markowski

Genau vor hundert Jahren wurde Franz Lehárs Lustige Witwe geboren, jetzt hob man die Erfolgsoperette von einst aus dem Archivdunkel ins Freilichtbühnen-Licht. Geschehen mit großem Aufwand im mecklenburgischen Neustrelitz.
Seit fünf Jahren ist man hier – nicht ohne Breitenwirkung – bemüht, das unterhaltsame Musikgenre neu zu beleben: bei Festspielen im reizvollen Schloßgarten und vor der wiedererrichteten Fassaden-Kulisse des kriegszerstörten Schlosses (Veranstalter: Theater und Orchester GmbH Neustrelitz/Neubrandenburg). Ein wunderschönes Ambiente für sommerliches Vergnügen, das Besucher aus nah und fern anzieht. So gewiß, so gut.
Allerdings verliert man sich vor Ort in merkwürdiger Selbstüberschätzung. Da wird mit penetranten Superlativen für die »größten Operettenfestspiele Deutschlands« in der »Residenzstadt der Operette« geworben, da werden die deutschen nationalen Farben und preußische Tugenden bemüht. Peinlich. Bescheidenheit wäre ansprechender.
Natürlich bietet die versunkene Operettenwelt Schätze, die es sich lohnt auszugraben. Doch sollte man sich ihnen kritisch nähern. Lehárs Lustige Witwe ist weder die erfolgreichste Operette der Welt (da bieten sich Offenbach oder Johann Strauß’ Fledermaus eher an), noch ist diese Witwe so frisch geblieben, wie man uns in Neustrelitz weismachen will. Wen kann heute schon diese verstaubte Geschichte über Geld- und Standessorgen, über das Amüsement der High Society um 1900 interessieren? So silbern, wie im Programmheft nachzulesen, war die damalige Wiener Operette wohl doch nicht. Denn diese Gesellschaft amüsierte sich gewissermaßen vor dem Abgrund des drohenden Weltkrieges.
Kritischer Witz wäre daher angesagt, um solche Operetten-Klamotte heute akzeptabel zu machen. Und das, ohne die »historischen Grundfesten« zu erschüttern, auf die Regisseur Wolfgang Lachnitt so schwört. Leider hat er für seine Inszenierung in der Mottenkiste nur Mottenkugeln gefunden, mit denen er auf der Bühne operiert. Da verbleibt alles in uraltem Stil: der unerträglich banale, nicht revidierte und dazu phantasielos rezitierte Text, die Personenkonzeption, die Choreographie. Zu wenig Tempo. Das meint nicht Modernisierung der teilweise überzogenen Kostüme (Ausstattung: Roy Spahn), des Outfits überhaupt. Es meint den Geist und die Bewegung des Ganzen: heutig ohne Operettenstaub. Denn die schmissige, auch melodiös sentimentale Musik Lehárs lohnt es immer noch. Titel wie Jetzt geh ich ins Maxim oder das Vilja-Lied sind unverklungen.
Musikalisch waren alle Beteiligten mit Engagement bei der Sache: die Neubrandenburger Philharmonie (aus Wettergründen in einem Zelt clausuliert), der Opernchor des Landestheaters, Dirigent Jens Troester in schwieriger Position von der Seite agierend und die Solisten. Unter ihnen zwei ausgezeichnete Sänger: Tonje Haugland (Sopran) und Stefan Livland (Tenor) in den Hauptrollen. Dazu kamen die Damen der Deutschen Tanzkompanie und viele Laien-Statisten mit Promenaden und Aufmärschen, mit Arrangements bis zu den Kindern der Pony-Schule vom Reiterhof auf grünem Rasen – alle mit Eifer bei der Sache. Vielerlei Effekte, bis zum krönenden Abschluß-Feuerwerk, konnten die klamottige Operetten-Atmosphäre nicht verdrängen.